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Geistige Barbarei

Auf Ochsenkarren – oder wie hier auf dem Berliner Bebelplatz mit Lastwagen – wurden die Bücher herangebracht. Foto: Bundesarchiv

Auf Ochsenkarren – oder wie hier auf dem Berliner Bebelplatz mit Lastwagen – wurden die Bücher herangebracht. Foto: Bundesarchiv

Vor 75 Jahren zerstörten die Nationalsozialisten Werke der Weltliteratur

Von Irmela von der Lühe

„Gestern sind also auch meine Bücher in allen deutschen Städten öffentlich verbrannt worden; in München auf dem Königsplatz. Die Barbarei bis ins Infantile. Ehrt mich aber“, notierte Klaus Mann am 11. Mai 1933 in sein Tagebuch. Tatsächlich waren tags zuvor nicht nur in Berlin und München, sondern in insgesamt 21 deutschen Städten Scheiterhaufen oder „Schandpfähle“ errichtet und Zehntausende von Büchern sogenannten „undeutschen Schrifttums“ in das Feuer geworfen worden. Nach den Fackelzügen am Abend der Machtübertragung am 30. Januar, nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar und dem landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April waren die Bücherverbrennungen ein weiteres, groß inszeniertes Schauspiel der Barbarei. Zeitgenossen und Nachwelt haben zu Recht auf die nicht nur symbolischen Kontinuitäten verwiesen. „Mit dem Reichstag begann's; jetzt sind's unsere Bücher gewesen; die nächste Brandstiftung kann der Krieg sein“, schrieb William Sigmund Schlamm am 18. Mai 1933 in der „Neuen Weltbühne“, während Sigmund Freud die Nachricht mit dem Ausruf kommentiert haben soll „Was für ein Fortschritt ... Nur unsere Bücher? Früherszeiten hätten sie uns gleich mitverbrannt.“ Zwischen sarkastischem Realitätssinn und resignativer Zukunftsvision schwankten die Reaktionen der Betroffenen. Von minutiösem Planungswillen und machtgestützter Inszenierungslust freilich zeugten Vorbereitung, Verlauf und Folgen der „Aktionen wider den undeutschen Geist“.

Die Presse- und Propagandaabteilung der „Deutschen Studentenschaft“ hatte dazu bereits am 8. April ein detailliertes Konzept entwickelt. Ziel und Höhepunkt der zunächst noch geheim zu haltenden „Aktion“ war die „öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaft der Hochschulen aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland“. In Vorbereitung darauf sollte zunächst „jeder Student“ aus seiner eigenen Bibliothek oder der seiner Bekannten die „jüdische Zersetzungsliteratur“ aussondern, anschließend sollten die öffentlichen Bibliotheken „befreit“ werden. Die entstandenen Lücken waren durch „volksbewusstes“ und die „deutsche Erneuerung“ bejahendes „Schrifttum“ zu ersetzen. Ausdrücklich ging es nicht nur um „leeren Protest aus Anlass der jüdischen Welthetze“, sondern um „bewusste Besinnung auf die volkseigenen Werte“. Reinigung und Besinnung waren daher auch die martialischen Leitmotive der vom 12. April an veröffentlichten „12 Thesen wider den undeutschen Geist“, deren aberwitzige Behauptungen („Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter“) durch die völlig abwegige mediale Anspielung auf Luthers Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 noch überboten wurde. Auch mit den Bücherverbrennungen selbst wähnte man sich in einer historischen Tradition: wiederum in derjenigen Luthers, der 1520 die päpstliche Bannandrohungsbulle öffentlich verbrannt hatte. Vor allem aber das Wartburgfest von 1817 wurde in einigen Reden als historische Parallele beansprucht. Auf den Scheiterhaufen dieses Tages landeten in deutschen Universitätsstädten die Schriften von Karl Marx, Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld, dessen weltberühmtes Berliner „Institut für Sexualwissenschaft“ zuvor geplündert und geschlossen worden war. Unter den als „zersetzend“ indizierten Autoren waren mit Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky, mit Heinrich und Klaus Mann, Bertolt Brecht, Alfred Kerr, Eva Maria Remarque, mit Erich Kästner, Ernst Toller und Joseph Roth jüdische und pazifistische, kommunistische und liberale Repräsentanten der Weimarer Kultur. Im Namen der „deutschen Erneuerung“ gingen die Werke fast der gesamten literarisch-intellektuellen Elite der Weimarer Republik in Flammen auf; nicht selten haben beamtete Hochschulgermanisten dabei weihevolle Reden gehalten, etwa Hans Naumann in Bonn und Gerhard Fricke in Göttingen. Als Schauspiel und magisches Ritual mit gelegentlich sogar karnevalesken Elementen folgten die Bücherverbrennungen einer strikten Regie: Begleitet von Musikkapellen, die in Frankfurt gar Trauermärsche intonierten, zogen die fackeltragenden Studentenschaften in geordneten Kolonnen zum Ort des Geschehens. Dort erwarteten sie Rektoren, Dekane und Professoren im Ornat, während die in den vorangegangenen „Säuberungsaktionen“ gesammelten Bücher entweder mit Lastwagen wie in Berlin oder auf Ochsenkarren wie in Frankfurt herangebracht wurden. Die Diskrepanz zwischen dem Pathos der Reinigung von „undeutschem Geist“ und der Groteske ihres Vollzugs (in Berlin bei strömendem Regen) konnte freilich niemanden darüber hinwegtäuschen, dass mit solchen Aktionen im Land der Dichter und Denker Bildung durch Barbarei abgelöst worden war.

Die Werke von annähernd 400 Autorinnen und Autoren sind dem fatalen Feuereifer großer Teile der akademischen Jugend im Mai 1933 zum Opfer gefallen. Viele der Verfasser waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil, die noch im Lande lebenden waren unmittelbar bedroht – so auch Erich Kästner, der wohl als einziger der Schriftsteller die Verbrennung seiner Bücher auf dem Berliner Opernplatz direkt miterlebt hat. Oskar Maria Graf, dessen Schriften ohne sein Wissen auf der „weißen Autorenliste“ gelandet waren, protestierte öffentlich gegen „diese Schmach“, ein vom Regime nicht verfemter Autor zu sein. Unter der Überschrift „Verbrennt mich“ ließ er am 12. Mai in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ einen Artikel drucken, der zu den frühesten Zeugnissen öffentlichen Protests gegen den „barbarischen Nationalismus“ zählt.

In Amerika hatte es schon Ende April Proteste gegen die in Deutschland geplanten Bücherverbrennungen gegeben: Das Geschehen selbst wurde für die exilierten Autoren Anlass jährlicher Gedenkveranstaltungen. Der „Tag des verbrannten Buches“ wurde in Paris, London, Prag, New York und Mexiko mit Lesungen und Kundgebungen begangen. Aus Anlass des ersten Jahrestages wurde in Paris die „Deutsche Freiheitsbibliothek“ ins Leben gerufen, die unter dem Patronat von André Gide und Romain Rolland und mit Heinrich Mann als Präsident alle im „Dritten Reich“ verbotenen, verbrannten und totgeschwiegenen Werke sammelte; darüber hinaus erwarb sie Veröffentlichungen zum Studium des Nationalsozialismus sowie die Bibliotheken deutscher Emigranten.

Auf knapp 12 000 Personen schätzt man die Zahl der seit Januar 1933 aus Deutschland vertriebenen Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler beiderlei Geschlechts – bei einer Gesamtzahl von annähernd einer halben Million Menschen, die seit 1933 Deutschland verlassen mussten. Aus heutiger Sicht mag man diese Zahlen für niedrig halten. Im Bewusstsein der Zeitgenossen waren sie atemberaubend, zudem betrafen sie fast die gesamte geistige und kulturelle Elite eines Landes. Empörung und Entsetzen, zugleich aber Hohn und Spott kennzeichnet die Reaktionen der exilierten Autoren, die in den Bücherverbrennungen einen Akt der Barbarei sahen, mit dem sich das Regime radikal dekuvrierte. In einem offenen Brief an Goebbels entwickelte zum Beispiel Ernst Toller eine Argumentation, die sich vielfach in Literatur, Autobiographik und Publizistik des Exils finden würde: Das nationalsozialistische Regime gebe vor, die deutsche Kultur zu retten, aber es zerstöre sie. Es gebe vor, den „deutschen Geist“ zu repräsentieren, aber schreibe ein viel zu schlechtes Deutsch; es nenne die Emigranten Feiglinge, habe sie aber durch Verfolgung stark gemacht. Antithetisch in der Argumentation und polemisch in der Schlussfolgerung, entwirft Tollers offener Brief im direkten Verweis auf Bücherverbrennung und Exil die Idee vom „anderen“ besseren Deutschland, das im Ausland im Emigrantenstatus existiert. Trotz heftiger politischer Kontroversen, trotz divergierender künstlerischer Konzepte erwies sich diese Idee einer „extra muros“ sich behauptenden deutschen Kulturnation trotz seiner problematischen Implikationen als ungemein wirkungsmächtig.

Die eingangs zitierte Tagebuchnotiz Klaus Manns kann es belegen: Ins Entsetzen über die Bücherverbrennung mischt sich Stolz; der Abscheu über die barbarische Tat setzte eine neue identitäre Gewissheit frei. Es war die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, mit Person und Werk die Gegnerschaft gegenüber einem Regime zu verkörpern, das mit allen affektiven und intellektuellen Kräften gehasst werden konnte. Das andere, bessere Deutschland konstituierte sich unter anderem aus Anlass der Bücherverbrennungen im aggressiven Hass auf ein Deutschland und seinen „Führer“, den man gleichermaßen als Kretin und als Teufel attackierte, als schlechten Schauspieler und als Marionette des Kapitals, als perversen Lumpen und wie im Roman von Lion Feuchtwanger als „falschen Nero“. In einer beeindruckenden Fülle und Vielfalt dokumentiert die deutschsprachige Exilliteratur den Versuch intellektueller und künstlerischer Selbstbehauptung im Angesicht eines Regimes, das die Sätze aus Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ von 1821 unfreiwillig zum geflügelten Wort werden ließ: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

Millionenfach erwies sich die Wahrheit dieses Diktums: im Brand der Synagogen 1938, im Brand des Krieges seit 1939, in den Verbrennungsöfen von Auschwitz und der anderen Vernichtungslager.

Die Autorin ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin.