Springe direkt zu Inhalt

„Ohne den gewissen Gründer-Gendefekt geht nichts“

Ein Gespräch mit Lars Hinrichs, Gründer des Business-Netzwerks XING, und Lydia Horn, Erfinderin der Erzähl-Plattform storytude

14.10.2011

Orte werden zu Geschichten: Storytude bietet Informatives und thematische Stadttouren – mit der GPS-Funktion können Nutzer die Orte des Geschehens ablaufen.

Orte werden zu Geschichten: Storytude bietet Informatives und thematische Stadttouren – mit der GPS-Funktion können Nutzer die Orte des Geschehens ablaufen.
Bildquelle: storytude

Herr Hinrichs, 2003 haben Sie XING gegründet, damals noch unter dem Namen openBC. Können Sie sich erinnern, wie und wo Sie auf die Idee kamen?

HINRICHS: Ich habe am Strand in Kuba das Buch The Tipping Point von Malcolm Gladwell verschlungen. Da ich jemand bin, der immer gern die Kontakte seiner Kontakte kennenlernt, war die Gründung einer Netzwerk-Plattform im Internet irgendwie logisch. Dann war ich wieder in Hamburg und habe die Idee ausgefeilt. Eine Woche später war ich beim Notar, zweieinhalb oder drei Monate später ging die Website online, und 90 Tage später war das Unternehmen profitabel.

Wie war es bei Ihnen, Frau Horn?

HORN: Meine Mitbewohner hatten die Idee, Spiel und Spaß, Handys und das Internet in einem Produkt zusammenzubringen und damit an einem Ort etwas über dessen Geschichte zu erfahren. Sie dachten dabei an ein Produkt, das sie eigentlich selbst gern gehabt hätten, das es aber noch nicht gab. Das war der Anfang von storytude.

Was macht eine gute Gründeridee aus?

HINRICHS: Entweder schaffen Sie einen neuen Markt, weil sie etwas komplett Neues erfinden, oder Sie sind der kreative Zerstörer in einem bisherigen Markt. Das eine oder das andere. Das sind die Ideen, die mich ansprechen.

HORN: Ich würde das weiter fassen. Es muss vor allem eine Idee sein, die einen selbst begeistert, bestenfalls auch noch andere. Dann, glaube ich, hat man eine Chance, die Idee profitabel zu machen - vorausgesetzt, das ist das Ziel der Unternehmung.

HINRICHS: Ich betrachte das Thema Profitabilität ein bisschen anders. Ich glaube, wenn Sie aufs Geld achten, dann werden Sie als Gründer scheitern. Geld ist ein nettes Nebenprodukt …

HORN: … so will ich das auch verstanden wissen.

Liegt das „Gründer-Gen“ bei Ihnen, Herr Hinrichs, in der Familie? Ihr Urgroßvater war als Gründer der Stadtbäckerei erfolgreicher Unternehmer in Hamburg.

HINRICHS: Mein Urgroßvater war Unternehmer, mein Großvater, meine Eltern beide, mein Bruder ist Unternehmer - da könnte man schon von einem weitergereichten "Gendefekt" sprechen.

Gibt es in Ihrer Familie auch eine Gründungstradition, Frau Horn?

HORN: Eher nicht: Ich komme aus dem Osten Deutschlands, da fehlt es in der näheren Familie leider an Unternehmervorbildern. Die Faszination kam aber relativ schnell nach der Wende.

Haben Sie für Ihre Geschäftsidee storytude Konkurrenten – oder ist die Idee einzigartig?

HORN: Es gibt zwei, drei ähnliche Dinge in den USA und in Frankreich, aber auch nicht vergleichbar mit unserem Plattform-Ansatz. Auch beim Geschäftsmodell unterscheiden wir uns, wir sind wie ein AppStore für ortsbasierte Geschichten und Stadtführungen. Das gibt es so noch nicht.

HINRICHS: Ich finde es extrem langweilig, wenn es Mitbewerber gibt oder wenn es darum geht, Geschäftsmodelle aus Amerika zu importieren. Es gibt ja mittlerweile ganze Klon-Werkstätten in Berlin. Das klingt ein bisschen nach Andy Warhols Factory in London oder in New York, als alle dachten, er hätte alle Bilder selbst gemacht …

HORN: … das hat Rembrandt mit seinen Schülern nicht anders gemacht …

HINRICHS: … ja, aber wir leben in einer anderen Zeit. Facebook ging 2004 an den Start, also ein Jahr nach openBC. Das ist übrigens ein exzellenter Beweis dafür, dass man nicht der Erste sein muss, um erfolgreich zu sein. Allerdings muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Es gibt Business-Netzwerke und Freizeit-Netzwerke. Das sind zwei unterschiedliche Systeme.

