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„Wir haben mit dem FOCUS Videoportal ein Angebot entwickelt, das bundesweit einzigartig ist und dem Zeitgeist entspricht“

Im Gespräch mit Akteur*innen des FOCUS Videoportals

20.08.2020

Abb. 1: Videochat als Medium in der digitalen Lehre – Andrey Popov, Adobe Stock, Dat-Nr: 62051301. Lizenz erworben

Abb. 1: Videochat als Medium in der digitalen Lehre – Andrey Popov, Adobe Stock, Dat-Nr: 62051301. Lizenz erworben

Digitale Lehre ist nicht erst 2020 und mit der Corona Pandemie in das Blickfeld universitärer Lehrer*innenbildung gerückt. In K2teach ist bereits 2015 mit dem FOCUS Videoportal eine digitale Lehr- und Lernplattform für Lehramtsdozierende wie auch -studierende geschaffen worden.

„Auf einen Kaffee mit K2teach“ hat sich – selbstverständlich im digitalen Raum – mit einigen Akteur*innen des FOCUS Videoportals getroffen. Sie geben uns einen Einblick in die Nutzungsmöglichkeiten des Portals, vor allem in Zeiten digitaler Lehre und Forschung.

 

Ihr alle habt etwas mit dem FOCUS Videoportal zu tun. Was macht ihr rund um das FOCUS Videoportal?

 Juliane Müller: Wir sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt K2teach - Know how to teach, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt zur Qualitätsoffensive in der Lehrerbildung an der Freien Universität Berlin. In unserem Teilprojekt ging es in der ersten Förderphase um den Aufbau des FOCUS Videoportals. Dies ist nun abgeschlossen. In der zweiten Förderphase planen wir gegenwärtig die Durchführung von Videozirkeln im Rahmen der zweiten Phase der Lehrer*innenbildung, dem Vorbereitungsdienst. Hier erhalten Lehramtsanwärter*innen die Gelegenheit, ihren eigenen Unterricht zu videographieren. Im Anschluss sollen sie ihren Unterricht in Kleingruppen analysieren und ggf. Handlungsalternativen entwickeln. Angeleitet werden sie durch ihre Schulpraktischen Seminarleiter*innen.

Anja Böhnke: Genau, als Online-Lernplattform steht ihnen dabei tet.folio zur Verfügung. Hier finden sie beispielsweise theoretische Inhalte zum Umgang mit Störungen im Unterricht, können ihre Unterrichtsvideos in einem geschützten Bereich hochladen und sich mit ihren Gruppenmitgliedern austauschen. Apropos tet.folio – auch das FOCUS Videoportal wurde in tet.folio (tet = „Technology Enhanced Textbook“) entwickelt. Unser Kollege Sebastian Haase ist ja als Entwickler quasi der ‚Master of tet.folio‘ – wie wir ihn gern nennen. tet.folio ist eine ganz besondere Plattform, die viele Anwendungsvorteile hat und die sehr nutzungsfreundlich gestaltet ist. Dass wir eine solche Plattform haben, ist ein großes Glück. tet.folio wird übrigens auch in anderen Fachbereichen für die digitale Lehre genutzt, z.B. in der Physik oder in der Veterinärmedizin.

 

Erzählt uns doch mal in ein, zwei Sätzen, was man sich unter dem FOCUS Videoportal vorstellen kann.

Abb. 2: Die vier Inhaltsfelder des FOCUS Videoportals mit seinen unterschiedlichen Lehr-Lerngelegenheiten (z.B. zu Inklusion und Störungen)

Abb. 2: Die vier Inhaltsfelder des FOCUS Videoportals mit seinen unterschiedlichen Lehr-Lerngelegenheiten (z.B. zu Inklusion und Störungen)

Anja Böhnke: Das FOCUS Videoportal ist eine Online-Lernumgebung, die in Zusammenarbeit von vier Arbeitsbereichen aufgebaut wurde – wir, die Erziehungswissenschaften, sind einer davon. Die drei anderen sind die Politikdidaktik, die Biodidaktik und die Grundschulpädagogik. Anders als viele andere Videoportale stellt das FOCUS Videoportal nicht nur Unterrichtsvideos zur Verfügung, sondern bettet die bereitgestellten Videos in sogenannte Lehr-Lerngelegenheiten ein. Eine Lehr-Lerngelegenheit ist eine didaktisch abgeschlossene Lerneinheit. Von unserem Arbeitsbereich gibt es z.B. eine Lerngelegenheit zum richtigen Umgang mit Störungen im Unterricht. Das sind mehrere aufeinander aufbauende Seminarsitzungen, in denen die Studierenden lernen, Störungen im Unterricht zu erkennen und mit ihnen umzugehen – sie sehen dabei sowohl funktionale, als auch dysfunktionale Strategien von Lehrkräften und lernen so einerseits was man nicht machen sollte (das ist auch wichtig!) und andererseits, welche Strategien erfolgsversprechend sind. Auch die Lerngelegenheiten von den anderen Arbeitsbereichen sind toll – aber da interviewt ihr am besten unsere Kolleg*innen aus der Politik- und Biodidaktik und aus der Grundschulpädagogik.

 

In welchem Zusammenhang ist die Idee des FOCUS Videoportals aufgekommen?

Anja Böhnke: Wir arbeiten am Arbeitsbereich von Frau Prof. Felicitas Thiel schon länger mit Unterrichtsvideos, um Strategien zum Umgang mit Unterrichtsstörungen zu trainieren. Auf der Grundlage hat unser Arbeitsbereich Ideen zu einem größeren Projekt im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickelt und Kolleg*innen aus der Fachdidaktik gewonnen, die ebenfalls Videos in der Lehrkräftebildung nutzen.

Sebastian Haase: Wir haben dann mit tet.folio ein Angebot entwickelt, das bundesweit einzigartig ist. Videos sind über eine integrierte Datenbank mit vielen Zusatzinformationen versehen. Begleitmaterialien sind den jeweiligen Videos zugeordnet und alles ist recht umfangreich verschlagwortet. Aber ich denke, was unser Portal besonders auszeichnet, ist, dass wir in den fertig vorbereiteten Lehr-Lerngelegenheiten viele Möglichkeiten der tet.folio Autor*innen-Umgebung einbringen konnten. Es sind an vielen Stellen interaktive Aufgaben eingebaut, die die Studierenden animieren sollen, konkret mit den Inhalten zu arbeiten und die Informationen für sich selbst zu organisieren und zu verarbeiten.

 

An wen richtet sich das Portal?

Anja Böhnke: Das Portal richtet sich an alle, die mit Lehrer*innenbildung zu tun haben sowie an die Akteur*innen aus der Praxis. Also an Dozierende und Studierende mit Lehramtsbezug und Lehrende und Referendar*innen aus den Schulen, natürlich auch an die Ausbilder*innen aus der zweiten Phase.

 

In welchen Fächern ist es bisher vertreten und welche weiteren Pläne gibt es?

Juliane Müller: Aktuell finden sich im Portal Videos aus dem Politik- und Biologieunterricht. Außerdem gibt es Videos aus der Grundschulpädagogik zum Thema Inklusion und Videos aus der Erziehungswissenschaft zum Umgang mit Störungen im Unterricht.

Anja Böhnke: Zurzeit arbeiten wir ja an einer Erweiterung des Portals, in der nächsten Zeit werden Unterrichtsvideos und Lerngelegenheiten in den Didaktiken der Chemie, der Informatik, der Ethik und der Geschichte entstehen.

 

Welche Ziele werden mit dem FOCUS Videoportal überhaupt verfolgt – warum nutzt ihr ausgerechnet Unterrichtsvideos und nicht etwas anderes? Was können Unterrichtsvideos, was andere Formate nicht leisten können?

Abb. 3: Arbeit mit dem Videoportal von zu Hause – Annekatrin Lietz

Abb. 3: Arbeit mit dem Videoportal von zu Hause – Annekatrin Lietz

Anja Böhnke: Unterrichtsvideos sind eine Möglichkeit möglichst nah an die realen Abläufe, Probleme usw. im Klassenraum heranzukommen. Beispielsweise, wenn man den Studierenden erklärt, wie wichtig gut eingeübte Prozeduren im Unterricht sind oder über Möglichkeiten der Motivierung spricht. Genau dann ist es sehr hilfreich, wenn man ein Unterrichtsvideo hat, das gut funktionierende Prozeduren zeigt, oder auch eines, was eine Lehrkraft zeigt, die das mit der Motivierung überhaupt nicht hinkriegt. Natürlich ist es trotzdem wichtig die Konzepte gut theoretisch einzuführen und bei den Studierenden zu verankern und wenn man dann das Ganze mit einem Video anschaulich unterfüttern kann, ist der Lernertrag bei den Studierenden meist besonders groß. Ein anderes wichtiges Potential von Unterrichtsvideos ist, dass sich mit ihrer Hilfe die Wahrnehmung von Unterricht gut schulen lässt. Es ist eine sehr wichtige Kompetenz von Lehrkräften, Unterricht gut – wir sagen professionell – wahrzunehmen. Also z.B. zu erkennen, was gerade für den weiteren Unterrichtsverlauf besonders relevante Geschehnisse sind. Hierfür sind Unterrichtsvideos ideal, denn anders als im realen Unterricht, kann man die Unterrichtsvideos stoppen, zurückspulen, nochmal angucken, diskutieren, nochmal angucken usw.

