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Ziemlich komplexe Freunde

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin berichten von ihren Erfahrungen in der Politikberatung

02.12.2021

„Bleiben Sie hartnäckig“, rief Bundeskanzlerin Angela Merkel der Wissenschaft in Berlin beim Internationalen Symposium des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen zu.

„Bleiben Sie hartnäckig“, rief Bundeskanzlerin Angela Merkel der Wissenschaft in Berlin beim Internationalen Symposium des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen zu.
Bildquelle: picture alliance / dpa / Matthias Balk

Die vergangenen beiden Jahre haben es ganz deutlich gezeigt: Ohne die Expertise aus der Wissenschaft – vor allem aus der Medizin, aber auch aus den Politik- und Sozialwissenschaften und anderen Fächern – hätten Politikerinnen und Politiker strategische Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht treffen können.

Die zurückliegende Zeit hat aber auch gezeigt, wie komplex das Zusammenspiel von Politik und Forschung ist. Auf welche Weise werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sobald sie beratend in die Öffentlichkeit treten, wahrgenommen? Sie werden für ihre Beiträge geschätzt und kritisiert, in Konkurrenz zueinander gesetzt und angefeindet.

Prominentes Beispiel in Deutschland ist Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die zur Freien Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin gehört. Seine von der Bundesregierung und international gefragte Expertise sowie die offensive Art der Wissenschaftskommunikation – etwa in Form des NDR-Podcasts „Das Coronavirus-Update“ – brachten ihm große Medienresonanz und regen Zuspruch. Aber auch Ablehnung und sogar Hass.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität sind zu verschiedenen Themen und in unterschiedlichen Gremien in der Politikberatung aktiv. Wir haben sie gefragt, wie Politikberatung funktionieren kann – und wo sie an Grenzen kommt.  

Achim Brunnengräber: Wissenschaftliche Ziele offenlegen

Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber

Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber
Bildquelle: privat

Das im Mai 2017 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standorts für ein Endlager nimmt eine wichtige Weichenstellung vor. Es fordert, dass das Verfahren wissenschaftsbasiert sein muss – und reagiert damit auf die Fehler der Vergangenheit: Über Jahrzehnte hinweg haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die staatliche Pro-Atompolitik und den Bau von Atomkraftwerken auf die eine oder andere Weise unterstützt. Sie hatten auf diese Weise Teil am längsten und polarisiertesten Energiekonflikt, den Deutschland je erlebt hat.

Im Jahr 2020 ist jedoch der Salzstock Gorleben aus dem Suchverfahren nach möglichen Standorten ausgeschieden. Dadurch wurde die Grundlage für eine dialogorientierte Wissenschaftspraxis geschaffen, die weit über die Politikberatung hinausreicht. Denn die Standortsuche findet im Rahmen eines Bürgerdialogs statt, in dem eine neue Art von Wissen als Entscheidungsgrundlage erzeugt wird. In dieser öffentlichen Arena muss auch der Streit innerhalb und zwischen den Disziplinen produktiv ausgetragen werden.

Laienexpertise einzubeziehen, wird dabei immer wichtiger. Das setzt wiederum eine entsprechende Förderpraxis voraus, die schon im Antragsverfahren Mittel für Formate einplant, über die Laien eingebunden werden können. Außerdem benötigen wir eine unabhängige und kritische Wissenschaft, die sich auch an den Belangen der Öffentlichkeit ausrichtet.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen ihre (Forschungs-)Ziele offenlegen und Fakten verständlich aufbereiten. Die Risiken und Ängste, die aus der Bevölkerung vorgetragen werden, müssen ernst genommen werden. Dann kann die faktenbasierte, transparente und dialogorientierte Wissenschaft viel zum Erfolg der Standortsuche für ein Endlager beitragen, das so dringend benötigt wird.

Der Politikwissenschaftler war von 2007 bis 2021 im Fachbeirat Nord-Süd der Heinrich-Böll-Stiftung und von 1999 bis 2002 für die Enquête-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ des Deutschen Bundestages wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ernst Ulrich von Weizsäcker. Er forscht zur Umwelt-, Energie- und Klimapolitik. Sein derzeitiger Fokus liegt auf der Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortsuchverfahren für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle.

Christian Calliess: Interne Beratung ist am erfolgversprechendsten

Rechtswissenschaftler Christian Calliess

Rechtswissenschaftler Christian Calliess
Bildquelle: SRU

Aus meiner persönlichen Erfahrung ist Politikberatung inspirierend, lehrreich, gegenseitig befruchtend – und manchmal natürlich auch ernüchternd.

