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Ein unverhofftes Karrieresprungbrett

Eberhard Diepgen engagierte sich für studentische Selbstverwaltung

Von Kerrin Zielke

Aufgewachsen ist Eberhard Diepgen im Berliner Bezirk Wedding. Hier lebte er auch als Student – ganz in der Nähe der Wollankstraße. Der Bau der Mauer 1961 begann damit in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Als er am Tag danach zu seiner Arbeit als Werkstudent bei Siemens kam, waren von drei Schichten nur noch die Mitarbeiter einer halben Schicht da. Bis zu diesem Tag hatten die Freie Universität Berlin – Diepgen war hier seit dem Vorjahr für Jura eingeschrieben – regelmäßig Ost-Studenten und FDJ-Anhänger besucht, um mit den West-Studenten zu diskutieren. Das war nun vorbei.

An der Freien Universität stand etwa ein Viertel der Immatrikulierten vor der Entscheidung, im Westen zu bleiben oder das Studium dort aufzugeben. Die Mehrheit der Ost-Studenten entschied sich für den Verbleib in West-Berlin. Später zog die Universität immer mehr Studenten aus der alten Bundesrepublik an: Sie folgten einem Aufruf der westdeutschen Regierung, aus Solidarität ein Semester in Berlin zu studieren oder zogen hierher, um sich dem Wehrdienst zu entziehen.

„Die Studentenschaft war schon immer stärker politisch engagiert als an anderen Universitäten – die Freie Universität ist ja auch eine studentische Gründung gewesen“, sagt Eberhard Diepgen. Er arbeitete in vielen Ausschüssen und Gremien der Freien Universität mit. 1962 wurde er CDU-Mitglied – „aus Protest gegen eine zunehmend doktrinäre Diskussionsart“. 1963 Jahr trat er für eine Koalition aus RCDS, Sozialdemokratischem Studentenbund und der Katholischen Studentengemeinde zur Wahl des Vorsitzenden des Allgemeinen Studentenausschusses, des Asta, an. Der Konvent der Freien Universität – das damalige Studentenparlament – wählte ihn mit deutlicher Mehrheit, doch trat er dieses Amt nie an. Weil seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung umstritten war, wurde über seine Wahl in einer Urabstimmung entschieden. „Die Niederlage war der Einstieg in meine politische Karriere“, sagt Diepgen.

Diese ließ ihn schließlich zum „dienstältesten“ Regierenden Bürgermeister von Berlin werden. Als erster gebürtiger Berliner in diesem Amt war Eberhard Diepgen 1984 Nachfolger von Richard von Weizsäcker. Er hatte die Position bis 1989 inne und erneut von 1991 bis 2001 im wiedervereinigten Berlin. Diepgens Weg in das Abgeordnetenhaus – in das er erstmals 1971 gewählt wurde – folgte aus seinem hochschulpolitischem Engagement, denn zunächst war er mit dem Thema Bildung für die CDU tätig. Diskussionen und Vollversammlungent an der Freien Universität hätten ihn auf seine spätere, ursprünglich nicht geplante politische Arbeit ein kleines Stück vorbereitet, meint Diepgen. Er wurde bald zum Vorsitzenden des Fachverbandes Rechtswissenschaft gewählt und 1965 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Studentenschaften. Sein Motto sei „der freie und selbstverantwortliche Student“ gewesen. „Es ging um ganz praktische Reformen“, sagt Diepgen. „Wir wollten die studentische Krankenversicherung, das Studentenwerk und die Mensa in die Selbstverwaltung übernehmen und Wohnheime selbst bauen und verwalten.“

Darüber drohte der Studienabschlus in die Ferne zu rücken. Professor Karl August Bettermann mahnte den Studenten Diepgen auf einer Postkarte, sich nun bitteschön doch mit dem Abschluss zu sputen. 1967 legte er das erste Staatsexamen ab, 1972 das zweite. Über seine Lehrjahre sagt der 67-Jährige, der derzeit wieder als Anwalt tätig ist: „Das, was ich geworden bin, wurde ich, weil ich an der Freien Universität einen Freiraum nutzen konnte.“