Das Einmaleins der Pflanze
Auch in der Botanik steckt Mathematik
Wie viele Blütenblätter zählt die Blüte der Wilden Malve? In welchem Winkel stehen die Laubblätter des Wiesen-Löwenzahns zueinander? Wie groß ist die Oberfläche des Wurzelsystems einer Rotbuche? Wächst die Population von Edelweiß in den Alpen, oder wird sie kleiner?
Zahlen, Gleichungen, Funktionen können Strukturen und Vorgänge erklären und beschreiben. Dies gilt auch für das Pflanzenreich.
Die Botanik und die Mathematik haben viele Schnittmengen. Von der Einbeere zum Zweiblatt, vom Zweizahn zum Dreizack, vom Siebenstern zum Tausendblatt: Volkstümliche Pflanzennamen nehmen oft Bezug auf die Anzahl bestimmter Organe, wie auch die wissenschaftliche Benennung der Gattungen Unifolium, Bidens, Trifolium, Tetragonolobus, Pentaglossum, Hexastylis, Heptacodium oder Myriophyllum.
Damit ein Organismus funktionieren kann, ist ein Bauplan unabdingbar. Mit bestimmter Regelmäßigkeit ähneln sich die Individuen einer Art, einer Gattung, einer Familie. Ein Ergebnis der Evolution des Lebens ist beispielsweise die Anzahl der Organe und deren Lage zueinander. Die Konstruktion der Pflanze ist nicht zufällig. So passen Blüte und Bestäuber ineinander, wie Schlüssel und Schloss. Blütenaufbau und -symmetrie des von der Hummel bestäubten Blauen Eisenhutes sind beispielsweise anders als der vom Schmetterling bestäubten KuckucksLichtnelke oder der vom Wind bestäubten Haselnuss. Die Stellung der Laubblätter an einer Pflanzenachse sind entscheidend dafür, wie viel Sonnenlicht auf ein Blatt einstrahlt und wie viel Schatten der darüber liegenden Blätter es verdecken.
Faszinierend ist auch die genaue Betrachtung der Blütenstellung eines Sonnenblumenköpfchens: Die regelmäßige spiralige Anordnung ihrer etwa 1000 kleinen Blüten formen ein charakteristisches Muster. Das Erstaunliche ist, dass der Winkel zwischen zwei aufeinander folgenden Blättern oder Blüten immer 137,5 Grad beträgt. Dies ist der Goldene Winkel, der einen Kreis in den Goldenen Schnitt teilt und uns besonders ästhetisch erscheint. Damit nimmt jedes Organ zum benachbarten den gleichen Abstand ein, und auf der vorhandenen Fläche wird deren dichteste Packung verwirklicht. Die Anzahl der aus den Organen gebildeten Spiralen stammen dabei stets aus der sogenannten Fibonacci-Zahlenfolge, bei der jede Zahl gleich der Summe der beiden vorhergehenden ist.
Da der Bauplan (fast) an Perfektionismus grenzt, dienten Pflanzen bereits als Eichinstrument: Die Samen des Johannisbrotbaums (Ceratonia siliqua) besitzen stets das gleiche Gewicht von 0,2 Gramm. Diese Präzision wurde schon früh erkannt. Sie diente Apothekern und Juwelieren früher als Gewicht für Heilmittel, Gold- und Edelsteine. Noch heute kennen wir die Messeinheit eines Johannisbrotbaum-Samens, es ist ein Karat. Mittlerweile werden die Samen allerdings nicht mehr zum Goldwiegen verwendet, denn wenn man die Samen mit einer modernen feinen Analysewaage wiegt, fallen doch geringe Gewichtsunterschiede auf.
Zahlen drücken aber auch den Verlust des Lebens auf der Erde aus. Gegenwärtig sind bereits zwei Drittel aller bekannten Pflanzenarten weltweit bedroht. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird von Wissenschaftlern ein Verlust von 40 Prozent und mehr der Vielfalt des Lebens prognostiziert. Ob die Zahlen stimmen, mit denen gerechnet und argumentiert wird, ist die Aufgabe gut ausgebildeter Botaniker, die die Arten erkennen können.
Die Mathematik der Pflanzen lässt sich am besten im Botanischen Garten der Freien Universität Berlin studieren. Auf die Besucher warten hier 22 000 verschiedene Pflanzenarten. Gesche Hohlstein