Humor und Lachen Max und Monty
IM BLICKPUNKT DER FORSCHUNGHumor ist, worüber man lacht: Deutsche lieben es gemütvoll, Briten eher grausig
„England ist voll von Späßen; das Volk ist freimütig, bereit zu scherzen.“ Dies war, auf Latein, schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Henry of Huntingtons „Historia Anglorum“ zu lesen. Acht Jahrhunderte später schrieb der gebürtige Ungar George Mikes, der als naturalisierter Brite reichlich zum englischen Humor beigetragen hat, das Folgende über die Deutschen: „Der mangelnde Sinn der Deutschen für Humor hat zwei Weltkriege heraufbeschworen. Das ist kein Pauschalurteil, sondern die nüchterne Bewertung einer historischen Wahrheit.“
Nicht nur naturalisierte und gebürtige Briten, sondern viele unserer westlichen Nachbarn meinen, dass es uns Deutschen an Humor fehle. Von dieser Überzeugung lassen sie sich weder durch den alljährlichen Karneval noch durch Love Parades und sonstige Ausbrüche deutschen Frohsinns abbringen, wohingegen die Deutschen ihrerseits den englischen Humor als einen Markenartikel anerkennen. Seit eine kürzlich veröffentlichte Erhebung ans Licht brachte, dass das tägliche Gelächter des Durchschnittsbriten von 18 Minuten in den 1950er-Jahren auf sechs gesunken ist, dürften sich die beiden Nationen in diesem Punkt kaum noch unterscheiden. Auch ohne die Hilfe von Allensbach lässt sich durch bloßen Augenschein feststellen, dass die Deutschen in ihrem Privatleben nicht weniger lachen als die Briten. Wenn Letztere darin dennoch keinen Humor sehen, scheinen sie etwas anderes unter dem Begriff zu verstehen als wir.
Um den Unterschied der beiden Humore zu sehen, genügt ein Blick auf die Fernsehunterhaltung beider Völker. Einem Engländer werden am deutschen Fernsehprogramm zwei Angebote auffallen, die er von heimischen Sendern nicht kennt: zum einen die zahlreichen Familiensendungen mit Volksmusik, Trachtenlook und romantischer Landschaftskulisse und zum anderen das politische Kabarett, wie es durch den „Scheibenwischer“ und andere satirische Kleinkünstler vertreten wird. Diese beiden Unterhaltungsformen sind typisch für den deutschen Humor, wie er sich im 19. Jahrhundert ausgebildet hat. Das eine ist der Gemütlichkeitshumor, der sich nach einem spannungsfreien Innenraum sehnt, das andere der moralisierende Humor, der jeden Störer der Ordnung hinauszulachen versucht. Das Verb „auslachen“ bringt dies sinnfällig zum Ausdruck.
Den beiden deutschen Humorformen stehen auf englischer Seite vier ebenso typische gegenüber: Exzentrik, Wortspiele, Nonsens und schwarzer Humor. Der exzentrische Brite ist spätestens seit dem 18. Jahrhundert ein fester Typus. Wortspiele, die als Kalauer in Deutschland eher Stirnrunzeln hervorrufen, werden von Briten und anglophilen Deutschen als puns hoch geschätzt; und Nonsens und schwarzer Humor gelten geradezu als britische Erfindungen.
Alle vier Ausdrucksformen haben eins miteinander gemein: Sie verstoßen gegen eine etablierte Ordnung. Exzentrik verstößt gegen gesellschaftliche Verhaltensnormen, Wortspiele gegen das Gebot der Ernsthaftigkeit im sprachlichen Austausch, Nonsens gegen die logische Basis der Kommunikation und schwarzer Humor gegen die Ordnung der Moral. Damit tut der englische Humor das Gegenteil von dem, was der deutsche will. Während dieser Partei für die Ordnung ergreift und den Störer moralisierend „auslacht“, um einen gemütlichen Innenraum zu schaffen, stellt sich der englische Humor auf die Seite des Störers und lacht mit diesem gegen die Ordnung. Er lacht bottom up, von unten nach oben, um sich gegen die Ordnung zu behaupten; der deutsche lacht top down, von oben nach unten, um die Autorität der Ordnung selbst gegen die Inhaber der Macht zu stärken.
