Wenn der Frühling zur Qual wird
Der Polleninformationsdienst der Freien Universität Berlin gibt täglich genaue Vorhersagen für Allergiker heraus
Von Aliki Nassoufis
Sie sind federleicht, mit dem bloßen Auge meist nicht zu erkennen und doch eine große Last für viele Allergiker: Fast jeder dritte Mensch in Deutschland leidet an einer Überempfindlichkeit gegen Pollen. Gerade jetzt im Frühjahr läuft schon seit Wochen die Nase, die Augen brennen, der Hals kratzt, und manchmal dröhnt auch der Kopf. Das ist nicht nur lästig, sondern führt häufig zu Einschränkungen während der Arbeitszeit oder sogar zu tagelangen Ausfällen. Entwarnung ist dabei nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Anteil der Pollenallergiker steigt seit Jahren stetig. Die Meteorologen des Polleninformationsdienstes der Freien Universität Berlin haben es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit jeden Tag über die genauen Pollenkonzentrationen in der gesamten Stadt zu unterrichten. Außerdem ist für diesen Sommer eine bundesweit einmalige Aktion zur Bekämpfung der hochallergenen Ambrosia-Pflanze geplant (siehe unten).
In einem roten Backsteinwasserturm in Steglitz hat der Polleninformationsdienst der Freien Universität seinen Sitz. Seit 1982 werden hier die täglichen Pollendaten bestimmt und ausgewertet. Damit verfügt die Universität über eines der bundesweit ältesten Datenarchive zu diesem Thema und kann Veränderungen der Pollenbelastung „aus erster Hand“ weitergeben. „Eigentlich gab es im Jahr immer mehrere absolut pollenfreie Monate“, sagt der Diplom-Meteorologe Thomas Dümmel, der die Arbeitsgruppe Meteorologische Informations- und Kommunikationssysteme leitet. In dieser Zeit konnten Allergiker aufatmen. Doch durch den Klimawandel fliegt der feine Blütenstaub seit ein paar Jahren mittlerweile fast das ganze Jahr über und verkürzt so die pollenfreie Zeit erheblich.
So blüht die Birke wegen der wärmeren Frühlingsmonate etwa zehn Tage früher als noch vor 25 Jahren, wie Dümmel aus seinen Messungen weiß. Doch wer nun hofft, dass die Birke zwar früher blüht, ihre Pollen dafür aber auch im April wieder verschwunden sein werden, liegt falsch. „Das Ende der Blühzeit hat sich kaum verändert“, berichtet Dümmel. „Somit gibt es jetzt eine längere Blühdauer.“
In der Großstadt Berlin kommt für Allergiker außerdem ein weiterer, erschwerender Faktor hinzu: Wie Allergologe Michael Silbermann berichtet, werden die Atemwege durch die Feinstaubbelastung überempfindlich. „Wenn die Schleimhäute geschädigt sind, haben es die allergieauslösenden Stoffe leichter, weil sie keine Barriere mehr zu überwinden haben“, erklärt Silbermann, der den Polleninformationsdienst Berlin einst mit begründete.
Doch das ist noch nicht alles. Seit einigen Jahren verbreitet sich auch die Ambrosia-Pflanze, das Traubenkraut, stark in der Region. Ursprünglich stammt sie aus Nordamerika, wurde aber mittlerweile unter anderem durch Vogelfutter aus Osteuropa bundesweit eingeschleppt. Was aussieht wie harmloses Unkraut, ist in Wirklichkeit eine enorme Gefahr für Allergiker: Das Traubenkraut hat das weltweit stärkste Pollenallergen – eine einzige Pflanze kann im Herbst bis zu einer Milliarde Pollen ausstoßen. Dabei reichen laut Dümmel sogar nur zehn Pollenkörner in einem Kubikmeter Luft aus, um einen Heuschnupfen-Anfall auszulösen.
