40 Jahre Ostverträge
Egon Bahr und Klaus Schütz ließen ihre Zuhörer an der Freien Universität an ihren ganz persönlichen Einheits-Erinnerungen teilhaben
29.10.2010
Bundesminister a. D. Egon Bahr lässt seinen Blick über die anwesenden Studierenden schweifen. Der Hörsaal A des Osteuropa-Instituts der Freien Universität strahlt den spröden Charme der sechziger Jahre aus. Der richtige Rahmen für einen Ausflug in die deutsche Geschichte, wie ihn Bahr in dieser Woche mit Klaus Schütz, dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, unternommen hat.
„Wir haben Verhandlungen mit Moskau begonnen, weil die Sowjetunion die einzige Macht war, die den Warschauer Vertrag ändern konnte“, sagt Egon Bahr langsam und bedacht. An seinem Gesichtsausdruck lässt sich der Gedankenausflug ins Berlin der sechziger Jahre erahnen. Begriffe wie „Wandel durch Annäherung“ und die „Politik der kleinen Schritte“ gehen auf den heute 88-Jährigen zurück. Bahr hat die sozialliberale Ostpolitik Willy Brandts mitgeprägt und gilt als wichtigster Berater des damaligen Bundeskanzlers. Aus dieser Zeit kann er den etwa 50 Zuhörern berichten, wie kein anderer.
Der Mauerbau 1961 sei eine entscheidende Zäsur gewesen. „Wir haben damals mit dem Einfachsten der Welt begonnen: vertrauensbildenden Maßnahmen“, erinnert sich Bahr. Nur mit wenigen Sätzen geht er auf den großen Widerstand ein, den die Annäherung der Bundesregierung an Moskau unter der bundesdeutschen Bevölkerung auslöste. Erst als Eberhard Sandschneider, Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität und Moderator des Gesprächs zwischen Bahr und Klaus Schütz, nachhakt, verdunkeln sich seine Züge. Es sei Wahlkampf gewesen kurz nach dem Mauerbau und die Anschuldigungen gegen Brandt habe er als „widerwärtig“ empfunden, sagt Bahr. Die bebende Stimme verrät seine innere Bewegung, damals wie heute. Heutige politische Debatten seien dagegen „weichgespült“, fügt er nur knapp hinzu.
Vor dem Mauerbau teilte schon die Einführung der D-Mark die Stadt
Klaus Schütz, von 1967 bis 1977 Regierender Bürgermeister von Berlin, sitzt auf dem Podium neben dem „Architekten der Ostverträge“, wie er Bahr nennt: „Wir im Westen haben Berlin gespalten, als wir die D-Mark eingeführt haben“, sagt der 84-Jährige mit weit ausholender Geste. Als die Mauer gebaut wurde, sei die Stadt schon geteilt gewesen. Doch seitdem hätte man in Angst gelebt, Westberlin könne irgendwann den Verhandlungen der Großmächte zum Opfer fallen. „Bis zum Besuch von John F. Kennedy“, sagt Schütz und erzählt, wie ihn der Besuch des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten bewegt habe.
Bahr und Schütz ergänzen einander in ihren Ausführungen. Beide fügen Details zu den Erinnerungen des anderen hinzu und geben den Zuhörern so einen ganz persönlichen Einblick in die deutsche Geschichte. Schütz habe Recht, sagt Egon Bahr, am Anfang der Teilung habe die Einführung der Westmark in Westberlin gestanden: „Aber am Ende der Teilung stand ihre Einführung in Ostberlin.“