Wie wählt Deutschland? – Internationale Medien beim Expertenforum an der Freien Universität
Kurz vor der Bundestagswahl analysierten Wissenschaftler der Freien Universität Berlin die politische Situation in Deutschland
25.09.2009
Fernsehteams aus Japan, China und Deutschland, Print- und Hörfunkjournalisten aus dem Inland, aus Europa und Übersee – sie alle nutzten das Expertenforum, zu dem die Freie Universität am Mittwoch eingeladen hatte, für Interviews, Gespräche, Analysen – und eine letzte Prognose der Wissenschaftler vor der Wahl.
Richard Stöss, Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität, weiß, wie die Bundestagswahl am Sonntag ausgeht: „Schwarz-gelb, ganz klar, eine neue Große Koalition wird es nicht geben“, sagte der Parteienforscher. Das könne schlicht nicht im Interesse der Parteien liegen: Denn sowohl SPD als auch CDU/CSU hätten in den letzten vier Jahren an Wählerresonanz verloren, die Unionsparteien allerdings auf höherem Niveau. Daher werden sie gemeinsam mit den Liberalen die Mehrheit der Bundestagsmandate erreichen, so die Prognose von Richard Stöss. Richard Stöss war einer von zehn Wissenschaftlern der Freien Universität, die am Mittwoch im Rahmen eines Expertenforums den zahlreich erschienenen Journalisten aus mehr als elf verschiedenen Ländern Rede und Antwort standen. Und die nutzten die geballte Expertise, die sich im Dahlemer Henry-Ford-Bau versammelt hatte, um zu fragen, was sie immer schon einmal wissen wollten: Beeinflusst die globale Finanz- und Wirtschaftskrise die Entscheidung der Wähler? Hat der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr Einfluss auf die Wahlentscheidung? Wie beurteilen die Experten die Entwicklung der Linken? Was folgt auf die Große Koalition?
Kein Wahlkampf 2.0
Professor Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität, moderierte das Expertenforum, bei dem vier Politikwissenschaftler, zwei Wirtschaftsexperten, zwei Juristen, eine Kommunikationswissenschaftlerin und er selbst als Bildungspolitikexperte ihren jeweils eigenen Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl warfen. Präsident Lenzen war überzeugt: „Bildung und Wissenschaft werden in der nächsten Legislaturperiode eine viele größere Rolle spielen müssen, im aktuellen Wahlkampf habe ich diese Themen vermisst.“ Margreth Lünenborg, Professorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität, zeigte sich als Medienexpertin enttäuscht: „Ein Wahlkampf 2.0 nach Obama war das jedenfalls nicht, was sich auch in der langweiligen Berichterstattung widergespiegelt hat.“ Erstaunt habe sie vor allem, dass Angela Merkel, immerhin erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik, es versäumt habe, die Themen Frauen- und Familienpolitik im Wahlkampf einzusetzen.
It’s the economy, stupid!
Neben Afghanistan und dem Einsatz der Bundeswehr, neben Fragen zum Prinzip der Überhangmandate und zur Demoskopie war auch die Weltwirtschaftskrise ein Thema für die internationale Journalistenrunde. Lutz Kruschwitz, Experte für Bank- und Finanzwirtschaft, meinte, dass die Politik aus der Krise vermutlich immer noch nicht genügend gelernt habe: „Vielleicht hat die Finanzkrise dafür nicht lange genug gedauert.“ Im Wahlkampf sei es jedenfalls weder um die Kontrolle von Hedgefonds noch um die Regulierung von Managergehältern oder die stärkere Haftung mit Eigenkapital gegangen.
Auf die Frage, wie sich junge und Neuwähler stärker mobilisieren ließen, antwortete Christian Calliess, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin. Eine mögliche Abstimmung per Internet sah er nicht als Mittel der Wahl: „Ein Mouseklick kann und darf den Gang in die Wahlkabine nicht ersetzen. Denn hier drückt sich ganz bewusst bürgerliches Demokratieverhalten aus.“