Rückblick – aus der Geschichte der Freien Universität
10.02.2024
Das Universitätsarchiv ist das „Gedächtnis der Freien Universität“. In jeder Newsletter-Ausgabe stellt es uns eine Archivalie zur Geschichte unserer Hochschule vor.
Dieses Mal: Umstrittene Protestaktion: Die Verbrennung des FU-Wappens im Mai 1968
Der Wappenverbrennung am späten Abend des 13. Mai 1968 ging ein Vortrag mit anschließender Diskussion von Herbert Marcuse zum Thema „Geschichte, Transzendenz und sozialer Wandel“ im Audimax voraus. Die Veranstaltung hatte mit etwa 4.000 Besucher*innen einen so großen Zulauf, dass bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn um 20 Uhr der Saal und die Empore vollständig besetzt waren.
Marcuses Vortrag sollte eine von Jacob Taubes moderierte Podiumsdiskussion folgen. An dieser sollten sich unter anderem die Philosophin Margherita von Brentano und der Theologe Helmut Gollwitzer beteiligen.
Theoretischer Vortrag oder Diskussion über die Studentenproteste?
Die Veranstaltung stand von vornherein im Kontext der Studentenbewegung in Deutschland und damit unter keinem guten Stern. Als die Diskussion schließlich für das Publikum geöffnet wurde, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen zwei Lagern.
Ein Lager wollte den Austausch mit Marcuse über die Theorie fortsetzen, das andere forderte eine konkrete Besprechung der aktuellen Studentenproteste in Frankreich und möglicher Solidaritätsaktionen für die Pariser Studierenden. Weitere Forderungen waren eine Diskussion über Streikmaßnahmen an der Freien Universität anlässlich der bevorstehenden Lesung der Notstandsgesetze. Fürsprecher dieser Gruppe war unter anderem Dieter Kunzelmann, der trotz eines im Juni 1967 gegen ihn verhängten Hausverbots der Veranstaltung beiwohnte.
Helmut Gollwitzer schlug nach Kunzelmanns Antrag auf „Umfunktionierung“ der Veranstaltung eine Abstimmung über den weiteren Verlauf des Abends vor. Nach dem von Taubes durchgeführten Votum, dessen Ergebnisverkündung von Pfiffen und Zwischenrufen kleinerer Gruppen begleitet wurde, setzte man die Diskussion mit Marcuse auf Wunsch der Mehrheit zunächst fort. Die Veranstaltung wollte aber nicht recht in Gang kommen und Marcuse verließ den Ort gegen 22 Uhr.
Zerstörung des FU-Wappens und Sachschaden am Rektoratsgebäude
Im Laufe des Abends entwickelte sich eine Diskussions- und Informationsveranstaltung zu den Studentenprotesten. Gleichzeitig wurde der Beschluss des Akademischen Senats bekannt, einen generellen Vorlesungsausfall für den Tag der Zweiten Lesung der Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag nicht unterstützen zu wollen. Während ein Vertreter aus der Streikleitung des Otto-Suhr-Instituts Bericht erstattete, begann eine Gruppe Studierende*r – unter ihnen auch, wie der Tagesspiegel tags darauf berichtete, der ‚Kommunarde‘ Kunzelmann – als Reaktion auf den Senatsbeschluss das etwa zwei Meter hohe Holzwappen von der Bühnenrückwand abzunehmen. Unklar ist, ob die Faltwand, hinter der das Wappen hing, zu diesem Zeitpunkt bereits offenstand oder erst im Zuge der Aktion gewaltsam geöffnet und dabei stark beschädigt wurde.
Der Großteil der Anwesenden reagierte ungehalten auf die Vorgänge. Die AStA-Vorsitzende Sigrid Fronius und andere Studierende versuchten, die randalierende Gruppe von weiteren Ausschreitungen abzuhalten, konnten aber nicht verhindern, dass der Rand des Emblems zertreten und der Wahlspruch „Libertas“ in der Mitte des Wappens herausgebrochen wurde. Der Vertreter der Streikleitung des OSI kommentierte am Rednerpult die Aktion mit den Worten, dass „[wir] [u]nseren Kampf gegen die Notstandsgesetze […] nicht abreagieren [können], indem wir ein paar Symbole zerstören“ und erntet für die Äußerung Applaus aus dem Publikum. Trotzdem wurde das Wappen aus dem Audimax getragen und vor dem Henry-Ford-Bau in Brand gesetzt.
Wenig später zog die Gruppe mit dem schwelenden Wappen weiter vor das Rektoratsgebäude in der Ihnestraße 24 und zerschlug es in mehrere Teile. Außerdem wurden mehrere Fensterscheiben des Amtszimmers von Rektor Ewald Harndt durch Steinwürfe zertrümmert. Die auf dem Gelände anwesende Polizei griff nicht ein, um eine mögliche Eskalation zu vermeiden. Im Saal wurde die Aktion von noch anwesenden Studentenvertreter*innen weitestgehend mit Unverständnis aufgenommen, als „Onanie“ und „privatistisches“, unpolitisches Happening kritisiert.
Nachwirken
Zahlreiche regionale und überregionale Tageszeitungen berichteten in den Folgetagen über die Wappenverbrennung auf dem Hochschulgelände. Den Berichten zufolge war nicht nur Dieter Kunzelmann, sondern auch ein weiteres Mitglied der Kommune I, Fritz Teufel, bei der Wappenverbrennung gesehen worden – ihnen wurde eine direkte Beteiligung an der Zerstörung des Emblems vorgeworfen.
Die Berichte stellten aber auch klar, dass sich der Großteil der Besucher*innen von Marcuses Vortrag an der Verbrennung des Wappens nicht beteiligt haben soll. Diese sei von einer kleineren Gruppe zwischen 50 und 100 Personen durchgeführt worden, die angeblich nicht aus dem Umfeld der Studentenbewegung stammten. Fast alle Artikel zitierten Werner Stein, Senator für Wissenschaft und Kunst, der die Zerstörung „[d]ieses Zeichen[s] aus der Gründungsstunde der Freien Universität“ als ein „ernstes Symptom“ dafür wertete, „welche zerstörenden Kräfte die berechtigte Unruhe der Studenten mißbrauchen.“ Rektor Ewald Harndt erstattete am 14. Mai 1968 Strafanzeige gegen Unbekannt.
Detaillierte Einblicke in die Ereignisse bieten eine Akte des Rektorats mit Berichten der technischen Angestellten, die am Abend des 13. Mai 1968 im Audimax der FU Berlin Dienst hatten, sowie die Zeitungsausschnittsammlung des Universitätsarchivs. Die Tonaufzeichnung von der Veranstaltung mit Herbert Marcuse ist ebenfalls vollständig im Universitätsarchiv erhalten und zeichnet ein lebendiges Bild vom Ablauf des ereignisreichen Abends.
Verbleib der Wappenreste
Die Überreste des Wappens wurden im Keller des Rektorats in der Ihnestraße gelagert. Zwei davon nahm Peter Dehn, zum Zeitpunkt der Wappenverbrennung Student und von 1969 bis 1972 Pressesprecher der FU, an sich. Er gab sie 2009 der Freien Universität wieder zurück. Überliefert sind nur diese beiden Bruchstücke aus dem umliegenden Schriftband, das ursprünglich die Inschrift „Freie Universität Berlin – Veritas Iustitia Libertas“ zeigte.
Im August 2023 wurden die beiden Objekte im Zuge bestandserhaltender Maßnahmen neu in eigens dafür angefertigte Archivkartons verpackt und durch an die Form angepasste Ecksegmente zusätzlich gesichert.
Weitere Informationen
Text: Judith Kraus, ehemalige Praktikant*in im Universitätsarchiv der Freien Universität