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Das Unbekannte tanzen

Der Choreograf Xavier Le Roy ist in diesem Semester Valeska-Gert-Gastprofessor an der Freien Universität Berlin

Choreograf Xavier Le Roy.

Choreograf Xavier Le Roy.
Bildquelle: Foto Karin Schoof

Von Susanne Foellmer

Wenn es eine Konstante im Leben der Berliner Tänzerchoreografin Valeska Gert gibt – deren Namen die Gastprofessur am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin trägt – dann die, sich niemals auf einen Stil festzulegen. Nie das immergleiche tun, sondern radikal die Arbeitsweise wechseln, sobald sich die Kunst zu etablieren droht. Das eigene Tun in Texten reflektieren und auf die Tanzsoli zurückwirken lassen. Ein kritisches Auge werfen auf alles, was nach Tradition oder Bequemlichkeit verlangt.

Die Choreografin steht in den 1920er Jahren für eine im besten Sinne avantgardistische Kunsthaltung, die sich nicht zufrieden in Erfolgen einrichtet, sondern sich selbst und ihr Publikum beständig herausfordert. Ihre experimentellen Ansätze, die Kunst, Gesellschaft und theoretische Reflexion verbinden, waren insofern impulsgebend für die im Wintersemester 2006/07 an der Freien Universität Berlin eingerichtete Valeska-GertGastprofessur für Tanz und Performance.

Künstler wie Michael Laub und Anna Huber, aber auch Theoretiker wie Mark Franko oder Rudi Laermans bieten seither den Studierenden die Möglichkeit, scheinbar existierende Trennungen von Kunst und Wissenschaft aufzubrechen und den Tanz auf dieser Grundlage zu hinterfragen. In diesem Sommersemester ist der französische Choreograf Xavier Le Roy zu Gast, dessen Geisteshaltung und ästhetisches Wirken in mancher Hinsicht mit Valeska Gert in Verbindung gebracht werden kann, wenn auch sein Werdegang weniger typisch ist.

Le Roy ist promovierter Molekularbiologe, stellt allerdings für sich schnell fest, dass Forschung nicht frei, sondern gerade in der Naturwissenschaft immer auch an die ökonomischen Sachzwänge gekoppelt ist, Ergebnisse zu präsentieren. Unzufrieden mit einer akademischen Haltung, die nicht mehr die Neugierde und das Fragen, sondern die Produktorientierung in den Mittelpunkt rückt, beginnt er, sich nach Alternativen umzusehen und landet beim Tanz, zunächst, um einen physischen Ausgleich zu finden. Schnell wird deutlich, dass der Tanz eine körperbezogene Forschung ermöglicht, die Le Roy in dieser Form an der Universität nicht findet. In seiner „Lecture Performance“ Product of Circumstances im Jahr 1999 bemerkt er dazu: „Das Denken wurde zu einer körperlichen Erfahrung. Mein Körper war zugleich (…) Objekt und Subjekt, Analysierender und Analysierter, Produkt und Produzent.“

Die forschende Haltung dem Körper und der Kunst gegenüber ist von Beginn an in Le Roys nun choreografischem Schaffen präsent: International bekannt wird er ab 1998 mit dem Solo-Projekt Self Unfinished, in dem er Konfigurationen des Körpers entwickelt, die bis dahin im Tanz nicht zu sehen waren: Eine Versuchsanordnung wie im Labor, in einem weißen Raum mit hellem Neonlicht, in dem sich der Körper des Performers in einem unablässigen Stadium der Metamorphose befindet und Körperbilder generiert, die zuweilen an amphibische Wesen oder Insekten erinnern.

Stellte etwa das Tanztheater Pina Bauschs ab den siebziger Jahren die Tanzenden in ihrer biografischen und gesellschaftlichen Verfasstheit in den Mittelpunkt der Stücke, im Sinne eines „Warum?“, so fragen Projekte wie die Le Roys nun vermehrt nach dem „Wie“ der Bewegung und untersuchen den Körper selbst als verformbare, ausdehnbare Materie. Mit diesem neuen Ansatz geht jedoch auch das Bestreben von Kritikern und Veranstaltern einher, Le Roy auf jene Körperwandlungen festzulegen: Der Choreograf gerät zum regelrechten Erfinder dieser Ästhetik, rasch wird das Irritierende und Ungeformte, das sein Solo erzeugte, zum Label, plakatiert in Ausstellungen oder auf Buchtiteln als pars pro toto für experimentelles Theater und besonders den zeitgenössischen Tanz.

Wieder ist Xavier Le Roy damit konfrontiert, an einem repräsentativen Produkt mitzuwirken, ein Umstand, der doch gerade vermieden werden sollte. Konsequent – und in diesem Handeln an Valeska Gert erinnernd – ändert Le Roy seine Arbeitspraxis. In dem über einen längeren Zeitraum angelegten Projekt E.X.T.E.N.S.I.O.N.S. steht 1999 nicht mehr sein Name im Programm: Alle Beteiligten sind auch die Autoren des Prozesses, welcher Recherche, Probe und Aufführung nahtlos ineinander übergehen lässt. Nicht das Endresultat, sondern die künstlerisch improvisierende Auseinandersetzung und Zusammenarbeit schieben sich nun verstärkt in den Vordergrund der ästhetischen Suche.

In den vergangenen Jahren hat sich der Choreograf zunehmend der Musik zugewandt und untersucht in Stücken wie Mouvements für Lachenmann (2005) und Le Sacre du Printemps (2007) die Verhältnisse von Klang, Hören und Bewegungserzeugung. Das fragende Forschen ist dabei eine Linie, die sich wie ein roter Faden durch Le Roys Arbeiten zieht: Und so wird er auch am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität kein in Stein gemeißeltes Wissen vermitteln, sondern die Studierenden animieren, Kategorien zu erschüttern und das Denken in Bewegung zu bringen.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin