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Neue Wege in der Therapie von Diabetes

15.10.2010

Diabetes mellitus Typ II ist eine immer häufiger auftretende Zivilisationskrankheit, deren Spätfolgen sich immer früher zeigen. Sind ineffiziente Strukturen und Handlungsmuster bei Ärzten, Patienten oder innerhalb des Gesundheitssystems dafür verantwortlich? Annette Reuter, Doktorandin an der Freien Universität Berlin, untersucht am Fallbeispiel der Diabetes-Behandlung die sozialwissenschaftlichen Hintergründe von ärztlichen Routinen. Diabetes mellitus Typ II ist – anders als Typ I – nicht ererbt, sondern aufgrund fehlender Bewegung und unausgewogener Ernährung erworben. Die Patienten leiden oft an den Spätfolgen der Krankheit, die kostenintensiv sind, wie Annette Reuter im Rahmen ihres Promotionsprojektes feststellte.

Die Soziologin promoviert am Pfadkolleg, das am Bereich Betriebswirtschaftslehre der Freien Universität Berlin angesiedelt ist. Untersucht werden hier Effizienz und Ineffizienz von Handlungsmustern – sogenannten Pfaden. „In den Abläufen und Strukturen des Gesundheitssystems habe ich eine Fülle von Beispielen zur Pfadabhängigkeit gefunden, das heißt zu festgefahrenen Prozessen“, erklärt Annette Reuter. So sei die Diabetes-Behandlung und -Versorgung verantwortlich für ineffiziente Situationen bei den Patienten. Annette Reuter, die vor ihrem Studium selbst als examinierte Krankenschwester tätig war, untersucht, was im Behandlungsalltag zwischen Patient und Arzt geschieht. Hierzu analysierte die Soziologin eine Verlaufsstudie, bei der die Daten von Diabetes-Patienten in Hausarztpraxen von 1989 bis 2009 ausgewertet wurden. Reuter möchte herausfinden, ob Ärzte nach der Erstdiagnose eher Medikamente verordnen, statt dem Patienten die Chance zu eröffnen, die Erkrankung durch die Umstellung der Ernährung und durch mehr Bewegung zu therapieren. Diese Routine der zu frühen Medikation wird Reuter zufolge vom Gesundheitssystem und der Industrie begünstigt.

Als möglichen Lösungsansatz aus dieser „Sackgasse“ heraus schlägt sie vor, die Diabetes-Versorgung häufiger als bisher in einem Teamkonzept zu organisieren, das Ärzte, Patienten, Pflegepersonal und Angehörige einbezieht und in manchen Praxen teilweise schon existiert. Außerdem solle die Pflege stärker professionalisiert werden, was im derzeitigen System bislang nicht möglich sei. Grund dafür ist, dass der bestehende gesetzliche Ausbildungsrahmen beispielsweise eigenverantwortliche Entscheidungen von Pflegekräften nur eingeschränkt zulasse.

Diese Vorschläge zielen darauf ab, dass Ärzte wieder mehr „ausprobieren und auch die Eigeninitiative der Patienten angesprochen wird“, erklärt die Wissenschaftlerin. So könnte mehr Anreiz dafür geschaffen werden, das Auftreten der Spätfolgen von Diabetes mellitus Typ II auch ohne Medikation hinauszuzögern.

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte interdisziplinäre Graduiertenkolleg „Pfade organisatorischer Prozesse“ besteht seit 2005 und ist 2007 als erstes sozialwissenschaftliches Programm der Dahlem Research School der Freien Universität angesiedelt worden. Das Graduiertenkolleg „Pfade organisatorischer Prozesse“ vergibt für 2011 insgesamt 15 neue Doktorandenstipendien.Bewerbungsschluss ist der 31. Oktober 2010.