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Ein GynDog kennt keinen Schmerz

Die Ausgründungen Vetiqo und Quantum on Demand bringen Forschung und Lehre voran

29.11.2019

Das Vetiqo-Team (v.l.n.r.): Alina Pohl, Laura Schüller und Felix Hiller

Das Vetiqo-Team (v.l.n.r.): Alina Pohl, Laura Schüller und Felix Hiller
Bildquelle: Vetiqo

Laura Schüller lehrte fast zehn Jahre am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin. Als Dozentin hatte sie täglich mit den Herausforderungen der praktischen Ausbildung künftiger Veterinärinnen und Veterinäre zu tun. „Ich habe nach einem Weg gesucht, wie Studierende ihre manuellen Fertigkeiten effektiv trainieren und dabei Fehler machen können, ohne sich selbst oder das Leben eines Tieres zu gefährden“, sagt die promovierte Tierärztin. Also begann sie 2016, sogenannte Simulatoren zu entwerfen und zu bauen.

An Hundebeinen, Kaninchenohren oder Pferdehälsen aus Silikon können Studierende nun die Blutentnahme trainieren, zum Üben von Nähten an Operationsschnitten und Wunden entwickelte sie hautähnliche Naht-Pads. Heute ist Laura Schüller Geschäftsführerin des Start-ups Vetiqo und ihre Modelle kommen in der tierärztlichen und landwirtschaftlichen Ausbildung sowie in Fortbildungen für Versuchstierkunde zum Einsatz.

Am lebensgroßen Modell einer Labradorhündin können Studierende  üben.

Am lebensgroßen Modell einer Labradorhündin können Studierende üben.
Bildquelle: Vetiqo

Ein Labrador namens „Gynnie“

Weil die Nahttechniken in der Tiermedizin bei Kleintieren, Rindern, Pferden oder Schafen sehr unterschiedlich sind, bietet Vetiqo Simulatoren mit verschiedenen lebensecht gestalteten Tierhäuten an – vom Hundebauch bis zur Kuhzitze. Auch unterschiedliche Venensimulatoren für die Blutentnahme bei kleinen und großen Tieren gehören zum Angebot. „Zur Erfolgskontrolle haben wir eine rote Flüssigkeit integriert: Wenn das Kunstblut fließt, haben die Anwender die Vene richtig getroffen“, sagt Laura Schüller. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass ihre Produkte sehr robust sein müssen, weil sie in der Lehre durch viele Hände gehen. Für den sogenannten GynDog „Gynnie“ – ein lebensgroßes Kunststoffmodell einer Labradorhündin, an dem Studierende gynäkologische Eingriffe üben können – gibt es deshalb auswechselbare Venen und Organe.

„Die Ausbildung am Tier gilt als Tierversuch“, sagt Christa Thöne-Reineke, Professorin am Fachbereich Veterinärmedizin und Tierschutzbeauftragte der Freien Universität Berlin. „Die Produkte von Vetiqo helfen uns dabei, diese Art von Tierversuchen zu reduzieren und zu verbessern. Die Simulatoren werden im Veterinary Skills Net eingesetzt, einem klinikübergreifenden Netzwerk für die klinisch-praktische Ausbildung.“

Wenn das Blut fließt, wurde die Vene richtig getroffen.

Wenn das Blut fließt, wurde die Vene richtig getroffen.
Bildquelle: Vetiqo

Laura Schüller, ihre Mitgründerin Alina Pohl und ihr Mitgründer Felix Hiller wurden zunächst mit einem Berliner Startup Stipendium gefördert, inzwischen ist Vetiqo eine GmbH und wickelt Bestellungen über einen Onlineshop ab. Zu den Kunden gehören neben deutschen Universitäten wie der Freien Universität Berlin auch internationale Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Bisher werden alle Produkte in Handarbeit in der firmeneigenen Werkstatt gefertigt. „So können wir auf individuelle Wünsche unserer Kunden eingehen und hohe Qualität gewährleisten“, sagt Laura Schüller. Bei steigender Nachfrage will sich die Gründerin eventuell nach einem Partner für die Produktion umsehen.

