In der Ruhe liegt die Kraft
Der Kampfsport Kendo wird an der Freien Universität seit Kurzem auch in einem Verein angeboten
Von Carsten Wette
Yvonne Hornkamp blinzelt nicht. Die 23-Jährige im pinkfarbenen T-Shirt blickt dem maskierten Schwertträger, der sich fast schwebend nähert, furchtlos in die Augen. Plötzlich stößt er einen gellenden Schrei aus, schlägt zu und stoppt den Hieb nur Zentimeter vor ihrer Stirn. Die Studentin der Veterinärmedizin verzieht keine Miene. Nach einer kurzen Pause geht sie zum Gegenangriff über. Yvonne Hornkamp ist im Anfängerkurs für Kendo eingeschrieben, einer japanischen Kampfsportart, die es in dieser Form seit 100 Jahren gibt. Zwölf Studierende sind wie sie an diesem Mittwochabend in die Sporthalle auf dem Geocampus der Freien Universität Berlin in Lankwitz gekommen.
Gefahr für Leib und Seele besteht nicht
Sie studieren auch an anderen Berliner Hochschulen, denn angeboten wird Kendo nur an der Freien Universität. Gefahr für Leib und Leben besteht bei Kendo – übersetzt „der Weg des Schwertes“ – nicht. Zwar wurde die Kampfkunst im alten Japan unter Samurai mit dem Stahlschwert auf Leben und Tod ausgetragen. Heute aber wird ein 1,20 Meter langes, biegsames Schwert aus Bambus benutzt, das Shinai. Zudem sind fortgeschrittene Kämpfer bei den hart geführten Schlagabtauschen durch eine schwere indigoblaue Kluft und eine Rüstung von Kopf bis Fuß geschützt. Und dennoch: „Es kostet Überwindung zuzuschlagen“, sagt Yvonne Hornkamp mit Blick auf ihre maskierten Gegner aus der Gruppe der Fortgeschrittenen. Zwar wird nicht bis aufs Blut gekämpft, aber der Angreifer soll immerhin vier Ziele treffen: Unterarme, Rumpf, Kopf und Kehle des Gegners.
Kendo ist in Deutschland kaum bekannt. An der Freien Universität gibt es schon seit Längerem eine Sportgruppe, seit wenigen Wochen wird es dort sogar in einem Verein angeboten. Dessen japanischer Name Kô Bu Kai ist Programm: Er steht für Versammlung (Kai) zum Studium (Kô) der Kampfkunst (Bu). Beitreten können Studierende und Mitarbeiter der Freien Universität und der anderen Berliner Hochschulen sowie jeder, der Interesse an Kendo hat.
Die Idee, einen Verein zu gründen, bestand schon seit Längerem, doch ins Rollen brachte die Gründung indirekt der Präsident der Freien Universität, Professor Dieter Lenzen. Er ermunterte im Sommer 2006 in einer Zeitungskolumne mit dem Titel „Sport ist (kein) Mord“ dazu, Hochschulsportklubs zu gründen und stellte die Unterstützung der Universitätsleitung in Aussicht.
Christoph J. Dobmeier, Privatdozentam Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität, nahm den Ball mit anderen Kendo-Begeisterten auf und trat mit dem Präsidium in Kontakt. Für ihn und die übrigen Vereinsmitglieder hat die Gründung viele Vorteile: „Wir können nun das ganze Jahr über in der Halle trainieren“, sagt Dobmeier. Bislang war Training während der vorlesungsfreien Zeit nämlich nicht möglich – so dass gerade bei Anfängern regelmäßig die Begeisterung schwand.
Ebenfalls möglich ist nun die Teilnahme an Turnieren, wie Vereinsvorsitzende Ulrike Prib hervorhebt: Bereits einen Monat nach Eintrag ins Vereinsregister errang Kô Bu Kai den dritten Platz bei der Berliner Mannschaftsmeisterschaft. Ein weiteres Plus der Vereinsgründung: Die Mitglieder können Prüfungen für höhere Kendo-Grade ablegen. Von dieser Möglichkeit wird Jörg Potrafki mit Sicherheit keinen Gebrauch mehr machen, denn der 46-jährige Studienrat, Vereinstrainer und vierfacher Kendo-Europameister ist bereits Träger des siebten Dan-Grades. Den achten und höchsten Dan könnte er nur in Japan ablegen, dem Heimatland des Kendo.
Für Jörg Potrafki geht es in dem Verein vor allem darum, sportlich-kulturelle Kontakte zu Partnern im Ausland zu knüpfen. Dies gelingt offenbar, denn unter einer der Gittermasken steckt während des Trainings Kaoru Fujihira von der Keio-Universität in Tokio, der an der Freien Universität Geschichte studiert. „Ich war überrascht, dass das Angebot besteht“, sagt der 22-jährige Austauschstudent, der seit acht Jahren Kendo-Sportler ist und den Vergleich zwischen Japan und Deutschland reizvoll findet. Anders als vermutet seien die Sportler hierzulande nicht nur auf Sieg bedacht, sondern auch auf Respekt.
Am Ende des Trainings legen die Kendo-Kämpfer ihre Rüstungen ab und knien fast eine Minute lang in Meditationshaltung still im Kreis. „Das ist eine sehr wichtige Tradition“, erklärt Trainer Jörg Potrafki später. „Wichtig ist, dass der Gegner, dem man während des Kampfes nichts geschenkt hat, wieder zum Partner wird, wenn man die Halle verlässt.“
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