Ein Labor macht Schule
Aufholen nach Corona: In einem Projekt der Freien Universität sollen Grundschulkinder neue Lust am Lernen entdecken
30.06.2022
„Mein Sohn, sagte kürzlich ein Vater zu mir, erzählt nie vom Unterricht. Von seiner Arbeitsgruppe erzählt er ständig.“ Petra Skiebe-Corrette, Biologieprofessorin an der Freien Universität und Leiterin des naturwissenschaftlichen Mitmach- und Experimentierlabors NatLab für Schülerinnen und Schüler, braucht nur wenige Worte, um zu beschreiben, wie sehr das Projekt „Aufholen nach Corona mit dem NatLab“ den an Arbeitsgruppen wie einer Fahrrad-AG teilnehmenden Schulkindern geholfen hat, die Freude am Lernen zurückzugewinnen – nach den Entbehrungen der Corona-Pandemie, nach Lockdown und Homeschooling.
Schulschließungen und Corona-Einschränkungen machten die Welt klein
Petra Skiebe-Correttes Projekt ist Teil des Programms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“, das „Lernort Labor – Bundesverband der Schülerlabore e.V.“ unter dem Vorsitz der Wissenschaftlerin gemeinsam mit der Julius-Maximilians- Universität Würzburg ausgeschrieben hat. Finanziert wurde es mit insgesamt 20 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Geld fließt in Förderangebote von 98 Schülerlaboren, die Lernrückstände schließen und Freude am gemeinsamen Lernen fördern sollen, etwa das NatLab von Petra Skiebe-Corrette.
Die Professorin und ihr Team betreuten vor der Pandemie vor allem Schülerinnen und Schüler der fünften bis zwölften Klassenstufen mit ausgeprägtem Interesse an den Naturwissenschaften. Nun aber wollten sie bei jüngeren Schulkindern, die stark von der Pandemie betroffen sind, neue Freude am Lernen wecken – deshalb finden die AGs auch in der Schule und nicht am Schülerlabor statt.
Unterstützt wird Petra Skiebe-Corrette von Lehrerin Christin Strung, die an das NatLab abgeordnet ist, und Claus Brencher. Der pensionierte Lehrer arbeitete viele Jahre an der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg. Nun stellte Claus Brencher Kontakte zu Grundschulen her, sprach mit deren Schulleitungen der Schulsozialarbeit, den dort tätigen Lehrern und Lehrerinnen und beriet die Studierenden, die Arbeitsgruppen wie die Fahrrad-AG leiteten, und mit den Schülerinnen und Schülern im Projektalltag arbeiten sollten.
Vom Lehramtsstudium zur Fahrrad-AG
Einer dieser Studierenden ist Leon Moellney. Der Politologiestudent engagiert sich in der Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt FUrad an der Freien Universität Berlin und hat sich gemeldet, als das Projekt einen Fahrradexperten suchte, denn eine der am Projekt beteiligten Schulen wünschte sich eine Fahrrad-AG, da sie schon immer handwerkliche AGs anbieten wollte.
„Als am Fahrrad interessierter Mensch fand ich es cool, mein Wissen weiterzugeben“, umreißt Leon Moellney seinen Antrieb, zusammen mit einem Lehramtsstudenten die Fahrrad-AG zu leiten. Eine Motivation, die sich schnell auf seine acht Schüler übertragen hat, wie bei der Abschlussveranstaltung für das Gesamtprojekt in der Schule deutlich wird.
„Leon hat gut erklärt. Er hat für uns Ersatzteile gekauft, und wir konnten sogar das Fahrrad meines Bruders reparieren“, sagt Ismail (Name geändert) stolz, einer der Grundschüler, der an der Arbeitsgruppe teilgenommen hat. „Als wir während Corona zu Hause lernen mussten, haben mir meine Freunde gefehlt. In der AG sind Freundschaften neu gewachsen.“
Beim gemeinsamen Schrauben in der kleinen Gruppe merkten die beiden Studierenden schnell, wenn Konflikte entstanden oder Schüler schlecht drauf waren. Brauchte plötzlich jemand 30 Minuten für einen Reifenwechsel, dem es in der Woche davor in fünf gelungen war, fragten sie nach den Gründen. Ein Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, dem der Unterricht nach der Rückkehr ins Klassenzimmer schwerfiel, erzählte Leon, wie wenig er im Lockdown geschrieben hatte: „Höchstens mal einen Fünfzeiler.“
In der Pandemie war die Welt vieler Kinder klein geworden. „Wenn überhaupt, draußen Fußball, sonst Playstation“, hat Leon Moellney von Schulkindern erfahren. Die Arbeitsgemeinschaft machte die Welt wieder weit und mit ihr Schüler groß. Weil sie Handgriffe wie beim Wechsel von Reifen übten, lernten sie die dazugehörigen Fachbegriffe nahezu nebenbei. „Da hieß es dann plötzlich, hey, ich brauche mal den Imbusschlüssel“, erzählt Leon Moellney. „Und Mantel und Schlauch“, ergänzt Grundschüler Ismail. Für das nächste Schuljahr hofft Leon, dass sich auch Schülerinnen an der AG beteiligen.
Kein Druck, viel Freiraum für kreative Ideen
Wie in der Fahrrad-AG der Charlotte- Salomon-Grundschule arbeiteten auch die anderen Gruppen: intensiv, nahbar, zwei Studierende mit jeweils acht Schulkindern. Diese wurden von den Schulen vorgeschlagen, die Teilnahme war freiwillig. Es ging nicht um Schulstoff, es gab keine Noten, stattdessen Tüfteln ohne Druck, mit viel Freiraum für kreative Ideen.
In den Arbeitsgruppen der vier weiteren teilnehmenden Grundschulen entstand in je zwölf zweistündigen Terminen aus speziell entwickelten Experimentierkästen des Kooperationspartners Technik und Naturwissenschaften an Schulen (TuWas!)Weiteres: etwa bruchsichere Verpackungen oder von Luftballons angetriebene Rennfahrzeuge, die Schülerinnen und Schüler an diesem gemeinsamen Abschlusstag stolz um die Wette fahren ließen.
Wie der gemeinsame Abschluss an der Charlotte-Salomon- Grundschule fanden alle AGs an den jeweiligen Schulen statt – Neuland für das Mitmach- und Experimentierlabor von Professorin Petra Skiebe-Corrette, zu dem die Schülerinnen und Schüler ansonsten an die Freie Universität nach Dahlem fahren. „Weil das für Grundschulkinder ein weiter Weg ist, haben wir unser Labor diesmal in Kisten gepackt und sind damit an die Schulen gegangen“, erklärt Petra Skiebe-Corrette.
Ein Experiment, das gelungen ist und ausgeweitet wird: In einer zweiten Runde nach den Sommerferien sollen statt sechs nun zwölf Schulen mitmachen. Auch Ismail und viele weitere Schülerinnen und Schüler wären dann gerne wieder dabei.