Da ist zunächst die fallbezogene Beratung: etwa die Einladung zu einer Anhörung des Bundestages als Sachverständiger, als sich während der Krise im Euroraum abzeichnete, dass die „Rettungsschirme“ absehbar vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe landen würden. Nach meinem Eindruck führt juristisches Neuland in einer hochpolitischen Krise bei der Politik zu größerer Offenheit für Beratung durch die Wissenschaft.

Ganz anders der „Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin“ 2011/12. Unsere in der Gruppe „Nachhaltiges Wirtschaften“ formulierten Vorschläge wurden von Angela Merkel mit der vielsagenden Bemerkung kommentiert: „Das ist ja alles so verbindlich …“.

Mehr als das „Bohren dicker Bretter“ empfand ich meine über zwölf Jahre andauernde Mitarbeit im wissenschaftlich interdisziplinär zusammengesetzten, unabhängigen Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU). Dessen Auftrag ist es, in öffentlich zugänglichen Gutachten auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und Reformen vorzuschlagen.

Viermal im Jahr gab es Termine mit den zuständigen Ministerinnen oder Ministern – nicht alles wurde im politischen Raum gerne gehört. Expertise wird dann schnell einmal zum Spielball politischer Interessen. Das mag wissenschaftlich frustrierend sein, aber das Primat gewählter Politikerinnen und Politiker hat Beratung in der Demokratie zu respektieren.

Am erfolgversprechendsten erscheint mir interne Politikberatung. Von 2015 bis 2018 war ich von der Freien Universität beurlaubt, um als Rechtsberater des Strategieteams „European Political Strategy Centre“ des damaligen Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker, zu arbeiten. Angesiedelt auf der Präsidialebene sollten wir – ein gut 25-köpfiges Team – explizit auch „gegen den Strom“ denken.

Viele Papiere und Ideen verschwanden in der Schublade, das ist der Preis der internen Beratung. Einige tauchten, wenn das Thema politisch aktuell wurde, dann aber plötzlich wieder auf. Und manche fanden ganz zeitnah Eingang in politische Initiativen der Kommission, etwa wenn sie eine Leerstelle innovativ füllten oder eine politische Streifrage konstruktiv überbrückten.

Der Rechtswissenschaftler lehrt und forscht vor allem zu Themen des Verfassungs- und Europarechts sowie des Umweltrechts.

Sabine Kropp: Vermitteln, wie Erkenntnis entsteht

Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp

Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp

Wenn ich Muster der Politikberatung reflektiere, so waren diese Tätigkeiten zumeist „dialogisch“ ausgestaltet. Meine wissenschaftlichen Befunde und Schlussfolgerungen wurden von den „Abnehmern“ in Politik und Recht mehr oder weniger eingehend mit mir diskutiert. Auch schriftliche Stellungnahmen müssen meiner Erfahrung nach mündlich erörtert werden, damit die wesentlichen „Botschaften“ bei Gericht, Abgeordneten oder in Ministerien, wo Zeit eine knappe Ressource ist, ankommen.

Inwieweit wissenschaftliche Befunde in Entscheidungen einfließen, muss bei dieser Art von Beratung in Demokratien freilich den Verantwortlichen überlassen werden – sie sind es schließlich, und nicht die Wissenschaft, die über die Legitimation für allgemeinverbindliche Entscheidungen verfügen.

Damit unterscheidet sich diese Art der wissenschaftlichen, universitären Politikberatung von einer, in der politische Agenden von beiden Seiten gemeinsam erarbeitet werden und in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ziele ihres Gegenübers in die eigenen Bewertungen einfließen lassen.

Die Pandemie hat etwas eigentlich Selbstverständliches verdeutlicht: Wissenschaftliche Erkenntnis ist stets vorläufig und kann nur in einem Prozess der fortlaufenden kritischen Reflexion und des – oft kontroversen – Austauschs von methodischen Vorgehensweisen und Befunden gewonnen werden.

Widerspruch ist die Stärke von Wissenschaft. Sie muss faktenbasiert argumentieren und ihre eigenen normativen Grundlagen offenlegen. Politische Akteure müssen diesen Erkenntnisprozess aber verstehen und einschätzen können, sonst gehen ihre Entscheidungen am Problem vorbei. Wissenschaft sollte diesen Vermittlungsprozess deshalb bewusst als Teil ihrer Beratung betrachten.

