Dicke Luft
Meteorologen untersuchen Feinstaubbelastung
Von Eberhard Reimer
Für die einen ist es reine Schikane, für die anderen ein notwendiger Schritt: Seit dem 1. Januar 2008 dürfen nur noch Autos in die Berliner Innenstadt fahren, bei denen eine sogenannte Umweltplakette an der Frontscheibe klebt. Die Kommune will damit erreichen, dass die Belastung der Straßenanwohner durch Feinstaub verringert wird. Denn die Plakette erhalten nur Fahrzeuge, die den Mindeststandard an Abgaswerten einhalten. Doch lässt sich die Feinstaubbelastung dadurch wirklich verringern? Was ist überhaupt Feinstaub? Wo kommt er her? Und was muss noch getan werden, um die Luftbelastung mit kleinsten Partikeln zu reduzieren?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe am Meteorologischen Institut der Freien Universität Berlin. „Strategien zur Verminderung der Feinstaubbelastung“ heißt ein neues Forschungsprojekt der Wissenschaftler im Auftrag des Umweltbundesamtes, das gemeinsam mit deutschen und niederländischen Institutionen die Ursachen der Feinstaubbelastung weiter untersucht und die Wirksamkeit möglicher Emissionsminderungsmaßnahmen bewertet. Ziel des Vorhabens ist es, eine optimale nationale Strategie zu entwickeln, um das Feinstaubproblem in Deutschland zu bewältigen.
Denn es besteht Handlungsbedarf. Seit 2005 gelten europaweit die von der Europäischen Kommission festgelegten Tages- und Jahresmittelwerte für Feinstaubpartikel, die kleiner als zehn Mikrometer sind. Das entspricht etwa der Größe von Bakterien und auch der Dicke von feinstem menschlichen Haar. Vor allem die Tagesmittelwerte werden aber in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, nach wie vor an zahlreichen Messstationen überschritten, besonders an solchen in Verkehrsnähe. Nun sollen die Gesetze verschärft werden. Die Europäische Kommission plant eine weitere Richtlinie zur Luftqualität in Europa, die die Einführung verbindlicher Grenzwerte auch für den Feinstaub vorsieht, der kleiner als 2,5 Mikrometer und deshalb wahrscheinlich gesundheitsschädlicher ist.
Quellen für Feinstaub gibt es reichlich. Er kommt nicht nur aus Industrie-Schornsteinen und Kraftwerks-Schloten, durch Schiffs-, Flugzeug- und Autoverkehr, sondern auch aus ganz „natürlichen“ Quellen: Durch das Pflügen in der Landwirtschaft, durch Flächenbrände oder Winderosion. Je nach Jahreszeit und Wetterlage kann das erhebliche Auswirkungen haben. Denn Feinstaub ist kein Problem, das sich lokal begrenzen lässt. Ein erheblicher Teil der Stäube wird durch Luftströmungen Tausende von Kilometern weit transportiert. Durch lokale Maßnahmen allein lässt sich die Staubbelastung deshalb nicht nachhaltig reduzieren. Europaweites Handeln ist erforderlich.
Um eine echte Entlastung zu erreichen, nützt es zudem wenig, nur die direkten Feinstaubemissionen zu verringern. Es müssen auch die gasförmigen Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Ammoniak und Kohlenwasserstoffe verringert werden. Denn sie tragen über chemische Prozesse zur Bildung von Feinstaub bei, so wie sich beispielsweise Schwefeldioxid und Ammoniak zu Ammoniumsulfat-Aerosol verbinden.
An der Freien Universität Berlin werden diese komplexen Vorgänge mit Hilfe von chemisch-mathematischen Transportmodellen simuliert. Anhand vorgegebener Emissionswerte berechnen die Computermodelle – unter Berücksichtigung der wetterabhängigen Transporte und der chemischen Umwandlungen in der Atmosphäre – wo sich wie viel Feinstaub und wie viele andere Luftschadstoffe in Bodennähe konzentrieren oder ablagern.
Im Rahmen des Forschungsprojektes werden so per Computersimulation die Auswirkungen verschiedener denkbarer oder bereits geplanter Umweltschutzmaßnahmen untersucht, wie eine deutschlandweite Geschwindigkeitsreduzierung, die Ausrüstung der Kraftwerke mit besseren Filtern oder alternative Antriebstechnik für Autos. Die Wissenschaftler ermitteln sogar, wie teuer die unterschiedlichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung kommen.
Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sollen 2010 vorliegen. Mit Sicherheit lässt sich heute allerdings schon eines sagen: Die Umweltplakette allein wird nicht ausreichen, um den Stadtbewohnern saubere Luft zu garantieren. Das ist allenfalls ein Anfang. Alle Kommunen und Länder werden Anstrengungen zur Minimierung von Umweltbelastungen durch den Verkehr unternehmen müssen.
Der Autor ist promovierter Diplom-Meteorologe und Leiter der Arbeitsgruppe „Troposphärische Umweltforschung“ am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin.