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Hilfe – nur ein paar Klicks entfernt

In der Start-up-Villa der Freien Universität tüfteln Unternehmen an digitalen Unterstützungsangeboten für Menschen mit psychischen Erkrankungen

27.11.2024

Das Team hinter dem Web-Portal mimaps bündelt Informationen für Betroffene und Angehörige.

Das Team hinter dem Web-Portal mimaps bündelt Informationen für Betroffene und Angehörige.
Bildquelle: privat

Psychische Probleme zu haben, ist heute längst kein Tabu mehr. Doch kompetente Hilfe zu suchen – und erst recht zu finden –, ist alles andere als leicht. In der Start-up Villa der Freien Universität Berlin tüfteln zwei Mental-Health-Gründungsteams mit ganz unterschiedlichen Ansätzen an digitaler Unterstützung.

Die Gründerin von „mimaps“, Hannah Meudt, arbeitet mit ihren Mitgründern Moritz Knopf und Quirin Ertz an einer Website, die psychologische und psychosoziale Angebote bündelt. „Während meines Psychologiestudiums wurde ich im Bekanntenkreis immer wieder gefragt, ob ich nicht eine Anlaufstelle für dieses oder jenes Problem kenne“, sagt sie. „Die Betroffenen waren mit der Suche meist überfordert, deshalb habe ich für sie aus Suchergebnissen im Internet die seriösen Angebote ausgewählt.

Die Website mimaps.de, die Hannah Meudt mit drei weiteren Teammitgliedern entwickelt hat, ist als Pilotprojekt seit August 2024 online. Inzwischen haben dort 60 niederschwellige Anlaufstellen ein Profil angelegt. Sie liefern Betroffenen und Angehörigen nützliche Informationen zu Beratungsstellen, psychiatrischer Hilfe, Notfallnummern sowie Online-Angebote (Chat- und E-Mail-Beratung) und Selbsthilfegruppen in der Nähe.

„Auch Fachkräfte können sich hier orientieren, denn die Vernetzung von Psychologinnen, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern ist meist noch ausbaufähig.“ In den Einrichtungen werde meist noch mit Adresslisten in Textverarbeitungsprogrammen und mit Flyern gearbeitet, die ständig aktualisiert werden müssten. „Auf unserer Seite können sich die gelisteten Einrichtungen in Kürze selbst einloggen und ihr Angebot aktuell halten.“ 

Das Team von Kiso Health wurde für seine App für Schizophrenie-Erkankte vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichnet.

Das Team von Kiso Health wurde für seine App für Schizophrenie-Erkankte vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichnet.
Bildquelle: privat

Schizophrenie als Stigma

Auch beim „Kiso Health“-Gründer Marco Anzaldo kam der Anstoß für sein Start-up aus dem Umfeld. Im Grunde waren erkrankte Freunde bereits der Beweggrund gewesen, Psychologie zu studieren, während dessen er dann mit Schizophrenie- und Psychose-Patienten arbeitete. 

Die Betroffenen erleben Halluzinationen, hören Stimmen oder Geräusche, die nicht da sind, und sind von Dingen überzeugt, die Gesunde völlig anders interpretieren. „Die ,glücklichen 20 Prozent‘ haben nur eine einzige psychotische Episode, bekommen dann eine adäquate Behandlung und haben nie wieder einen Rückfall“, erläutert Marco Anzaldo. Ein Großteil habe immer wieder Episoden, und bis zu10 Prozent hätten richtig Pech: Sie erleben praktisch keine symptomfreie Zeit.

„Leider sind 99 Prozent der Erkrankten gar nicht in ambulanter Psychotherapie. Und jeder Zweite, der sich behandeln lässt, setzt nach zwei Jahren die Medikamente ab, was meist zu Chronifizierung und leidvollen Rückfällen führt“, erklärt der Psychologe. An Schizophrenie erkrankt zu sein, ist bis heute ein Stigma.

Die App ersetzt keine Behandlung

„Kiso Mind“ heißt die App, die Marco Anzaldo gemeinsam mit einem Team entwickelt: seinem Bruder Luca, einem Informatiker, die Psychologin Nele Potrykus, der Sprachwissenschaftlerin Sonja Schäfer sowie „unter dem strengen wissenschaftlichen Blick“ von Professor Kerem Böge, dem Leiter des Forschungsbereiches Psychosen und Schizophrenien an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Die App soll eine Therapie nicht ersetzen. Aber sie kann die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrücken und die Lebensqualität zwischen den Sitzungen verbessern. „Dazu digitalisieren wir die Verhaltenstherapie so gut es geht: mit Videos, Audios, Texten und interaktiven Übungen, zum Beispiel solche gegen wahnhafte Überzeugungen“, erläutert Marco Anzaldo. Die App beinhaltet auch einen Krisenplan für Notfallsituationen, erinnert an die Einnahme von Medikamenten und bietet einen Symptom-Check an, den man wöchentlich ausführen kann, um selbst den Verlauf seiner Erkrankung im Blick zu haben.

Kiso Health wurde zunächst mit dem Berliner Start-up-Stipendium von Science & Startups gefördert, erhielt danach ein EXIST-Gründungsstipendium über die Charité – Universitätsmedizin Berlin und gewann kürzlich den mit 7000 Euro dotierten Preis für digitale Innovationen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima. Jüngst kam die Zusage für weitere Fördergelder, und das Projekt befindet sich nun auf der Zielgeraden.

„Kiso Care, eine weitere App für Angehörige, wird in den nächsten Wochen auf den Markt kommen“, sagt Marco Anzaldo. „Kiso Mind für die Betroffenen testen wir derzeit gemeinsam mit der Charité in einer kleinen Studie, eine größere wird im Frühjahr 2025 beginnen.“ Erste Gespräche mit Krankenkassen gab es bereits. Rasche Hilfe im Alltag wird dann für an Schizophrenie Erkrankte nur noch ein paar Klicks entfernt sein.

Science & Startups

Mit „Science & Startups“ haben die Freie Universität, die Humboldt-Universität, die Technische Universität und die Charité – Universitätsmedizin Berlin im Sommer 2024 einen gemeinsamen Gründerservice etabliert. „Im Rahmen des Förderprogramms „Science & Startups for Future“ vergeben wir Stipendien in drei sogenannten Clustern. Das Programm wird vom Land Berlin und vom Europäischen Sozialfonds finanziert“, sagt Claudia Dirks, Clustermanagerin für Healthcare & Prevention im Team der Freien Universität. Der Cluster Sustainability & Society ist an der Humboldt-Universität verortet, Technologies & Resources an der Technischen Universität.

„Indem wir die Stärken aller Partner vernetzen, können wir junge, kürzlich graduierte Teams mit zukunftsweisenden Ideen bei den ersten Schritten in die Selbstständigkeit bestmöglich unterstützen“, sagt Claudia Dirks. „Wir bieten ihnen Infrastruktur und Know-how, helfen dabei, Fördermittel zu beantragen und vermitteln Kontakte zu Mentorinnen und Mentoren sowie potenziellen Erstkunden und Investoren.“ Die Start-up-Villa in der Dahlemer Altensteinstraße ist mit zwölf Gründungsteams in unterschiedlichen Projektphasen derzeit gut ausgelastet.

Gemeinsamer Gründerservice

Die Erfahrungen von mimaps-Gründerin Hannah Meudt sind überaus positiv. „Wir profitieren sehr davon! Wir werden zu Veranstaltungen und Messen eingeladen und in verschiedenen Workshops unternehmerisch gut ausgebildet.“ Wie mache ich den perfekten Pitch? Wie gelingen mein Social-Media-Auftritt, der Businessplan oder das Marketing? Expertinnen und Experten geben hier jede Menge Input.

Anders als Kiso Health steht mimaps.de noch ganz am Anfang, startete erst im Frühjahr 2024 und sucht nun nach einer Anschlussfinanzierung. Diese wird sich finden lassen, denn der Bedarf an einer Website, die eine Übersicht bietet zu psychologischen und psychosozialen Hilfsangeboten, ist groß. Und das nicht nur in Berlin – deshalb will das Team die Plattform bald auch auf andere Städte ausweiten. Die Suche nach passenden Unterstützungsangeboten – via Postleitzahl und Eingabe der psychischen Belastung – wird dadurch kinderleicht: Ein paar Klicks, und Notrufnummern und verschiedene Anlaufstellen in der Nähe poppen auf. Dann muss man nur noch anrufen.