Springe direkt zu Inhalt

Den Kampf der Kulturen bekämpfen

Glauben an der Grenze zwischen Orient und Okzident: Muslime in der Süleymaniye-Moschee in Istanbul. Foto:iStock Photo

Glauben an der Grenze zwischen Orient und Okzident: Muslime in der Süleymaniye-Moschee in Istanbul. Foto:iStock Photo

Die Berlin Graduate School „Muslim cultures and societies“ bildet Fachleute für islamisch geprägte Gesellschaften aus. Weit über 100 junge Wissenschaftler haben sich beworben, 15 Doktoranden werden im April ausgewählt

Von Florian Michaelis

Die Freie Universität Berlin ist im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder auf ganzer Linie erfolgreich gewesen. In einer Artikelreihe stellen wir die als besonders förderungswürdig bewerteten Wissenschaftsprojekte näher vor. Heute berichten wir über die Berlin Graduate School „Muslim cultures and societies“.

Am 11. September 2001 sollte ein Zeichen gesetzt werden im Dialog zwischen den Kulturen: Die Bundesrepublik Deutschland verlieh an jenem Tag das Große Bundesverdienstkreuz. Der Geehrte war ein Wissenschaftler, sein Name Fuat Sezgin, damals geschäftsführender Direktor des Frankfurter „Instituts für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften“. Ein Leben lang hatte der damals 76-jährige Professor, selbst Muslim, mit seiner Arbeit die Verständigung zwischen den Kulturen gefördert.

Doch am Tag der Preisverleihung dominierte das Gegenteil von Dialog. Auf der anderen Seite des Atlantiks entführte eine Bande von Terroristen vier Flugzeuge und benutzte sie als Waffen für ihren Angriff auf das Pentagon und die Türme des Welthandelszentrums. Spätestens seit dem 11. September 2001 ist das Bild vom Islam, das in der westlichen Welt herrscht, wenig von Dialog und Interesse geprägt, vielmehr von Diskussionen über Kopftücher und Kofferbomber, Scharia und Steinigung, Terror und Tod. In Schlagzeilen und Fernsehbildern überwiegt seither die Auffassung, der Islam sei feindselig; im Vordergrund stehen diffuse Vorurteile und Nichtwissen, das Fundament bildet die Angst vor Anschlägen von radikalen Islamisten, die seither immer wieder die Welt erschüttern.

„Dazu veranstalten wir das Gegenprogramm“, sagt Gudrun Krämer, Professorin für Islamwissenschaft. Sie ist Direktorin der neu geschaffenen Graduiertenschule „Muslim Cultures and Societies“ an der Freien Universität, die im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder als besonders förderungswürdig ausgezeichnet worden ist. An der Graduiertenschule sollen die innere Vielfalt, historische Wandelbarkeit und globale Vernetzung islamisch geprägter Kulturen und Gesellschaften in den Mittelpunkt gerückt werden. „Das heißt nicht, dass wir Osama bin Laden verharmlosen wollen oder den Karikaturenstreit“, sagt Krämer, „es ist aber wichtig, dass wir keine blutige Linie ziehen.“ Der Kampf der Kulturen sei schon deswegen eine falsche Annahme, weil es den einen Islam an sich nicht gebe. „Der Islam ist kein einheitliches, abgeschlossenes Gebilde“, sagt Krämer, „keine homogene Zivilisation.“ Die Vielfalt des Islam zu erforschen, ohne Konflikte zu verharmlosen, das sei das Vorhaben. Zugespitzt lautet die Leitfrage: Was ist eigentlich islamisch an der islamischen Welt?

Künftig werden bis zu 45 Doktoranden ihre Forschungsvorhaben an der Graduiertenschule verwirklichen. Sie werden dabei zu Fachleuten für islamisch geprägte Gesellschaften ausgebildet. Ihre Qualifikation soll ihnen erlauben, später Führungspositionen in Wissenschaft, Medien, Politik und in der internationalen und kulturellen Zusammenarbeit einzunehmen. Die ersten 15 Doktoranden werden voraussichtlich in den kommenden Wochen bekannt gegeben, sie beginnen im Oktober 2008. Die Bewerber kommen aus aller Welt: Aus Indonesien und Pakistan, aus den USA und Großbritannien, aus Ägypten und Jordanien und natürlich aus Berlin. Weit über 100 angehende Wissenschaftler haben ihre Bewerbungsunterlagen eingereicht: eine Beschreibung ihres Forschungsvorhabens, einen Lebenslauf, zwei Empfehlungsschreiben und einen Nachweis über die eigenen Fremdsprachenkenntnisse – die Mindestanforderung ist gutes Englisch. Das ist gewissermaßen die „Geschäftssprache“ an der Graduiertenschule. Zehn Doktoranden pro Jahr können auf ein Stipendium hoffen, die Förderung beträgt knapp 1400 Euro im Monat.