Haben Sie Facebook zunächst als Gefahr gesehen oder als Herausforderung?

HINRICHS: Weder noch. Auch als wir an die Börse gegangen sind, war uns nicht klar, dass Facebook so massiv wachsen würde.

Wovor würden Sie junge Gründer heute warnen, Herr Hinrichs, oder anders gefragt: Was hätten Sie damals gern gewusst?

HINRICHS: Als Gründer ist man ausreichend beratungsresistent. Insofern muss wohl jeder seine eigenen Erfahrungen machen. Ich halte es aber für hilfreich, wenn man einfach mal aufschreibt, was richtig war und was falsch. Bei XING war diese Liste 128 Punkte lang, etwa die Hälfte davon war gut bewertet, die andere Hälfte schlecht. Ich glaube, dass eine solche Selbstreflexion und die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, wichtig sind für Gründer.

Gibt es bei Ihnen, Frau Horn, Dinge, die Sie im Nachhinein anders gemacht hätten?

HORN: Auf jeden Fall. Nach wie vor für richtig halte ich, dass wir naiv genug waren, es einfach zu probieren. Alles andere ist bestimmt verbesserungsfähig. Man sollte sehr viel ins Team investieren und genau erfassen, wer welche Bereiche übernehmen kann. Da darf man nichts dem Zufall überlassen.

Gab es einen Moment, in dem Sie gesagt haben, jetzt haben wir es geschafft?

HINRICHS: Wenn Sie nach 90 Tagen einen positiven Cashflow haben, ist das schon ein verdammt gutes Gefühl.

Sind Sie am Anfang ein großes finanzielles Risiko eingegangen?

HINRICHS: Ich habe 30.000 Euro investiert.

HORN: Wenn man eine GmbH zu dritt gründet, kann man sich ausrechnen, was man da einlegen muss: 25 000 Euro. Wir sind von Anfang an gut finanziert gewesen, erst über das Exist-Förderprogramm, dann über Business-Angels.

Wie schafft man es, bei einer Unternehmensgründung das Ziel im Auge zu behalten und dennoch flexibel auf dem Weg dorthin zu bleiben?

HORN: Ich denke, vieles passiert da intuitiv. Und ich glaube, wer nicht fähig ist, Schwächen zu erkennen und an ihnen zu arbeiten, wird es nicht schaffen.

HINRICHS: Flexibel zu sein, ist Handwerk. Entweder kann man das, oder man kann es nicht. Das merkt man relativ schnell. Die größte Herausforderung besteht im Grunde darin, eine Vision so groß zu gestalten, dass man sie auch wirklich erreichen möchte.

Sie haben 2010 den Aufsichtsrat von XING verlassen, Herr Hinrichs. Muss man als Gründer zwangsläufig Nomade sein?

HINRICHS: Mir wird einfach irgendwann langweilig.

Hat das etwas mit dem Gründer-Gen zu tun? Lässt einen das ruhelos werden?

HINRICHS: Ich bin nicht ruhelos. Ich habe einfach nur viele Ideen, und ein paar davon möchte ich umsetzen. Ich bin mit Leib und Seele Produktmensch. Wenn man aber irgendwann mehr mit dem Management von Personen zu tun hat als mit Produktmanagement, dann ist das für mich ein guter Zeitpunkt zu sagen: Jetzt wechsle ich mal.

Können Sie sich auch vorstellen, Frau Horn, dass es für Sie irgendwann etwas anderes als storytude gibt?

HORN: Durchaus. Mir geht es allerdings eher um bestimmte Arbeitsbedingungen: Ich bevorzuge kleine Strukturen. Ich steuere gerne an allem und an der Gesamtidee, aber wenn das Ganze zu groß wird, finde ich es nicht mehr spannend.

Herr Hinrichs, Sie sprechen Ende Oktober auf dem Entrepreneurship Summit, einer Gründertagung an der Freien Universität Berlin. Was ist dabei für Sie von besonderem Interesse?

HINRICHS: Ich komme gern, wenn ich davon ausgehen kann, interessante Leute zu treffen: vielleicht Programmierer mit sensationellen Geschäftsideen. Mir ist es wichtig, im Publikum meine Zielgruppe zu finden.

Menschen mit dem kleinen Gendefekt?

HINRICHS: Genau, mit diesem kleinen positiven Gendefekt.

— Die Fragen stellten Christine Boldt und Carsten Wette.