Der Lebensretter von Nanjing
Thomas Rabe, Enkelsohn und Biograph des Siemens-Industriellen John Rabe, sprach am Konfuzius-Institut der Freien Universität Berlin
10.07.2009
In China wird John Rabe als Kriegsheld verehrt, in Deutschland kennt man den Industriellen spätestens seit dem Film-Epos „John Rabe“. Um das Bild des Lebensretters zu vervollständigen – und zum Teil zu korrigieren – , der in den Jahren 1937/1938 während der japanischen Angriffe auf das chinesische Nanjing 250.000 Menschen Unterschlupf gewährte, stellte Professor Thomas Rabe seinen Großvater vor.
Der Raum war voll und die Plätze schnell belegt, so dass die Verantwortlichen am Konfuzius-Institut der Freien Universität viele zusätzliche Stühle in den Vorlesungssaal tragen mussten. Schließlich versprach der angekündigte Vortrag einen spannenden Abend: Thomas Rabe, Enkelsohn des Industriellen John Rabe, war nach Dahlem gekommen, um der Öffentlichkeit einen tieferen Einblick in das Leben seines Großvaters zu geben. Der Mediziner, der in Heidelberg Gynäkologe am Universitätsklinikum ist, hat jüngst eine umfassende Biographie über das Leben seines Großvaters veröffentlicht, die detailgenau und mit zahlreichem Bild- und Quellenmaterial die komplizierte Lebensgeschichte des Hamburgers erzählt.
Massaker an fliehenden Chinesen
Thomas Rabe schilderte zu Beginn des Vortrags, wie wichtig ihm die Auseinandersetzung mit der Geschichte seines Großvaters sei. Nach dem Medizinstudium begann seine eigene persönliche und historische Aufarbeitung, die ihn mehrfach nach China führte, wo sein Großvater 30 Jahre lang als Geschäftsmann die Interessen des Siemens-Konzerns vertrat.
Vor allem die Jahre 1937und 1938 zeichnen John Rabe als besondere historische Figur aus: Während des Vormarsches der japanischen Truppen in China war er in Nanjing, wo die japanische Armee – Japan hatte sich mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündet – Massaker an den fliehenden chinesischen Soldaten beging, Zivilisten angriff und tötete, Frauen vergewaltigte und die verbliebene Bevölkerung terrorisierte. Diese Geschehnisse gingen als Massaker von Nanjing in die Geschichte ein und sind bis heute ein Symbol der grausamen Kriegsführung der japanischen Armee in China. John Rabe setzte sich in dieser Zeit der Schreckensherrschaft für die Chinesen ein und konnte durch die Errichtung einer zivilen Schutzzone 250.000 Menschen das Leben retten.
Erinnerung und Aussöhnung
Dabei war der Hamburger John Rabe seit 1934 NSDAP-Mitglied, also keineswegs Gegner des Nazi-Regimes. Die Frage, wie dieses Paradoxon zu erklären sei, versuchte Thomas Rabe mit Bezug auf andere Zeitzeugenberichte zu beantworten, die darauf schließen lassen, dass viele Deutsche, vor allem im fernen China, keine Vorstellung von den verheerenden Plänen der Nazis hatten. Thomas Rabe erinnerte daran, dass Hitler bis tief in die späten 30er Jahre von ausländischen Politikern als Friedensmensch hofiert wurde. „Mein Großvater war davon überzeugt, dass Hitler ein Humanist war“, brachte Thomas Rabe die Situation des Großvaters auf den Punkt.
Heute versucht Thomas Rabe – neben der Erinnerung an seinen Großvater und der historischen Aufarbeitung – die Aussöhnung zwischen Deutschland und China mit besonderer Einbindung Japans voranzutreiben. Zum Ende der Veranstaltung zeigte der Enkel John Rabes Fotografien aus Heidelberg, wo der Medizin-Professor ein Friedenszentrum eingerichtet hat, das sich besonders für die deutsch-chinesische Freundschaft einsetzt.