Der Ansatz der Graduiertenschule ist interdisziplinär: Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen arbeiten zusammen, um zu Erkenntnissen zu kommen. Systematisch verknüpfen Regionalwissenschaftler, Historiker, Soziologen, Ethnologen, Kulturwissenschaftler und andere Forscher ihre Methoden und Interessen. Auch arbeiten hier Wissenschaftler verschiedener Institutionen Hand in Hand: Sie kommen von der Freien Universität, der Humboldt-Universität und vom Zentrum Moderner Orient. „Das ist Lehre und Forschung auf höchstem Niveau“, sagt Krämer. Die Direktorin der Graduiertenschule beschäftigte sich in ihren Arbeiten bereits mit verschiedensten Facetten des breiten Themas Islam. Sie schrieb beispielsweise über „Religiöse Autoritäten in muslimischen Gesellschaften“, über „Antisemitismus in der Arabischen Welt“, über die „Geschichte des Islam“ und über „Ägypten unter Mubarak“. Mit Mitteln der Freien Universität sollen auch drei Zeitprofessuren eingerichtet werden: eine Professur für islamisches Recht und zwei Juniorprofessuren, die sich mit Muslimen in Europa und muslimischen Gesellschaften in Süd- oder Südostasien beschäftigen.

In Berlin sehen die Forscher einen idealen Standort für die Graduiertenschule. Allein die Bibliothekslandschaft sucht ihresgleichen: Die Sammlung alter Handschriften aus dem Orient, die in der Staatsbibliothek zugänglich ist, ist eine der größten weltweit.

Wie vielfältig das Thema Islam ist, zeigt ein kurzer Ausflug in die Geschichte. Als im Mittelalter die christliche Kirche ihren Mönchen noch verbot, naturwissenschaftliche Schriften zu lesen, praktizierten Muslime das Gegenteil. Bis nach China sollten Muslime pilgern, um Wissen zu erwerben. Denn: „Die Suche nach Wissen ist für alle Muslime Pflicht.“ Im östlichen Iran stand schon damals eine Sternwarte, in der Gelehrte aus Nordafrika, Syrien, Ägypten und China den Himmel beobachteten. Als die mittelalterlichen Christen von Navigation noch wenig wussten, zeichneten Muslime bereits exakte Landkarten – mit präzisen Breiten- und Längengraden. Viele noch heute gebrauchte naturwissenschaftliche Begriffe stammen aus dem Arabischen: Algorithmus, Alchemie, Algebra, Alkali und Alkohol – der arabische Artikel „al“ zeigt die Herkunft an. Die arabischen Wissenschaften waren den europäischen um Jahrhunderte voraus, in nahezu allen Disziplinen: von der Medizin bis zur Mathematik, von der Geographie bis zur Physik.

Auch geographisch ist das Thema Islam kaum zu beschränken – weltweit gibt es mehr als eine Milliarde Muslime, der Islam gilt als die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft, nur die Zahl der Christen ist größer. Deshalb ist die Graduiertenschule besonders stolz auf ihre internationale Vernetzung. Auf der Internetseite werden Partner-Institutionen aus allen Ecken der Welt aufgeführt: Universitäten in Addis Abeba, Kairo, New York und Malaysia, Institute in Moskau, Beirut und Sansibar. „Natürlich steht der Vordere Orient im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses“, sagt Krämer. Aber auch Afrika, südlich der Sahara, sowie Süd- und Südostasien sollen erforscht werden. Gerade in diesen Gegenden entspreche das muslimische Leben oft nicht der Klischee-Vorstellung vom Islam, erläutert Krämer. In Indonesien beispielsweise mischten sich muslimische Bräuche mit den Traditionen von Hindus und Buddhisten. Die religiöse Praxis sei nicht nur räumlich sehr weit entfernt von Saudi-Arabien. „Solche interreligiösen Begegnungen interessieren uns sehr“, sagt Krämer, „sowohl historische als auch aktuelle.“ Das Wort Begegnung sei sehr bewusst gewählt, „schließlich schließt es Konflikte mit ein.“