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Der kleine Unterschied

Kinder erkranken seltener schwer an Covid-19, weil ihre Körpertemperatur höher ist

22.02.2022

Ein Mädchen, ein Junge und ein älterer Herr blicken hinter einem Gartentor hervor.

Das Risiko für einen schweren Verlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus steigt im Alter von 50 bis 60 Jahren stetig. Von den mehr als 60-Jährigen sind nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts rund 2,8 Millionen Menschen ungeimpft.
Bildquelle: Picture Alliance/Image Source/Nils Hendrik Muller

Wissen Sie noch, früher? Als man von Coronaviren noch nichts wusste, von ihren Noppen und Spike-Proteinen? Als Virologen und Epidemiologinnen noch keine gefragten Talkshowgäste waren und nicht schon Kindergartenkinder das Virus mit den markanten Stacheln zeichnen konnten? Früher sagte Omi: „Zieh dich warm an, sonst erkältest du dich!“ Dieser Ratschlag war nicht nur Ausdruck von Zuneigung und Sorge, sondern er lässt sich wissenschaftlich begründen.

An der Freien Universität Berlin konnte der Biochemiker Professor Florian Heyd mit seinem Forschungsteam in einer Studie zeigen, dass ein warmer Körper Erkältungsviren besser abwehrt als ein kühler. Der Zusammenhang zwischen Körpertemperatur und Virusabwehr trägt Heyd zufolge auch zu einer Erklärung bei, wieso an Covid-19 erkrankte Kinder in der Regel leichtere Verläufe haben als Erwachsene im fortgeschrittenen Alter: Kinder sind wärmer. Und weil ältere Menschen weniger warm sind, seien sie anfälliger für eine schwere Corona-Erkrankung.

Ein Grad Unterschied bei der Körpertemperatur genügt, um antivirale Gene anzuschalten

Biochemiker Florian Heyd: „Die Körpertemperatur spielt für die Immunabwehr und unsere Gesundheit insgesamt eine wesentlich größere Rolle, als wir bislang angenommen haben.“

Biochemiker Florian Heyd: „Die Körpertemperatur spielt für die Immunabwehr und unsere Gesundheit insgesamt eine wesentlich größere Rolle, als wir bislang angenommen haben.“
Bildquelle: Bobby Draegert

„Dass Kinder eine Infektion mit Covid-19 leichter wegstecken, ist statistisch nachgewiesen. Wir können nun anhand eines Mechanismus der temperaturabhängigen Proteinbildung im Körper zeigen, warum das so ist“, erklärt Florian Heyd. „Die Klasse von Proteinen im Körper, die für die Abwehr des SarsCov2-Virus zuständig sind, reagiert auf Wärme. Und zwar sehr genau: Schon ein Grad Unterschied bei der Körpertemperatur genügt, um die antiviralen Gene anzuschalten. Es ist bemerkenswert, mit welcher Präzision das funktioniert.“

Dass die Körpertemperatur des Menschen nicht immer gleich hoch ist, sondern sich um zwei, drei, sogar vier Grad erwärmen kann, ist allgemein bekannt: Mehr als 38 Grad bedeutet Fieber. Zum Allgemeinwissen zählt auch, dass Fieber die Abwehrkräfte aktiviert. Das funktioniert beispielsweise durch die sogenannte „Heat-Shock-Antwort“, die ab einer Temperatur von etwa 38 Grad eingeschaltet wird. Dies trägt zur Herstellung körpereigener Proteine bei, die Interferone genannt werden und die das Immunsystem zur Infektbekämpfung braucht. So weit, so bekannt.

Je wärmer der Körper, desto höher die Anzahl an Abwehrproteinen

Neu ist, was die Forschung von Florian Heyd und der Doktorandin Bruna Los aus seinem Team zeigt: dass die körpereigene Immunabwehr schon bei weniger großen Differenzen der Temperatur steigt, zwischen 36,5 Grad und 37,5 Grad, also innerhalb der Normaltemperatur eines gesunden Menschen. Die Körpertemperatur, erläutert Florian Heyd, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, und sie ist abhängig vom Tagesrhythmus: Im Schlaf ist sie niedriger als im Wachzustand, bei körperlicher Aktivität und Sport ist sie höher als im Ruhezustand. Vor allem aber hängt sie auch vom Alter ab: Ein Kind hat eine mittlere Körpertemperatur von mehr als 37 Grad, bei älteren Menschen liegt sie bei unter 36,5 Grad.