Heißt das nun, dass die Deutschen ein autoritätshöriges Gen in sich tragen, das ihnen neben dem Kaiser und Hitler auch noch ihre Humorlosigkeit eingebrockt hat? Das kann nicht sein, denn es gab Zeiten, da hatten sie den gleichen Humor wie die Briten. Till Eulenspiegel ist das prominenteste Beispiel. Über seine Streiche lachten auch die westlichen Nachbarn. Und selbst bei Chaucer, dem bedeutendsten Repräsentanten des frühen englischen Humors, glaubt man ein Echo davon zu spüren. Humor – um eine krude, aber tragfähige Definition einzuführen – ist die Fähigkeit, eine ernsthaft gespannte Situation unernst aufzulösen. Das Lachen – von Kant als „plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ definiert – ist eine spezifisch menschliche Fähigkeit, die vermutlich schon die Neandertaler besaßen.
Doch eine ausgeprägte Humorkultur entwickelte sich erst, als die Auflösung von Spannungen nötig wurde. Das war in den Städten der Fall, wo auf engstem Raum viele Menschen zusammenlebten. Deshalb machte sich erst in der spätmittelalterlichen Stadtkultur der Humor als ein Kulturphänomen bemerkbar. Damals hätte niemand die Deutschen für humorlos gehalten. Im Gegenteil, mit Eulenspiegel haben sie ihren Humor sogar exportiert, von der reichen Schwankliteratur ganz zu schweigen. Dieser frühe deutsche Humor war wie der heutige englische ein respektlos-anarchischer Stadtbürgerhumor, der sich nach oben gegen den Adel und die Kirche, nach unten gegen tumbe Bauerntölpel und zur Seite gegen die Konkurrenten im eigenen Gewerbe richtete.
Mit dem Niedergang der Stadtkultur und ihrer fast völligen Vernichtung durch den Dreißigjährigen Krieg empfing auch der alte deutsche Humor den Todesstoß. Seine Wiederauferstehung erlebte er nach Ende des Krieges nicht als Stadtbürger-, sondern als Staatsbürgerhumor. Für die Deutschen des 18. Jahrhunderts war im Geist der Aufklärung nicht mehr die Bürgerstadt, sondern der aufgeklärte Staat die politische Einheit, nach der sie sich sehnten. Vom Staat erwarteten sie jenen geschützten Innenraum, den Thomas Mann mitten im Ersten Weltkrieg in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ als „machtgeschützte Innerlichkeit“ beschwor und den die Deutschen noch heute mit ihrem Gemütlichkeitshumor herzustellen versuchen. Während der Stadtbürger sich mit Gelächter Ellbogenraum verschafft, sehnt sich der Staatsbürger nach einem Raum, in dem er die Ellbogen einmal nicht einsetzen muss. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind wir Deutschen – anfangs zögernd, dann immer williger – zum Stadtbürgerhumor zurückgekehrt. Den Staatsbürgerhumor haben wir trotzdem behalten. So haben wir, die wir angeblich so humorlos sind, in Wirklichkeit zwei Humore: einen, für den die Briten keine Antenne haben, und einen, den sie als schlechte Kopie ihres eigenen empfinden. Wir genießen grausamen Nonsens à la Monty Python ebenso wie gemütvolle Menscheleien à la Eugen Roth. Allerdings gibt es einen deutlichen Generationsunterschied. Während die Jüngeren dem englischen Typus zuneigen, wie ihn unter anderem Harald Schmidt verkörpert, hängen die Älteren noch dem Gemütlichkeitshumor an. Noch auffälliger ist der Unterschied in der anspruchsvollen Literatur. Hier zeigt sich der deutsche top down-Humor in der noch immer vorherrschenden Ironie des Overstatement, für die Thomas Mann das prominenteste Beispiel ist. Engländer bevorzugen das Understatement, das ihrem bottom up-Humor entspricht.
Um den Unterschied auf eine einfache Formel zu bringen: Für die Briten war und ist Freiheit der Leitwert, für uns Deutsche ist es Sicherheit. Deshalb lieben wir die Gemütlichkeit, während die Briten ihren Humor mit einem Schuss Grausamkeit würzen. Letztere ist auch in Max und Moritz reichlich vorhanden, doch wird ihr durch die moralisierende Gemütlichkeit der Stachel genommen.
Von Hans-Dieter Gelfert, der Autor war von 1980 bis 2000 Professor für englische Literatur und Landeskunde an der Freien Universität Berlin.