Kultur, Kultur, Kultur – und an das Publikum denken!
Das Zentrum für Audience Development der Freien Universität widmet sich der Kulturnachfrage und der Publikumsentwicklung
Von Thomas Schmidt-Ott
Kundenzufriedenheit, Kundenbindung, Kundenloyalität: Wirtschaftswissenschaftler und Marketingexperten kennen diese Begriffe zur Genüge. Sie stehen für eine moderne, kunden- und serviceorientierte Unternehmungspolitik. Im heutigen Wettbewerb müssen Unternehmen mit ihrem Leistungsangebot den Anspruch der Kunden auf Zufriedenheit nicht nur erfüllen, sondern ihn sogar möglichst noch übertreffen. Kunden suchen Aufmerksamkeit, Respekt, Individualität und die Anerkennung ihrer Vorstellungs- und Wertewelten – sonst wechseln sie zur Konkurrenz. Dies ist keine neue Erkenntnis; sie hat aber zur vertiefenden Betrachtung des Kunden in Managementtheorie und -praxis geführt. Ein auf Kundenqualifizierung, -wissen und -entwicklung hin verändertes und erweitertes Marketingmanagementparadigma war das Ergebnis.
Seit einigen Jahren rückt auch der Kulturkunde, also der Besucher, Zuhörer und Zuschauer kultureller Institutionen – und damit das Publikum insgesamt – in den Fokus der Kulturmanagementforschung und -praxis. Dies ist insbesondere deshalb aufschlussreich, weil die Institutionen des „kulturellen Gedächtnisses“ wie Orchester, Museen und Theater nicht nur in Deutschland Besucherrückgänge verzeichnen. Beklagte man noch Anfang der 1990er Jahre dort, wo Kultur und Management zueinander fanden, den „Verlust der Autonomie“, so ließen expandierende und sich ausdifferenzierende Freizeit- und Kulturmärkte, Überalterung der Kulturpublika und ein daraus erwachsender Legitimations- und Akzeptanzdruck solcherart Bedenkenträgertum allmählich verstummen. Denn es geht um nicht mehr oder weniger als die Zukunft der klassischen Kultureinrichtungen und ihres Kultur- wie Bildungsauftrags angesichts knapper Ressourcen und eines intensiven Wettbewerbs.
Diesem Umstand Rechnung trägt das von Prof. Dr. Klaus Siebenhaar gegründete und geleitete Zentrum für Audience Development (ZAD) am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin. Es konzentriert sich auf die Publikumsforschung und die Kulturmarktentwicklung, aber auch auf Modelle der Kulturvermittlung und die organisationalen Voraussetzungen einer strategischen Kundenorientierung bevorzugt in (Hoch-)Kulturinstitutionen.
Doch was steckt hinter dem – ins Deutsche nur schwer übertragbaren – Begriff Audience Development? Publikumserschließung, Publikumsentwicklung, Publikumsbindung? Sieht man es zunächst einmal poetisch, dann gilt für die Kunst und ihr Publikum: „Von Herzen – möge zu Herzen gehen“. So schrieb es Beethoven über seine Missa Solemnis. Furtwängler griff diese Widmung auf und konstatiert: „Kunst setzt Gemeinschaft voraus“, konkret: „eine Liebesgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“. Dies ist der Ausgangspunkt von Audience Development: Es ist die angewandte, empirisch fundierte Forschung von Verhalten, der „ästhetischen Erziehung“ und der Entwicklung der Kulturpublika. Das klingt einfach, enthält aber eine Grundproblematik, die in der Praxis der Audience-Development-Beratung von Kulturinstitutionen evident wird. Man redet anscheinend vom Gleichen, von Kunst, Bildungsauftrag und Publikum, beschäftigt sich aber jeweils mit einer anderen Wirklichkeit – eben mit „reiner“ Kunst oder strategischem Marketingmanagement.
Aufgabe des ZAD ist die Verbindung von Kulturmanagement- und Marketingforschung und kultureller Vermittlungsarbeit. Unter der Zielsetzung „Wir forschen, beraten und entwickeln“ umfasst das Angebot Forschungs- und Praxismodule wie beispielsweise empirische Kulturmarktforschung, Ausarbeitung von Projektvorschlägen zur Publikumsentwicklung und -qualifizierung und die Entwicklung spezifischer Kommunikations- und Kulturvermittlungsstrategien an der Schnittstelle von Kulturpädagogik und -marketing. Erfolgreiche Beispiele zur Kulturvermittlung und institutionalisierten Publikumsorientierung kann man zum Beispiel in den Workshops des ZAD kennenlernen, bei der Vocale Ottobeuren 2007, bei Tagungen wie „Migranten im Kulturbetrieb“ mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg oder auf einer geplanten großen Konferenz und Messe.
Das ZAD wird finanziell unterstützt von privaten Förderern – dem Berliner Ehepaar Braun, der Deutschen Bank und der Vodafone Stiftung Deutschland. Mit seinen Aktivitäten „umspielt“ es die zentrale Bezugsgröße des Kulturbetriebs: das Publikum. Es sieht dieses als Partner und Multiplikator, aber auch als Liebhaber und Mäzen, den es zu binden, bilden, unterhalten und zu fördern gilt. Ein solches Selbstverständnis zu entwickeln und zu pflegen, ist das Ziel des ZAD für die nächsten Jahre.
Der Autor leitet das Zentrum gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus Siebenhaar.
Weitere Informationen zum Zentrum für Audience Development gibt es im Internet unter: www.zad.ikm.fu-berlin.de.