Tierisch wild
Studierende haben bei einer Namibia-Exkursion Einblicke in die Wildtiermedizin erhalten
25.11.2022
Zebra, Löwe und Gnu anstatt Hund, Katze und Kuh: Wenn Thomas Conrad von den Tieren erzählt, mit denen er auf der Namibia-Exkursion zu tun hatte, wird klar, dass der Tiermedizin-Student damit vielen Mitstudierenden etwas voraus hat. „In Deutschland ist es schwierig, Erfahrungen in der Wildtiermedizin zu sammeln“, sagt er. „Die einzige Möglichkeit dafür bieten Zoos, die Plätze dort sind aber rar und äußerst beliebt.“ Besonders nachgefragt war deshalb auch das Angebot des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, an einer einwöchigen Exkursion nach Namibia teilzunehmen: Mehr als 40 Bewerbungen gingen innerhalb von 24 Stunden für den Wahlpflichtkurs ein, die zwölf studentischen Plätze waren schnell vergeben – unter anderem an Thomas Conrad, der im neunten Semester Veterinärmedizin studiert.
Mit dem Erasmus-PLUS-Austauschprogramm an die „University of Namibia“ (UNAM)
Ermöglicht wurde die Exkursion durch eine Kooperation mit der „University of Namibia“ (UNAM), die über das Erasmus-PLUS-Austauschprogramm zustande gekommen war. Bereits seit zehn Jahren – 2012 wurde die UNAM mit ihrer veterinärmedizinischen Fakultät gegründet – setzt sich Carola Fischer-Tenhagen für diese Zusammenarbeit ein. „Die Wildtiermedizin lässt sich an kaum einem anderen Ort der Welt so erleben wie in Namibia“, sagt die Privatdozentin am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität, die inzwischen am Bundesinstitut für Risikobewertung tätig ist. Und sie muss es wissen: Schließlich verfasste Carola Fischer-Tenhagen ihre Doktorarbeit vor Jahren in Namibia: über Infektionskrankheiten beim Nashorn.
Zunächst begann ein Austausch von Lehrenden, Forschenden und Verwaltungsmitarbeitenden; im Sommersemester 2022 konnte erstmals eine Exkursion gemeinsam mit Studierenden starten. Nach einem vorbereitenden Seminar am Fachbereich reisten im Juni zeitversetzt drei vierköpfige studentische Teams gemeinsam mit Carola Fischer-Tenhagen in den Norden Namibias in den rund 22.000 Quadratkilometer großen Etosha-Nationalpark. Vor Ort kamen jeweils drei namibische Studierende sowie zwei Tierärzte zu den Gruppen hinzu. „Wildtiere und deren Zucht sind ein großer Wirtschaftsfaktor in Namibia“, sagt Carola Fischer-Tenhagen. Die praktische Arbeit mit Wildtieren in den Nationalparks gehöre daher für die namibischen Veterinärmedizin-Studierenden zum Lehrplan.
Auf dem Stundenplan: Der Umgang mit einem Betäubungsgewehr
Während diese lernen sollten, wie ein Betäubungsgewehr bei Wildtieren richtig eingesetzt wird, überwachten die Studierenden der Freien Universität die Narkose der Tiere, entnahmen Blut- oder Haarproben bei Springböcken, Gnus oder Oryxantilopen. Löwen, Leoparden und Hyänen legten sie GPS-Halsbänder um, um Bewegungsdaten zu sammeln.
Dabei sei stets darauf geachtet worden, dass kein Tier unnötig betäubt wurde, sagt Thomas Conrad. „Die Tiere wurden ausschließlich im Rahmen laufender Forschungsprojekte sediert, um Daten zu ermitteln.“ Oder um sie zu retten: „Einige Zebras liefen mit Schlingen um den Hals herum, die ihnen Wilderer angelegt hatten. Als sie betäubt waren, konnten wir sie davon befreien.“
Die Wilderei ist ein riesiges Problem in den Nationalparks
„Die Wilderei ist ein riesiges Problem in den Nationalparks, das habe ich vorher nicht gewusst“, sagt Thomas Conrad. Allein im Juni hätten Wilderer im Nationalpark elf Spitzmaulnashörner erlegt, um an deren Hörner zu kommen. „Diese Erfahrung war sehr bedrückend, lehrreich und prägend.“ Eine tolle Erfahrung hingegen sei die gemeinsame Zeit mit den UNAM-Studierenden im Camp gewesen. Besonders beeindruckt zeigt sich Thomas Conrad von der Lebensgeschichte zweier namibischer Studentinnen, die als erste Mitglieder ihrer Familien aus dem Dorf in die Stadt gezogen seien, um dort zu studieren. „Sie haben sich emanzipiert und dabei nicht nur Zuspruch erhalten“, sagt Conrad. „Es war faszinierend, wie die beiden Frauen es dennoch geschafft haben, ihre Kultur und Tradition in ihr neues städtisches und studentisches Leben zu integrieren.“
Geschichten wie diese sind es, die auch Koordinatorin Carola Fischer-Tenhagen am Herzen liegen: „Neben dem fachlichen Austausch war uns vor allem die kulturelle Begegnung zwischen den Studierenden wichtig“, sagt sie. In ihrer Exkursionsgruppe seien Teilnehmende aus drei verschiedenen namibischen Kulturgruppen gewesen: ein Herero, ein Himba und eine Damara-Frau. Alle seien in einer sehr ursprünglichen Kultur aufgewachsen und teilweise erst mit zwölf Jahren das erste Mal in die Schule gegangen – wobei der Schulweg eine Stunde zu Fuß betragen habe. „Der Zugang zu Bildung ist eben keine Selbstverständlichkeit“, sagt Carola Fischer-Tenhagen. „Von unseren Studierenden haben wir erfahren, dass diese Begegnungen für sie teilweise lebensverändernd waren. Und dass sie einen neuen Blick auf bestimmte Dinge gewonnen haben.“
Auch Thomas Conrad haben die Erfahrungen während der Exkursion nachhaltig geprägt. Er denkt darüber nach, sich nach seinem Studium für die Organisation „Tierärzte ohne Grenzen“ zu engagieren. Vielleicht wird er dann nach Namibia zurückkehren.