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„Ich gratuliere der Freien Universität“

BERLIN – PARIS UND ZURÜCK Erfolgreiche Kooperationen über Grenzen hinweg

Ein Gespräch mit Professor Richard Descoings, Direktor des französischen Institut d’Etudes Politiques (Sciences Po) in Paris

Auf dem Weg zur „International Network University“ wird die Freie Universität Berlin von einem internationalen Beraterteam begleitet. Dem International Council gehören zahlreiche hochrangige Wissenschaftler an, darunter der Direktor des renommierten französischen politikwissenschaftlichen Instituts Institut d’Etudes Politiques in Paris – kurz Sciences Po –, Professor Richard Descoings. Mit ihm sprach Carsten Wette.

Wenn Sie das französische Universitätssystem mit dem deutschen vergleichen: Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile?

Das Universitätssystem eines jeden EU-Staates hat seine Eigenarten, die Ausdruck der Tradition, der Geschichte und der kulturellen Facetten des Landes sind. Doch selbst wenn man alle Merkmale der Systeme erklären kann, lohnt ein kritischer und scharfsinniger Blick. Zu den größten Nachteilen des französischen Systems im Vergleich zum deutschen gehört, dass die als herausragend eingestuften Studenten von den anderen getrennt ausgebildet werden und dass es eine Abgrenzung zwischen Lehre und Forschung gibt: Einen wesentlichen Teil der Forschung übernehmen nationale Einrichtungen wie das Centre National de la recherche scientifique (CNRS) und das Institut national de la santé et de la recherche médicale (INSERM). Diese Institutionen werden nach wissenschaftlichen Strategien und Methoden geführt, die den Universitäten fremd sind. Humboldt würde sich im Grab umdrehen, wenn man ihm sagte, dass in einem angeblich vernünftigen Universitätssystem die Universitäten losgelöst von der Forschung existieren! Was die Universitätssysteme beider Länder ebenfalls voneinander unterscheidet: Den französischen Universitäten entwischen quasi die besten Abiturienten, weil diese sich schon an den Gymnasien auf die Aufnahmeprüfungen der Grandes Ecoles vorbereiten, also der prestigeträchtigen spezialisierten Hochschulen. Wer diese Prüfungen besteht, dem stehen schon zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn die interessantesten und am besten bezahlten Arbeitsplätze offen. Wenn die französischen Universitäten ihrer Forschung wie ihrer besten Abiturienten beraubt werden: Wie sollen sie da im internationalen Wettbewerb der Hochschulen mithalten

Gibt es zwischen den Grandes Ecoles und den Universitäten einen starken Wettbewerb?

Ja, vor allem während der ersten Jahre der Hochschulbildung. Im Verlauf des Grundstudiums an den Universitäten werden Generationen von Studierenden geopfert. Sie werden schlecht beraten und schlecht betreut. Besser wird es erst bei derMaster- und Doktorandenausbildung. Hier kooperieren Grandes Ecoles und Universitäten in zunehmendem Maße.

Welche Auswirkungen wird die geplante Reform des Universitätssystems in Frankreich haben?

Die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy und Wissenschaftsministerin Valérie Pécresse bereiten die größte Universitätsreform seit 1968 vor. Endlich werden die Universitäten autonom! Sie werden eigenständig über ihre Strategie, über ihren Haushalt, über ihr Personal und über ihre Grundstücke und Gebäude entscheiden. Das wird die französischen Universitäten zwar nicht umfassend verändern, aber es ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Welt der französischen Universitäten einen heilsamen Schock bekommt. Nötig sind umfangreiche Investitionen in die Qualität von Didaktik, Pädagogik und Wissenschaft der französischen Lehr- und Forschungsinstitutionen. Präsident Sarkozy hat dies während des Wahlkampfes im Frühjahr versprochen, und er löst diese Ankündigung mit dem Haushaltsentwurf für 2008 ein.

In Deutschland haben durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder neun Universitäten – darunter die Freie Universität – den Status einer Exzellenzuniversität erhalten, sie werden mit zusätzlichen Mitteln gefördert. Welche Auswirkungen hat dies für die Stellung der Freien Universität im internationalen Wettbewerb?

Der Bund und die Länder haben in großer Weisheit eines festgestellt: Ein EU-Staat kann nicht mehr darauf hoffen, dass all seine Universitäten weltweit konkurrenzfähig sind. Das ist kein Drama, denn alle EU-Staaten benötigen auch sehr gute Universitäten auf regionalem, nationalem und europäischem Niveau. Wenn die nationalen Universitäten im internationalen Wettbewerb bestehen sollen, müssen sich ihre Ausstattung mit Geld und Personal und ihr Ehrgeiz von denen des Mittelmaßes drastisch unterscheiden. Dies beherzigen die amerikanischen und britischen Universitäten schon seit Langem. Ich gratuliere der Freien Universität zur Kür als Exzellenzuniversität: Das ist beeindruckend, und ich bin sehr froh darüber, dass Sciences Po einen solchen Partner hat.

