Willkommen!
Kolumne von Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin
07.05.2022
Der Krieg in der Ukraine ist ein Systembruch. Er verändert grundlegend unsere Vorstellungen vom Zusammenleben in Europa, er stellt unser Vertrauen in Frieden und länderübergreifende Kooperationen in Frage – und in die Möglichkeiten von Fortschritt und Wandel.
All das betrifft auch die Wissenschaft und in besonderer Weise die Freie Universität Berlin als internationale Netzwerkuniversität. Entsprechend hat die Hochschule auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine schnell und unmissverständlich reagiert: Wir haben umgehend sämtliche Zusammenarbeit mit Institutionen in Russland ausgesetzt, auch die strategische Partnerschaft mit der Staatlichen Universität Sankt Petersburg, und unser langjähriges Verbindungsbüro in Moskau bis auf Weiteres geschlossen. Gleichzeitig haben wir klargestellt, dass die individuelle Zusammenarbeit und der Austausch weiterhin möglich und willkommen sind und auch nicht beschnitten werden. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört auch die Freiheit der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg; die individuelle Zusammenarbeit basiert auf der Verantwortung der Einzelnen – auch in diesen herausfordernden Zeiten. Aufgrund ihrer Gründungsgeschichte und ihres auch daraus gewachsenen Selbstverständnisses trägt die Freie Universität die Verantwortung, Menschen ohne Diskriminierung und Ablehnung auf ihrem Campus willkommen zu heißen. Und ihre Mitglieder setzen so ein Zeichen, mit offenen Armen, für geflüchtete Studierende wie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – aus der Ukraine, aber eben auch für gefährdete oder verfolgte russische Forschende und Studierende. Die „offenen Arme“ beruhen auf nachhaltigem Engagement und Unterstützungsangeboten aus vielen Bereichen der Freien Universität, aber auch von vielen individuellen Hilfestellungen ihrer Mitglieder. Es ist ein sehr vielstimmiges „herzlich willkommen!“, und ein vielsprachiges – unter anderem auch auf Ukrainisch in unserer Studienberatung!
Der Systembruch verändert den Rahmen für die Wissenschaft, er bringt auch Fragen in die öffentliche Diskussion, für die die Freie Universität besonders gefordert ist. Dem Staunen in der Öffentlichkeit darüber, wie nah uns die Ukraine ist, wie stark Europa mit ihr kulturell, historisch und ökonomisch verbunden ist, begegnet das Osteuropa-Institut der Freien Universität mit seiner besonderen Kompetenz und Erfahrung aus den mehr als 70 Jahren seiner Geschichte. Mit den großen Themen von Wirtschaft, Geschichte, Kommunikation und (Des-)Information, die der Krieg jetzt in die Schlagzeilen bringt, antwortet die Universität aus der Breite ihrer Fächer und Projekte. Und der recht kontrovers diskutierten Frage nach „schweren Waffen“ stellt die Freie Universität ihre Beschäftigung mit der Problematik des „DualUse“ in der universitären Forschung entgegen, einer der großen moralischen Fragen der wissenschaftlichen Praxis.
Unser „herzlich willkommen auf dem Campus!“ gilt im Sommersemester 2022 besonders allen, die aufgrund des Ukrainekonflikts bei uns ankommen, es gilt allen, die nach den bisherigen Einschränkungen in der Corona-Pandemie die Universität jetzt wieder in voller Lebendigkeit erleben können, und es gilt allen, die mit uns die großen Fragen unserer Zeit und die Überlegungen der Wissenschaft entdecken und diskutieren. Herzlich willkommen!