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Schüler zu „fairplayern“ machen

Ein an der Freien Universität entwickeltes Antimobbing-Programm ist bundesweit gestartet

12.12.2011

Bundesweiter Start: Lehrerin Ute Nettelmann-Fahlenbrach und zwei ihrer Schüler, HansPeter Friedrich, DB-Chef Rüdiger Grube und Professor Herbert Scheithauer von der Freien Universität (v. l.) reden über "fairplayer.manual".

Bundesweiter Start: Lehrerin Ute Nettelmann-Fahlenbrach und zwei ihrer Schüler, HansPeter Friedrich, DB-Chef Rüdiger Grube und Professor Herbert Scheithauer von der Freien Universität (v. l.) reden über "fairplayer.manual".
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ein Fairplayer werden: In Rollenspielen lernen die Schüler, sich in die Rollen von Opfern, Tätern, Zuschauern und Mitläufern zu versetzen.

Ein Fairplayer werden: In Rollenspielen lernen die Schüler, sich in die Rollen von Opfern, Tätern, Zuschauern und Mitläufern zu versetzen.
Bildquelle: Jan Hambura

„Hey, ihr da! Was wollt ihr hier?“ Drei Schülerinnen bauen sich vor drei sitzenden Jungen auf. Ein Mädchen stemmt ihre Arme in die Seite, die anderen beiden untermalen ihre aggressive Stimmung durch abrupte Armbewegungen, wie sie Rapper in ihren Musikvideos vollführen. „Das sind unsere Plätze, weg da!“ Die drei Jungs, die ihre Sitze im Bus räumen sollen, gucken zunächst perplex, ein wenig verängstigt. Sie möchten sitzenbleiben, doch die Mädchen geben keine Ruhe. Als weitere Schüler den Opfern zur Hilfe eilen, eskaliert die Situation und mündet in Handgreiflichkeiten. Wieder andere sehen weg. Dann ertönt ein Zwischenruf, der das Rollenspiel beendet und den Pulk auflöst.

„So – was ist da gerade passiert?“, fragt die Psychologin Kirsten Zimmermann. Die Schüler des Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasiums in Berlin-Prenzlauer Berg können wieder ihre normalen Plätze im Klassenraum und ihre gewohnten Rollen einnehmen. Gemeinsam sehen sie sich die Videoaufzeichnung des Konflikts an und diskutieren, wie sich die Mobbing-Situation entwickelt hat. Die Übung soll Schülern dabei helfen, sich in andere Personen einzufühlen und ist Teil des Antimobbing-Programms „fairplayer.manual“, das an der Berliner Modellschule erprobt wurde. Entwickelt haben es Wissenschaftler um Professor Herbert Scheithauer vom Arbeitsbereich „Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie“ der Freien Universität Berlin.

„Heute macht jeder zehnte Schüler mindestens ein Mal pro Woche Mobbing-Erfahrungen, als Täter oder Opfer“, sagt Scheithauer. Das Programm „fairplayer.manual“ hilft erwiesenermaßen dabei, diesen von Gewalt und Angst geprägten Situationen im Schulalltag vorzubeugen. „Das Programm fördert soziale Kompetenzen und vermittelt den Schülern moralische Sensibilität, also ein Gefühl für Grenzen und Moral“, sagt Scheithauer.

An der „fairplayer“-Modellschule stand das „fairplayer.manual“ über mehrere Monate auf dem regulären Stundenplan. Dabei lernten die Schülerinnen und Schüler der 7. bis 9. Klassen auch, wie sich diese Situationen friedlich lösen lassen. „Vor dem Programm wusste ich gar nicht, dass es neben Tätern und Opfern auch die Rolle der Mitläufer gibt“, sagte einer der Schüler. „Heute schreite ich in solchen Fällen ein.“ Die Klassen griffen während des Trainings die verschiedenen Formen von Gewalt auf und lernten mithilfe grüner, gelber und roter Kärtchen, ihre Gefühlslage und die Stimmung in der Gruppe einzuschätzen. Angeleitet wurden sie dabei von geschulten Sozialarbeitern und Schulpsychologen. „Wichtig bei ,fairplayer‘ ist das Gruppenumfeld, in dem der richtige Umgang miteinander vermittelt wird. Bei der Arbeit nur mit einzelnen Schülern ließe sich dieser Erfolg nicht erzielen, denn Mobbing entsteht in der Gruppe und muss auch dort bearbeitet werden“, sagt Herbert Scheithauer. Seine Arbeit trägt Früchte, das bestätigen alle Beteiligten: „Heute können die Schüler ihr Verhalten besser einschätzen, und die Klassengemeinschaft ist deutlich gestärkt“, sagt Lehrerin Ute Nettelmann-Fahlenbrach.

Beim bundesweiten Start des Programms präsentierten Schüler das Projekt vor Bahnchef Rüdiger Grube und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der auch Kuratoriumspräsident der Stiftung „Deutsches Forum für Kriminalprävention“ (DFK) ist. Die Deutsche Bahn AG unterstützt die Umsetzung des Programms mit einem siebenstelligen Betrag. Grube berichtete von Gewalt und Mobbing, wie er es als Jugendlicher an der Hauptschule selbst erlebt hatte, und spannte den Bogen zu seinem heutigen Tätigkeitsfeld: „Die Deutsche Bahn transportiert jeden Tag 7,5 Millionen Menschen. Eines unserer Leistungsversprechen ist Sicherheit.“ Durch das Programm „fairplayer.manual“ werde soziales Engagement gelehrt und den Schülern Hilfe zur Selbsthilfe geboten.

Als Investition in den gesellschaftlichen Zusammenhalt sieht es auch Innenminister Friedrich. „Das Programm hat einen sehr breiten Ansatz, es greift nicht nur bei Einzelfällen oder speziellen Problemen“, sagte Friedrich. Angesichts des demografischen Wandels sei es heute wichtiger denn je, dass kein einziger junger Mensch während der Schulzeit auf der Strecke bleibe.

Herbert Scheithauer betonte, dass das „fairplayer.manual“ „kein Zündfeuerchen“ sei, sondern eine Maßnahme, die dank starker Partner nun bundesweit und langfristig an den Start gehen könne. „,fairplayer‘ unterscheidet von der Vielzahl anderer Programme, dass es evaluiert ist und sich dabei als erfolgreich unter Beweis gestellt hat.“ Scheithauer und sein Team begleiteten die Entwicklung des Programms: Vor dem Training mit dem „fairplayer.manual“ und zu verschiedenen Zeitpunkten danach befragten sie in mehreren Studien Schüler und Lehrer. Diese gaben an, dass sich das Klima in der Klasse durch das Antimobbing-Training deutlich verbessert habe.

Bundesweit können sich Multiplikatoren wie Lehrer, Schulsozialarbeiter oder Schulpsychologen ausbilden lassen, um die Inhalte des „fairplayer.manuals“ an ihren Schulen umzusetzen.