Studieren statt Sonnenbaden
Die größte deutsche Sommeruniversität lockt Studierende aus der ganzen Welt nach Berlin
Der Hegel’sche Weltgeist galoppiert durch den Raum mit dem roten Teppich und den grauen Tischen, in der Ecke dreht sich ein Ventilator. Studierende aus Spanien, den USA und der Türkei diskutieren über die großen deutschen Philosophen, über Nietzsches „ewige Wiederkehr des Gleichen“, über Immanuel Kant und Karl Marx. Dabei ist gerade vorlesungsfreie Zeit, und draußen sind es 30 Grad im Schatten. Für die Kursteilnehmer aus 40 Ländern heißt das: Die Arbeit geht gerade erst richtig los an der größten deutschen Sommeruniversität.
Zum neunten Mal öffnet die Internationale Sommeruniversität der Freien Universität Berlin, kurz FUBiS, ihre Pforten. Studierende aus der ganzen Welt kommen nach Dahlem, um akademisch hart zu arbeiten und dabei die Stadt und das Land kennen zu lernen. „Das ist kein klassisches Auslandsstudium“, sagt FUBiS-Direktor Mathias Falkenstein. „In sehr kurzer Zeit nehmen die Studierenden bei uns eine Menge mit.“
In nur vier bis sechs Wochen absolvieren die Teilnehmer ein umfangreiches Programm. Die Angebote reichen von intensiven Sprachkursen bis hin zur „Wirtschaftlichen Zukunft Europas“, von „Das dritte Reich – Verführung und Terror“ bis zur „Kino-Stadt Berlin“. „Mit einer Fünf-Tage-Woche müssen die Studierenden schon rechnen“, sagt Falkenstein. Das schreckt den 22-jährigen Evan Yu aus Arizona nicht, im Gegenteil. Das Pensum spornt ihn an. „Ich studiere Literatur im vierten Jahr in Yale“, sagt er, „und da begegnen dir eine Menge deutscher Philosophen.“ Bevor sein letztes Studienjahr in den USA begann, wollte er sich mit Hegel, Nietzsche und Kollegen noch einmal grundlegend beschäftigen. Das Auslandsbüro seiner Heimatuniversität schickte ihm eine E-Mail mit Informationen über die FUBiS. „Da habe ich nicht lange überlegt“, sagt Evan. Seit Ende Juli sitzt er im Kurs „Deutsche Philosophie“, wohnt im Studierendenwohnheim am Schlachtensee und freut sich, im Heimatland von Kant, Marx und Habermas zu lernen. Auch die Stadt begeistert ihn: „Ich habe das Gefühl, Berlin schläft nie so richtig, sogar nachts um vier triffst du Menschen in der U-Bahn.“
In zwei Abschnitten, so genannten „Terms“ von einmal sechs und einmal vier Wochen findet die Sommeruniversität statt. 420 Studierende insgesamt besuchen die FUBiS diesen Sommer. Die Studierenden zahlen dafür Gebühren – von 750 bis zu 1550 Euro. So finanziert sich das Programm. „Seit drei Jahren gelingt es uns, dass wir uns selbst tragen“, sagt Falkenstein. Seit 2003 hat sich die Teilnehmerzahl fast verdoppelt. Für Studierende, die sich die Gebühren nicht leisten können, gibt es Stipendien. Sie werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, von der Freien Universität und von der Alumni-Vereinigung „Friends of Freie Universität Berlin“ zur Verfügung gestellt.
Die Kurse finden in Englisch statt, sodass sich alle verständigen können. Derya Oskul, 23, hat Politikwissenschaft in Istanbul studiert. Jetzt bereitet sie sich in Berlin auf ihren Master an der London School of Economics vor. „Das Tolle an dem Programm – und an Berlin – ist das Kosmopolitische“, sagt sie. Die Stadt kannte sie schon von zwei Ferienreisen. Ein bisschen schade findet sie nur, dass in den Kursen keine deutschen Studierenden sitzen. „Die versuche ich außerhalb der FUBiS kennen zu lernen.“
Das gemeinsame Lernen mit Kommilitonen aus unterschiedlichen Ländern macht den eigentlichen Kern der Sommeruniversität aus. „Wir stehen für die Internationalisierung der Freien Universität“, sagt FUBiS-Direktor Falkenstein. Die Studierenden kommen von überall her, aus Taiwan, Neuseeland oder Argentinien. Es gibt viele, die später wiederkehren, um an der Freien Universität Berlin länger zu studieren. Falkenstein freut sich besonders über das Lob einer indischen Studentin: „Im letzten Jahr kam ich, um Deutsch zu lernen. Dieses Jahr komme ich, um bei der FUBiS dabei zu sein.“
Die meisten Teilnehmer der Sommeruniversität kommen in Wohnheimen unter, einige in eigenen Apartments. Doch etwa ein Fünftel verbringt den Aufenthalt bei Berliner Gastfamilien. „Dafür müssen die Studierenden allerdings gut deutsch sprechen können und zwar mindestens auf Mittelstufen-Niveau, sonst gibt es Missverständnisse auf beiden Seiten“, sagt Mathias Falkenstein.
Damit die Kurse in den jeweiligen Heimatländern anerkannt werden und die Studierenden ihre Leistungspunkte angerechnet bekommen, arbeitet das Programm eng mit Partneruniversitäten zusammen. Große Namen sind darunter wie Yale und Berkeley in den USA oder die Fudan Universität Shanghai. „Solche Partner tragen zur Qualitätssicherung bei“, sagt Falkenstein. Und die Studierenden können durch die zusätzlichen Punkte ihr Studium verkürzen.
In einem schusssicheren Raum ohne Fenster sitzt Dozent Ulrich Brückner mit seinen Studierenden. Ein Besuch in der amerikanischen Botschaft. „Für manche ist das ein ernüchternder Moment“, sagt Brückner, „sie erleben hier, dass die Arbeitsbedingungen für Diplomaten nicht immer glamourös sind.“ Bereits seit Beginn der Sommeruniversität vor neun Jahren bietet der Politikwissenschaftler, der auch während des Semesters an der Freien Universität lehrt, Kurse an. Dieses Jahr sind es zwei, die sich beide mit der Europäischen Union beschäftigen. „Vormittags steige ich mit den Studierenden tief in die Theorie ein“, sagt er. „Wir lesen unheimlich viel.“ Weil die Studierenden aber auch die praktische Seite ihres akademischen Wissens kennen lernen sollen, hat Brückner zusammen mit seinem Kollegen Ingo Peters eine ganze Reihe Außentermine für die Nachmittage organisiert. Da berichtet dann ein Unternehmensberater von seinem Job oder der finnische Botschafter vom Leben auf dem diplomatischen Parkett.
Für Brückner sind die Kurse so etwas wie ein Wissens-Pool: „Die Studierenden lernen voneinander – und ich lerne auch von ihnen.“ Ein schwedischer Student kann viel authentischer von der Diskussion über die Euro-Einführung in seinem Land berichten als hiesige Zeitungen. Eine polnische Studentin erzählt, dass es in ihrem Land nicht gut ankomme, wenn in Westeuropa die Angst vor polnischen Billigarbeitern geschürt wird. „Da sitzt die geballte Kompetenz aus ganz verschiedenen Ländern. Das könnte man sich gar nicht anlesen“, sagt Brückner.
Die Studierenden müssen schon vor Beginn des Programms anfangen, die nötigen Texte zu lesen. Auch kommt während der Terms immer neuer Stoff dazu. Um Texte, Lernmaterial, Diskussionen und Termine zu koordinieren, hat die FUBiS eine Internet-Plattform eingerichtet, auf der alles zum Herunterladen bereitliegt.
Marta Martinez, 21, aus Spanien hat für heute genug gelesen und gelernt. Eben noch hat sie sich gefragt, wie Marx von Hegel beeinflusst wurde. Jetzt steht sie auf dem Flur der Silberlaube und freut sich auf das Stadtleben. „Ich bin das zweite Mal in Berlin“, sagt sie. „Und mein liebster Ort ist der Prenzlauer Berg, vor allem wegen der Kneipen und der netten Leute.“ Sie und die türkische Studentin Derya machen sich auf den Weg, nach einem ganzen Tag Philosophie brauchen sie etwas Entspannung.
Im Moment laufen die Vorbereitungen, um das FUBiS-Konzept auf den Winter auszudehnen. Schon in wenigen Monaten könnte der Hegel’sche Weltgeist dann durch beheizte Räume reiten, während es draußen schneit.
Weiteres im Internet: www.fubis.org
Von Oliver Trenkamp