 

Nun haben wir es aktuell ja mit einer sehr besonderen Situation zu tun, in der Universitäten und Schulen vor enormen Herausforderungen stehen: Welche Vorteile sind mit dem Videoportal speziell zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbunden?

Juliane Müller: Das Videoportal stellt ja, wie schon gesagt, Lehr-Lerngelegenheiten bereit. Dozierende finden dort neben Unterrichtsvideos auch Materialen zur Seminargestaltung, die sie in einem Online-Seminar einsetzen können. Der entscheidende Vorteil in der gegenwärtigen Situation ist, dass die Dozierenden nicht erst neue Materialen entwickeln müssen und zudem auf eine Bandbreite an Unterrichtsvideos mit unterschiedlichen Schwerpunkten zurückgreifen können. So konnten sie ihre Seminare in kürzester Zeit auf ein Online-Format umstellen.

Anja Böhnke: Unsere Dozierenden haben trotzdem ganz schön geschuftet, aber aufgrund der vielen Vorarbeit, die wir hatten, ist es gelungen, auch in diesem Ausnahmesemester ein qualitativ hochwertiges Lehrangebot zur Verfügung zu stellen.

 

Welche Veränderungen bringt die Arbeit mit der Videoplattform für die Lehramtsstudierenden im Vergleich zu ‚konventionellen‘ Lehrveranstaltungen mit sich?

Juliane Müller: Zunächst einmal lässt sich das Arbeiten mit der Videoplattform zeitlich entgrenzen von einer konventionellen Lehr- bzw. Präsenzveranstaltung. Asynchrone Online-Lernformate bieten den Studierenden also eine größere zeitliche Flexibilität, z.B. für das zeitversetzte Bearbeiten von Aufgaben, was gerade mit Blick auf die Erwerbstätigkeit vieler Studierender eine Entspannung im Alltag darstellen dürfte. Natürlich können die Einzel-Videos oder die bereitgestellten Lehr-Lerngelegenheiten auch sehr gut in Präsenzveranstaltungen integriert werden. Mit Blick auf asynchrone Lernformate mithilfe des Videoportals – wie wir sie selbst am Arbeitsbereich in diesem „Kreativsemester“ durchgeführt haben – ist die größte Veränderung, so denke ich, dass die Kommunikation mit den Dozierenden zeitversetzt stattfindet und nicht ‚face-to-face“. Nachfragen können also nicht unmittelbar beantwortet werden. Die Herausforderung besteht hier also darin, klare Lernziele und präzise Instruktionen zu formulieren, die dazu beitragen, die Lerngelegenheiten erfolgreich zu absolvieren. Nichtsdestotrotz sind wir als Dozierende natürlich immer ansprechbar – sei es wie üblich per E-Mail oder auch WebEx.

 

Wie kann man sich so eine Seminarsitzung mit Videoportal genau vorstellen?

Abb. 4: Nutzeroberfläche einer Lehr-Lerngelegenheit des Videoportals für den Einsatz in Seminaren des Lehramtsstudiums

Abb. 4: Nutzeroberfläche einer Lehr-Lerngelegenheit des Videoportals für den Einsatz in Seminaren des Lehramtsstudiums