Wo sehen Sie die Freie Universität in fünf Jahren?

Ich denke, vieles hängt davon ab, wie die Freie Universität das zusätzliche Geld einsetzt. Doch ich bin mir relativ sicher, dass sie schon allein durch die Ernennung zur Exzellenzuniversität noch attraktiver für die besten Universitäten, die besten Studenten, die besten Forscherteams und die besten internationalen Partner wird. Und dass sie damit sicher noch leichter Mittel einwerben kann, ohne die Forschung und Lehre nicht möglich wären. Attraktiv sein und in der Welt strahlen – das ist es, was eine exzellente internationale Universität ausmacht.

Die Freie Universität hat sich in dem Wettbewerb mit ihrem Konzept einer Internationalen Netzwerkuniversität durchgesetzt. Wie bewerten Sie als Mitglied des International Council der Universität die Strategie, die unter anderem Zweigstellen im Ausland umfasst – in China, Indien, den USA, Russland und Brasilien?

Die Freie Universität will sich vollständigdem internationalen Wettbewerb stellen, der zwischen den Universitäten weltweiter Geltung ausgefochten wird. Die Entscheidung ist mutig, innovativ und bedeutet die permanente Anstrengung, sich selbst zu übertreffen.Umdiese Strategie zu verfolgen, ist es unabdingbar, sich mit den renommiertesten Gruppen von Wissenschaftlern und Studienangeboten auseinanderzusetzen. Spitzenforschung und die besten Studenten sind nun einmal häufig in den USA, China, Indien und Russland zu finden.

Durch eine der ReformenamInstitut d’Etudes Poliques haben Sie den Grad der Internationalisierung ihrer Institution ausgeweitet. Das IEP unterhält – ebenso wie die Freie Universität – Beziehungen zu einer Vielzahl von Universitäten weltweit. Welche Vorteile haben Ihre Studenten davon?

Nahezu 40 Prozent der 7000 Studenten, die an Sciences Po eingeschrieben sind, haben keinen französischen Pass. Sie stammen aus allen Regionen der Welt. Alle französischen Studenten müssen ein Jahr ihres fünfjährigen Masterstudiums im Ausland verbringen. Alle Studenten müssen zum Zeitpunkt ihres Masterabschlusses drei Sprachen beherrschen. Die Hälfte der Professuren am IEP ist Wissenschaftlern aus den EU-Staaten oder dem außereuropäischen Ausland vorbehalten. Ein Drittel der Lehrveranstaltungen wird in anderen Sprachen als der französischen gehalten: Von diesen Vorteilen der seit zehn Jahren verfolgten Strategie der Internationalisierung profitieren die Studenten.

Richard Descoings ist seit 1996 Direktor des Institut d’Etudes Politiques (IEP). Er gehört zu den IEP-Absolventen sowie zu denen der renommierten Ecole Nationale d’Administration (ENA).

INTERNATIONAL COUNCIL

Die Mitglieder

  • Prof. Dr. Christoph Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien und Präsident der Österreichischen Rektorenkonferenz;
  • Prof. Samuel Barnes, Georgetown University, Washington D. C., Direktor des Center of German and European Studies
  • Dr. Robert M. Berdahl, Präsident der Association of American Universities (AAU)
  • Dr. Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD)
  • Prof. Ian Chubb AO, Vice Chancellorder Australian National University, Canberra
  • Prof. Ivor Martin Crewe, Vice Chancellor der University of Essex
  • Richard Descoigns, Direktor des Institut d'Etudes Politiques de Paris
  • Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen, Vorsitzender des Kuratoriums der Freien Universität Berlin, Präsident a. D. der Hochschulrektorenkonferenz
  • Prof. Malcolm Grant, Präsident des University College London
  • Wilfried Grolig, Botschafter, Ministerialdirektor, Leiter der Kultur- und Bildungsabteilung im Auswärtigen Amt
  • Prof. Peter A. Hall, Direktor des Minda de Gunzburg Center for European Studies, Harvard College
  • Dr. Sijbolt Noorda, Präsident der Association of Dutch Universities
  • Prof. Dr. Konrad Osterwalder, Rektor der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich
  • Dr. Debra W. Steward, Präsidentin des Council of Graduate Schools, Washington
  • D. C.; Prof. Anatoly V. Torkunov, Rektor des Moscow State Institute of International Relations (MGIMO), Moskau
  • Prof. Dr. Hans Weiler, Stanford University, Rektor a. D. der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder.