"Verhaltensfoscher" in der Miniaturwelt
Chemiker Rolf Huisgen erhielt die Ehrendoktorwürde der Freien Universität
19.04.2010
Von Chemiker zu Chemiker: Professor Rainer Haag gratuliert Professor Rolf Huisgen zur Ehrendoktorwürde der Freien Universität.
Bildquelle: Freie Universität Berlin
Der Zweite Weltkrieg hatte gerade begonnen, als Rolf Huisgen – geboren 1920 in der Eifel – 1939 sein Chemie-Studium in München aufnahm. Sein Vater förderte früh sein Interesse für die Naturwissenschaften. Mit 13 Jahren erhielt Huisgen einen Chemie-Baukasten. „Das sorgte für Aufregung zu Hause“, erinnert er sich schmunzelnd. Bei Nobelpreisträger Heinrich Wieland promovierte Huisgen 1943 über ein Strychnos-Alkaloid. Ein Jahr später wurde das Institut im Bombenhagel zerstört. Was aus den Trümmern gerettet werden konnte, wurde auf mehrere Außenstellen verteilt. Huisgen richtete sein Labor in einer ehemaligen Baracke des Reichsarbeitsdienstes in Weilheim (Oberbayern) ein. „Wir forschten unter provisorischen Bedingungen, was aber nicht schlecht war“, sagt er.
1946 heiratete er seine Kollegin Trudl Schneiderhahn. Die Liebe zu ihr hatte im Labor begonnen und sollte 60 Jahre andauern. 1949, erst 29 Jahre alt, wurde der Chemiker Professor in Tübingen. Drei Jahre später rief ihn die Universität München zurück: Es galt ein neues Institut aufzubauen. „Ich war sehr froh, die traditionsreiche Forschungsstätte ,wiederbeleben‘ zu dürfen“, erinnert er sich an den Wechsel. Bis zur Emeritierung im Jahr 1988 blieb Rolf Huisgen seiner Alma Mater treu.
Bekannt wurde der Chemiker vor allem durch die sogenannte 1,3-dipolare Cycloaddition, bei der sich zwei kleine Moleküle unter Bindungsverschiebung zu einem fünfgliedrigen Ring zusammenschließen. Eine Reaktion, die nicht nur bei der Synthese komplexer Naturstoffe sehr nützlich ist. Neben neuen Reaktionstypen und -mechanismen interessierten ihn Probleme der physikalisch-organischen Chemie. Fast 600 Publikationen gehen auf das Konto des vielfach ausgezeichneten Wissenschaftlers. Die Ehrendoktorwürde, die ihm die Freie Universität im Februar verlieh, ist bereits seine siebte.
Den Privatmenschen Huisgen interessieren alte Kulturen, Archäologie, klassische Musik – und vor allem Kunst. Sein älterer Bruder, der im Krieg fiel, hatte ihm die moderne Malerei einst nahe gebracht. „Er war wild begeistert vom deutschen Expressionismus“, sagt Huisgen, „eine damals als entartet geschmähte Kunstrichtung.“ Später wurden er und seine Frau selbst zu Sammlern.
Seine ältere Tochter lehrt Mathematik an der University of California in Santa Barbara, die jüngere ist Dolmetscherin und übersetzt amerikanische Literatur. „Beiden wurde die Chemie durch unfähige Lehrer in der Schule verleidet, ebenso meiner Enkelin“, sagt Huisgen bedauernd. Der Chemieunterricht sollte sich seiner Ansicht nach mehr am Alltag orientieren: „Reaktionsmechanismen sind da völlig fehl am Platz!“
Rolf Huisgens Begeisterung für die Chemie hat indes nie nachgelassen. Heute, mit fast 90 Jahren, besucht er noch regelmäßig wissenschaftliche Colloquien. Und er verfolgt mit Stolz, wie seine zahlreichen Schüler, längst selbst Professoren im In- und Ausland, mit neuen Forschungsprojekten die Anerkennung der Fachwelt finden. Um die Zukunft der Chemie ist ihm nicht bange. Doch hätte er heute die Wahl, würde er wohl Molekularbiologie studieren. „Dort“, sagt er, „passieren derzeit große Dinge! Das würde mir Spaß machen.“
Von Catarina Pietschmann