Anhand von Experimenten mit Zellkulturen konnte das Team von Florian Heyd nachweisen, dass dieser eine Grad Unterschied ausreicht, um die antiviralen Gene im Körper und damit die Abwehr „anzuschalten“ – genauer: das STAT2-Protein, „Signal Transducer and Activator of Transcription“. Dieses Protein ist entscheidend für die Produktion von Interferonen, die zur Virusabwehr gebraucht werden. Einfach gesagt: Je wärmer der Körper, desto höher die Anzahl an Abwehrproteinen.

Auch Tiere, Pflanzen und einzellige Algen haben Temperatursensoren

Und das gilt nicht nur für Menschen, wie Heyd betont – interessanterweise ist der Mechanismus, der es dem Körper erlaubt, kleine Änderungen in der Temperatur zu messen, evolutionär „hochkonserviert“: Die Temperatursensoren fänden sich in Pflanzen, Tieren und auch einzelligen Algen. Sie sind jeweils auf den Temperaturbereich der verschiedenen Organismen angepasst.

Die biologische Relevanz konnte der Biochemiker gemeinsam mit einem Kollegen aus der Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin zeigen: Der promovierte Virologe Jakob Trimpert maß die Körpertemperatur von mit dem Coronavirus infizierten Hamstern. In Trimperts Daten fand sich dasselbe Ergebnis wie in Heyds Zellkulturversuchen. Schon bei leicht höherer Körpertemperatur vermehrte sich das Virus in den Hamstern deutlich schlechter. Auch wenn bisher nur wenige Tiere untersucht wurden, hält Florian Heyd es für wert, den Ansatz weiterzuverfolgen.

Biochemikerin mit Kittel und Maske arbeitet im Labor

Bei der Arbeit mit Zellkulturen fand Doktorandin Bruna Los Hinweise darauf, bei welcher Körpertemperatur die körpereigene Abwehr gegen Viren anspringt.
Bildquelle: Bobby Draegert

Positive Nebenwirkungen von Bewegung und Sport

Der Biochemiker ist überzeugt davon, „dass die Körpertemperatur für unsere Gesundheit insgesamt eine wesentlich größere Rolle spielt, als wir bislang angenommen haben“. So lasse sich etwa anhand von Daten aus Finnland zeigen, dass zwei Saunagänge pro Woche das Risiko verringern, an Alzheimer zu erkranken. Florian Heyd vermutet einen Zusammenhang mit der Wärmeeinwirkung auf das für die Neurodegeneration relevante Protein Tau.

Auch dass regelmäßiger Sport bei Depression helfe und Alzheimer vorbeugen könne, sei bekannt. Zwar gebe es für die gesunde Wirkung von Sport viele Gründe: Das Herz schlägt schneller und kräftiger, die verstärkte Durchblutung von Arterien und Organen ist wichtig für den gesamten Organismus. Aber der Fokus des Biochemikers liegt nicht auf Durchblutung, Blutdruck oder Herzstärke, sondern auf der Körpertemperatur. Und die steigt bei sportlicher Aktivität. Aber ob sie eine solch’ große Rolle spielt? „Wenn ich zwei Stunden jogge, messe ich bei mir eine Temperatur von 38,5 Grad“, sagt Florian Heyd. Und schon nach 15 Minuten Radfahren erwärme sich der Körper um 0,5 Grad. „Das könnte einen wichtigen Beitrag leisten, so wie Sport gesundheitsfördernd wirkt.“

Alte Volksweisheit wichtig in der Wissenschaft

Auch bei der Krebsbehandlung spielt Körperwärme eine Rolle. Manche Tumorarten sprechen auf eine Wärmetherapie, die Hyperthermie, in Kombination mit der Chemotherapie gut an. Der molekulare Mechanismus dahinter sei noch nicht erforscht.

Die Forschung zur Auswirkung der Körpertemperatur auf die Corona-Immunantwort hat Heyds Team inzwischen zu einem Artikel für eine Veröffentlichung zusammengefasst, er befindet sich derzeit im Peer-Review-Verfahren: Das bedeutet, dass andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Studienergebnisse überprüfen.

Sollten sich Heyds Forschungsergebnisse erhärten, wäre das gleichzeitig das wissenschaftliche Fundament für die Weisheit aus dem Volksmund. Nur dass eine Warnung der Großmutter an die Enkelin präzise lauten könnte: „Zieh dich warm an, das ist wichtig für deine STAT2-Proteine!“ Und sollte sich die Enkelin dennoch erkälten, helfen – wissenschaftlich erwiesen – warme Socken, Tee und Wärmflasche.

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