Die Politikwissenschaftlerin war Expertin für Mehrebenen-Parlamentarismus vor dem Bundesverfassungsgericht im CETA-Organstreitverfahren. Sie war außerdem in einer Enquête- Kommission des Landtags Nordrhein-Westfalen zum Thema Subsidiarität und Landesparlamente sowie geladene Sachverständige bei der britischen Labour Party.

Ronnie Schöb: Ergebnisoffene Diskussionen, intensiver fachlicher Austausch

Ökonom Ronnie Schöb

Ökonom Ronnie Schöb
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die bis zu 25 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen beraten den Bundesminister der Finanzen unabhängig und ehrenamtlich. Unabhängig sind sie dabei in zweifacher Hinsicht: Neue Mitglieder werden vom Beirat gewählt und nur auf dessen Vorschlag hin vom Bundesminister der Finanzen berufen.

Auch bei der Auswahl seiner Themen ist der Beirat vollkommen frei. Er berät also nicht auf Anfrage, sondern bezieht Stellung zu den ihm wichtig erscheinenden Themen und Fragen. In dieser Hinsicht versteht er sich als „wissenschaftliches Gewissen“ der Politik. Entsprechend breit ist das Spektrum der Gutachten und Stellungnahmen, die die Mitglieder verfassen. Sie beschäftigen sich vorrangig mit aktuellen wirtschafts- und finanzpolitischen Themen, die auch für die laufende Arbeit des Ministeriums bedeutsam sind.

So äußerte sich der Beirat in den vergangenen Jahren etwa zu Fragen der Digitalisierung, zur Reform des Ehegattensplittings, zur Sinnhaftigkeit einer Finanztransaktionssteuer oder zur Konjunkturpolitik in der Corona-Krise.

Darüber hinaus nimmt sich das Gremium immer wieder die Zeit, sich mit über die Tagespolitik hinausreichenden Themen, wie etwa der Einkommensungleichheit und sozialen Mobilität oder dem bedingungslosen Grundeinkommen, zu beschäftigen. Besonders schätze ich dabei die ergebnisoffenen Diskussionen in den Beiratssitzungen sowie den intensiven fachlichen Gedankenaustausch – oft auch unabhängig von konkreten Gutachten – mit den verschiedenen Arbeitsebenen des Ministeriums.

Der Ökonom ist Professor für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt internationale Finanzpolitik; er ist seit 2015 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.

Reinhold Leinfelder: Wissenschaftliche Beiräte verankern

Geologe und Paläontologe Reinhold Leinfelder

Geologe und Paläontologe Reinhold Leinfelder
Bildquelle: privat

„Bleiben Sie hartnäckig und – ich möchte es jetzt einmal etwas lax sagen – fallen Sie uns Politikern manchmal auch auf den Wecker!“

Bundeskanzlerin Angela Merkels Ermunterung an den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bei dessen zwanzigjährigem Jubiläum ist die vielleicht beste Zusammenfassung meiner Arbeit dort.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und der gegenseitige Respekt im Beirat sowie das immer große und meist auch gute Feedback aus der Politik, aber auch der nach der Katastrophe von Fukushima und auf dem WBGU-„Trafo-Gutachten“ basierende erfolgte Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung aus der Kernkraft, die hohe internationale Beachtung unserer Tätigkeit und ja, auch die Kreativität der Mitglieder haben mich sehr geprägt.

Die „Übersetzung“ des Trafo-Gutachtens in einen Sach-Comic ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für Wissenschaftskommunikation. Diese Art von politischer Beratung war wesentlich und, wie ich meine, auch erfolgreich.

Sie steht im Gegensatz zu etlichen anderen Beratungszirkeln, die ich kenne und bei denen ich mitgewirkt habe. Die starke Verquickung von Wissenschaften mit Lobbygruppen habe ich dabei erlebt und auch, dass Beschlüsse des Beirats ignoriert wurden, wenn sie nicht genehm waren.

Mein Fazit: Wissenschaftliche Beiräte sollten fest als Gremien verankert sein, Ad-hoc-Gruppen sind eher schwierig; Gutachten sollten schriftlich ausgearbeitet und öffentlich zugänglich sein, damit sie weniger leicht ignoriert werden; nicht zuletzt: Wissenschaftskommunikation ist auch für Beiräte wichtig; und diese sollten regelmäßig reflektieren, ob ihre Arbeit ernst genommen wird oder nur Alibifunktion hat.

Der Geologe und Paläontologe war unter anderem von 2012 bis April 2021 Beiratsmitglied im Sachverständigenrat Naturschutz und Landschaftspflege der Berliner Senatsverwaltung Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Von 2008 bis 2013 war er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).