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Reklame auf der Lauer

Chinesische Firmen werben gerne mit olympischen Idealen

Von Oliver Trenkamp

Die „Kraft des Sieges“ beschwört der chinesische Tischtennis-Spieler Wang Hao, ein griechischer Tempel ist zu sehen, eine Flamme, dann wieder das Gesicht des Sportlers, dazu pathetische Musik. Die Bilder fließen ineinander, überlappen sich: Sport, Flammen, Griechenland – wer denkt da nicht an Olympia? Der Werbespot eines chinesischen Sportartikel-Herstellers flimmerte im Jahr 2004 zur Hauptsendezeit über chinesische Fernseher. Am anderen Ende der Welt, bei uns in Europa, wetteiferten zur selben Zeit bei den Olympischen Spielen in Athen die Athleten um Medaillen; zu Hause in China wollte die Firma die Sportbegeisterung für sich nutzen. Allerdings gehörte die Sportartikelfirma nicht zu den offiziellen Sponsoren der Spiele.

Ambush-Marketing nennen Fachleute diese Art der Werbung. Ambush bedeutet Hinterhalt, als Verb: jemandem auflauern. Auf der Lauer werben – das ist der Versuch, die Aufmerksamkeit eines Großereignisses für sich zu nutzen, ohne Lizenzgebühren zu bezahlen. Die offiziellen Sponsoren wie Coca Cola und McDonald’s investieren dutzende Millionen Dollar, um mit den olympischen Ringen, der Fackel und den Sportlern werben zu dürfen. Von den Trittbrettfahrern bekommen die Veranstalter nichts.

Ambush-Marketing gibt es fast überall, in China kam es im Jahr 2004 jedoch überproportional häufig vor. Das zeigt eine Untersuchung, an der Andreas Guder, Leiter des Studienbereichs Chinesische Sprache an der Freien Universität Berlin, beteiligt war. 40 Werbespots, die während der Athener Spiele im chinesischen Fernsehen liefen, wertete Guder aus. Das Projekt war Teil einer internationalen Vergleichsstudie unter der Leitung von Holger Preuss, Juniorprofessor für Sportökonomie an der Universität Mainz. „In keinem anderen Land war 2004 der Anteil an Ambush-Marketing-Spots so hoch wie in China“, sagt Guder. Es habe etwa genauso viele Ambush-Werbefilme gegeben, die lediglich olympische Assoziationen weckten, wie Spots von tatsächlichen Sponsoren. Nicht in allen Filmen war das so ausgeprägt wie im Spot des chinesischen Sportartikel-Herstellers. Eine Sahnebonbon-Firma ließ lediglich einblenden, dass sie den chinesischen Athleten viel Erfolg wünsche; ein anderes Unternehmen filmte einen Läufer auf der Straße und spielte erhabene Musik.

„In der chinesischen Tradition gibt es das Konzept vom geistigen Eigentum eigentlich nicht“, sagt Guder; „im Gegenteil: Man erweist dem Schöpfer einer Idee große Ehre, indem man sie imitiert.“ Als China seine wirtschaftliche Aufholjagd begann, sei es schwer zu vermitteln gewesen, warum es verboten ist, Turnschuhe mit drei Streifen auf eigene Faust zu produzieren. Zwar sei China der Welthandelsorganisation beigetreten und verfolge auch die Politik, Produktpiraterie zu bestrafen, doch in der Praxis sei das Land noch nicht voll in das Weltwirtschaftssystem integriert. „Das chinesische Selbstverständnis ist häufig: Wir setzen eigene Standards“, sagt Guder.

Selbst ein Elektronikkonzern des Landes nahm es mit den strengen Sponsoren-Richtlinien vor vier Jahren nicht so genau. Damals blendete die Firma ein, dass sie offizieller Partner der Olympischen Spiele sei – allerdings der von 2008. Das war damals allerdings noch nicht erlaubt. Je näher jedoch die Olympischen Spiele im eigenen Land rückten, desto strenger wurden die Kontrollen. Regierung und Volkskongress brachten schon 2002 ein Gesetz auf den Weg, dass dreistes Trittbrettfahren eindämmen und olympische Symbole und Assoziationen schützen sollte. „Allerdings wird jede Grauzone genutzt“, sagt Guder. Da bekommt ein Pflanzenöl die Goldmedaille verliehen, ein Laptop wird zum „olympischen Produkt“ erklärt.

Die Studie thematisiert auch, welche Werte die meisten Menschen mit Olympia verbinden – und welche davon die Reklame am häufigsten für sich nutzt. Die „Freude an der eigenen Leistung und am Wettkampf“ lag dabei weit vor „Fairness und Freundschaft“, „Hoffnung auf Frieden“ und „Träume und Inspiration“. Das überrascht den China-Experten Guder nicht: Der sportliche Erfolg bei den Olympischen Spielen sei sehr eng an das Nationalgefühl gekoppelt, man wolle Leistungsfähigkeit demonstrieren. „Die eigene Identität ist geprägt von der kulturellen Bedeutung des eigenen Landes“, sagt er. Man verstehe sich heute als Supermacht, deren einzig legitimer Vergleichspartner die USA seien. Wie sehr sich manch eine chinesische Firma in Richtung Westen orientiert, zeigt sich ebenfalls in den Werbespots: Viele Markenzeichen der großen Sportfirmen erinnern entfernt an Haken von „Nike“ – auch das Logo Sportartikel-Herstellers, der in seinem Spot die „Kraft des Sieges“ beschwört.