Juliane Müller: Also, wenn man sich bspw. die Lehr-Lerngelegenheit der Politikdidaktik zum Thema „Formulieren von politischen Urteilen im Politikunterricht“ anschaut, dann finden sich dort zu diesem Themenblock vier aufeinander aufbauende Sitzungen, in denen die Studierenden mit ihren Laptops arbeiten. Eine Sitzung umfasst ca. 90 Minuten. In Sitzung eins geht es um eine theoretische Einführung, z.B. „Was ist ein politisches Urteil?“. Hier lernen die Studierenden Modelle zur politischen Urteilsbildung kennen und sehen sich einen Videomitschnitt zur Urteilsphase im Unterricht an. Anschließend sollen die Studierenden Faktoren benennen, die Einfluss auf das Gelingen einer Urteilsphase haben. Sie können sich dazu direkt Notizen in der Online-Lernumgebung machen. Am Ende jeder Lerneinheit erfolgt noch einmal eine Übersicht über die absolvierten Aufgaben und ein Ausblick auf die kommende Sitzung. Für interessierte Dozierende gibt es darüber hinaus eine Handreichung im Videoportal, die den genauen Seminarablauf darlegt und die Schwerpunkte erörtert. Analog dazu finden sich auch bei den anderen Lehr-Lerngelegenheiten im Videoportal entsprechende Handreichungen, die über die Lernziele informieren und Methoden erläutern. Ebenso gibt es jeweils einen Bereich für die Studierenden, in dem für das Seminar erforderliche Materialien hinterlegt sind (s. Abb. 4).

 

Was hat euch beim Einsatz des Videoportals in einem Seminar überrascht? Wie reagieren die Studierenden darauf?

Juliane Müller: Wir haben durchweg positive Einschätzungen von den Studierenden gehört. Kommentare zur Seminarsitzung wie ‚echt cool‘ oder ‚die Arbeit mit tet.folio hat mir große Freude gebracht und ich hatte das Gefühl, mal etwas praxisnahe Erfahrung zu sammeln und würde mich zukünftig sehr über weitere Videos freuen‘, haben uns noch mal darin bestärkt, dass so ein Online-Lernformat in Kombination mit Videoanalysen ein sehr guter Weg sein kann, die Inhalte möglichst praxisnah zu vermitteln, aber auch, um entsprechende Reflexionsprozesse bei den Studierenden anzustoßen. Letztlich entspricht so ein Online-Lernformat auch dem aktuellen Zeitgeist. Wir – insbesondere unsere Studierenden – leben in einer digitalen Welt. Die Nutzung digitaler Medien wie Tablets oder Smartphones bestimmen das alltägliche Leben maßgeblich. Digitales Lernen gehört daher zukünftig einfach dazu.

 

Welche Dinge sind mit dem Videoportal nun vielleicht sogar einfacher als vor Corona? Was ist herausfordernder?

Sebastian Haase: Die aktuelle Corona-Situation hat uns natürlich alle ungewollt ins kalte Wasser geschmissen, und viele mussten ihre ersten Schritte mit Video-Conferencing etc. üben. Dass wir mit dem FOCUS Videoportal quasi einen mehrjährigen Vorsprung haben, zahlt sich nun für viele unserer Nutzer*innen aus. Einzel-Videos sowie das gesamte Angebot an bereits ausgearbeiteten Lerngelegenheiten ermöglichen nun, praxisorientierte Lehre anzubieten. Es war anfangs natürlich gar nicht klar, ob unsere Server dem Andrang standhalten würden, aber die Internetanbindung der FU scheint stabil zu sein und viele andere Unis konnten daher gleichzeitig auf unsere Videos zugreifen. Wir wissen aus Wuppertal und Stuttgart zum Beispiel, dass ganze Einführungsvorlesungen aller neuen Lehramtsstudierenden mit unseren Videos arbeiten.

 

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wohin soll sich das Videoportal zukünftig entwickeln?

Anja Böhnke: Na ja, erstmal hoffen wir, dass sich die momentanen Entwicklungen dauerhaft etablieren lassen, also wenn sich die Kooperation mit der zweiten Phase auf Basis des FOCUS Videoportals beispielsweise verstetigen ließe. Hier sind wir aber unter anderem auch von bildungspolitischen Entscheidungen abhängig. Ansonsten haben wir viele Ideen, wie sich das FOCUS Videoportal weiter ausbauen ließe. Wir planen aktuell einen Bereich, bei dem es um die Erstellung von Unterrichtsvideos geht, außerdem wollen wir uns zukünftig noch stärker mit nonverbalen Aspekten der Unterrichtsführung beschäftigen – das werden wir auch ins FOCUS Videoportal einbringen, vielleicht mit Stills, also Standbildern zu Mimik und Gestik, vielleicht auch mit kleinen Videos – mal gucken.

 

 

 

Das Gespräch führten Annekatrin Lietz & Christiane Klempin       Berlin, den 18.08.2020