Für Allergiker sind das schlechte Nachrichten. Zwar reagieren zum Glück nur wenige Allergiker auf alle Pollenarten, dennoch bedeutet es für viele, dass sie wochen- oder monatelang unter einer Schniefnase und Reizhusten leiden. „Viele Menschen nehmen den Heuschnupfen aber trotzdem nicht ernst“, sagt Allergologe Silbermann, der die Meteorologen der Freien Universität weiterhin in medizinischen Fragen berät. Wer jedoch nicht aufpasst, bei dem kann sich der Heuschnupfen mit der Zeit zu einem Asthma entwickeln. Mediziner sprechen dann von einem Etagenwechsel, da die Erkrankung in die unteren Atemwege rutscht. „Das kommt sogar sehr häufig vor“, sagt Silbermann. „Bis zu 50 Prozent der Menschen mit Heuschnupfen machen einen Etagenwechsel durch.“
Neben einer angemessenen Therapie ist es für die Betroffenen daher erst einmal sehr wichtig zu wissen, wie hoch genau jeden Tag die Pollenbelastung in der Luft ist. Dafür betreibt der Polleninformationsdienst der Freien Universität Berlin zwei Pollenfallen, eine in Steglitz, die andere in Prenzlauer Berg. Diese saugen Luft an, und die festen Bestandteile werden auf einem sich weiterdrehenden Klebestreifen eingefangen. Durch eine Analyse des Klebestreifens unter dem Mikroskop bestimmen die Meteorologen, wie hoch die aktuelle Konzentration einer Pollenart ist und erkennen sofort, ob die Pollenanzahl steigt oder sinkt. Wenn sie dann die Wetterdaten der kommenden Tage dazunehmen, können die Experten relativ genau vorhersagen, wie sich die Pollenbelastung in den kommenden Tagen verändern wird. „Ist die Birke weiterhin mitten in ihrer Blühphase und kommt in den nächsten Tagen trockenes, warmes und windiges Wetter hinzu, dann wird die Pollenkonzentration in der Luft hoch sein“, erklärt Dümmel. Steht jedoch eine Regenfront kurz bevor, können Allergiker mit einer kurzzeitigen Entwarnung rechnen. Während andere Polleninformationsdienste melden, ob die erwartete Konzentration schwach, mittel oder hoch sein wird, wollen die Experten der Hochschule genauer sein. „Ein und dieselbe Pollenkonzentration kann bei verschiedenen Allergikern eine unterschiedlich starke Reaktion hervorrufen“, sagt Silbermann. Deswegen verkündet der Polleninformationsdienst der Freien Universität auch die exakten Daten. So kann jeder Allergiker aus eigener Erfahrung einschätzen, ob der nächste Tag eine Qual oder vielleicht doch relativ entspannt wird.
Ambrosia-Scouts im Einsatz
„Die Ambrosia-Pflanze droht in Berlin sesshaft zu werden und wird zunehmend zum Problem für Allergiker“, sagt Meteorologe Dümmel. Deswegen planen er und seine Mitarbeiterin Sandra Kannabei zusammen mit der Gesundheitsverwaltung des Berliner Senats, dem Pflanzenschutzamt und den Beschäftigungsträgern „meco“ und „trias“ im Sommer eine bundesweit einmalige Aktion: Mithilfe von Ambrosia-Scouts sollen Ambrosien gesucht und kartiert werden. Dabei sollen viele mit ihren Wurzeln ausgerissen werden. „Wir wollen das Problem systematisch angehen und eine Art Leuchtturmprojekt für ähnliche Aktionen werden“, sagt Dümmel. Außerdem soll die Bevölkerung weiter für das Thema sensibilisiert und aktiviert werden. „Vielleicht greift dann auch die Politik stärker ein. Denn wir haben eine Chance, die Pflanze wirksam zu bekämpfen, und die müssen wir nutzen“, sagt Dümmel. Das sei zwar ein sehr ehrgeiziges Ziel, könne aber durchaus Erfolg haben. „Wir können viel erreichen, wenn wir alle zusammenarbeiten.“