Virtuelle Experimente sparen Zeit und Geld

Vom Markteintritt ist das Start-up Quantum on Demand noch ein paar Schritte entfernt. Die drei Gründer Marcel Quennet, Vincent Pohl und Gunter Hermann wurden am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität zu unterschiedlichen Themen der theoretischen und physikalischen Chemie promoviert. Ihre Geschäftsidee entstand im Laboralltag: „Viele Kolleginnen und Kollegen wollten chemische und biochemische Simulationen nutzen, um ihre Laborversuche zu validieren, zu analysieren und Ergebnisse vorherzusagen“, sagt Vincent Pohl. „Weil ihnen aber häufig die speziellen IT-Kenntnisse fehlten, haben sie sich an uns als theoretische Chemiker gewandt. Daraus entstand die Idee, unsere Expertise systematisiert in Form einer benutzerfreundlichen Software zur Verfügung zu stellen.“

Das Team von Quantum on Demand (v.l.n.r.): Vincent Pohl, Gunter Hermann, Marcel Quennet

Das Team von Quantum on Demand (v.l.n.r.): Vincent Pohl, Gunter Hermann, Marcel Quennet

Die Anwendung von Quantum on Demand hilft, chemische und biochemische Reaktionen digital zu simulieren. Teile von Experimenten können damit virtuell am Computer durchgeführt werden, etwa um die Eigenschaften von Materialien und pharmazeutischen Wirkstoffen vorherzusagen. Dadurch sparen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zeit und Forschungseinrichtungen Geld, das sie anderweitig einsetzen können.

Das Team ließ sich von Profund Innovation beraten, der Service-Einrichtung für die Förderung von Unternehmensgründungen und Innovationen in der Abteilung Forschung der Freien Universität. Das Berliner Startup Stipendium ermöglichte den Gründern, sich vollkommen auf die Programmierung einer ersten Softwareversion zu konzentrieren. Dank eines im Anschluss bewilligten EXIST-Gründerstipendiums des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie können Marcel Quennet, Vincent Pohl und Gunter Hermann ihr Produkt nun testen und verbessern.

Nützlich für Grundlagenforschung und Produktentwicklung

„Wir haben unser Produkt so konzipiert, dass es Wünschen künftiger Kundinnen und Kunden gerecht wird und in bestehende Arbeitsabläufe integriert werden kann. Das konnten wir mit einigen Arbeitsgruppen am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität erproben“, sagt Marcel Quennet. In einem Pilotprojekt mit dem Team des Chemieprofessors Biprajit Sarkar gelang dies so gut, dass die Gründer nun auch als Co-Autoren der daraus resultierenden wissenschaftlichen Veröffentlichung genannt sind. „Am Computer lassen sich verschiedene Vorgänge einzeln betrachten, die im Labor-Experiment vermischt und gleichzeitig ablaufen. So konnte unsere Software zur Aufklärung einer sehr spezifischen und komplexen Katalyse-Reaktion beitragen“, sagt Gunter Hermann.

Bedarf für chemische Simulationen gibt es aber nicht nur in der Grundlagenforschung, sondern auch bei Unternehmen, die neue Produkte entwickeln wollen. „Wir arbeiten mit Pilotkunden aus der Wirtschaft zusammen, die neue Verbindungen für neue Materialien testen wollen“, sagt Marcel Quennet. Die Datenbank von Quantum on Demand enthalte bereits rund 10 Millionen verschiedene virtuelle Moleküle. Die Software helfe Forscherinnen und Forschern, zu errechnen, welche Verbindungen und Reaktionen für ihre Zwecke geeignet sind und welche nicht.

Weitere Informationen

„Aus der Forschung für die Forschung“ – nach diesem Prinzip sind bereits mehrere erfolgreiche Ausgründungen an der Freien Universität Berlin entstanden. Zwei Beispiele:

  • Mit dem Texteditor SciFlow können Forschende und Studierende wissenschaftliche Texte erstellen, im Team bearbeiten, auf Knopfdruck formatieren und digital publizieren. SciFlow wurde an der Freien Universität Berlin und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entwickelt. Die Nutzung einer Basisversion ist kostenlos. Gemeinsam mit dem DUZ Medienhaus und gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Start-up außerdem die Plattform OpenD zur digitalen Publikation von Dissertationen aufgebaut.
  • Labfolder, eine Software für die Dokumentation und Planung von Laborforschung, wurde 2013 an der Freien Universität gegründet. Das Programm bildet das gesamte Laborumfeld – also Daten, Teams, Workflows, Geräte und Materialien – digital ab und wird an der Freien Universität in mehreren Arbeitsgruppen des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie genutzt. Im Mai 2019 fusionierte das Start-up mit der Cubuslab GmbH, dem Anbieter einer herstellerunabhängigen Plattform zur digitalen Integration und Steuerung von Laborgeräten. Das neue Unternehmen Labforward zählt unter anderem die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das National Institute of Health in den USA zu seinen Kunden.