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Wer schön sein soll, muss leiden

Nicht selten sind Extremzuchten oder Unwissen über den richtigen Umgang schuld am Tod von Haustieren

18.02.2019

Große Hunde wie Bordeaux-Doggen leiden wie viele andere große und schwere Hunde vermehrt an Gelenkproblemen; die Kurzköpfigkeit der kleinen Chihuahuas kann zu Atemwegsproblemen führen.

Große Hunde wie Bordeaux-Doggen leiden wie viele andere große und schwere Hunde vermehrt an Gelenkproblemen; die Kurzköpfigkeit der kleinen Chihuahuas kann zu Atemwegsproblemen führen.
Bildquelle: picture alliance/Soeren Stache

Wenn Professor Achim Gruber in einem der gefliesten Obduktionssäle am Sektionstisch mit seinem Skalpell zum ersten Schnitt ansetzt, offenbart sich ihm häufig ein langer tierischer Leidensweg. „Die Tiere verraten mir nach ihrem Tod einiges über ihr Dasein: Wie sie gelebt, worunter sie gelitten haben und woran sie letztendlich gestorben sind“, sagt der 52-Jährige.

Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden der Tiermedizin obduziert der Leiter des Instituts für Tierpathologie in Berlin-Düppel mehrere Tiere täglich. Allein bis zu 1000 Haustiere sind es jährlich, aber auch Elefanten, Panzernashörner und tierische Prominenz wie der Panda „Bao-Bao“ und das Flusspferd „Bulette“ aus dem Zoologischen Garten lagen schon auf seinem Seziertisch.

Beauftragt werden die Obduktionen oft durch praktizierende Tiermediziner oder verzweifelte Halter, die wissen wollen, woran ihr Liebling gestorben ist. Aber auch als Gutachter vor Gericht ist Achim Gruber gefragt – dann hilft das Ergebnis seiner Obduktion aufzuklären, ob ein Fall von Vernachlässigung, Misshandlung oder gar ein Verbrechen vorliegt. Oder aber es geht um viel Geld: „Deutsche Schäferhunde etwa werden für bis zu mehrere hunderttausend Euro pro Tier nach China verkauft“, sagt Gruber. „Wenn solch einem Hund etwas passiert, erreicht der Streitwert vor Gericht schnell den Wert eines Einfamilienhauses.“

„Das wissenschaftliche Interesse steht bei unseren Obduktionen vor allem im Fokus, ebenso wie die Ausbildung der Studierenden“, sagt der gebürtige Westfale, der seit sechs Jahren auch Forschungsdekan des Fachbereichs Veterinärmedizin ist. Als 2006 etwa in Berlin massenhaft Brieftauben ohne ersichtlichen Grund verendeten, entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Tierpathologie gemeinsam mit den Geflügelexperten der Freien Universität einen bislang völlig unbekannten Killer-Parasiten.

Von Mensch auf Tier

Der Nachweis sogenannter Zoonosen – also Krankheiten, die zwischen Tier und Mensch in beide Richtungen übertragen werden können – gehört ebenfalls zur Aufgabe des Pathologen. Unvergessen bleibt Gruber dabei der Fall eines Mädchens, das ihr totes Chinchilla zu ihm brachte, in der Hoffnung, er könne dem Tier doch noch irgendwie helfen. Das vermochte er natürlich nicht mehr, aber er konnte aufklären, woran das Chinchilla gestorben war: Im Mundwinkel des Mädchens fiel Gruber ein Herpesbläschen auf. Das Kind hatte das Haustier wohl durch einen liebevoll gemeinten Kuss mit dem Lippenherpesvirus infiziert. Was für die meisten Haustiere vollkommen ungefährlich gewesen wäre, kann bei Chinchillas und Kaninchen eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung auslösen.

Auch für den Mischlingsrüden „Trüffel“ verlief eine Infektion tödlich: Der Hund war über Wochen stark abgemagert; alle Therapien blieben erfolglos. Letztlich musste er eingeschläfert werden. Mit detektivischem Spürsinn fanden Gruber und seine Studierenden bei der Obduktion die Ursache heraus: Tuberkulose. „Ich habe bei der Hundebesitzerin angerufen und gefragt: Wer hustet bei Ihnen zu Hause?“, erinnert sich der Tierpathologe. „Ihre Antwort war: Der Opa hustet, weil er so viel geraucht hat.“ Eine fatale Fehldiagnose. Nach einer Untersuchung beim Gesundheitsamt war klar: Der Mann hatte eine offene Tuberkulose, mit der er den Hund angesteckt hatte.

Fälle aus seiner Arbeitspraxis wie diese hat Achim Gruber in seinem Buch „Das Kuscheltierdrama“ festgehalten. „Ich möchte für solche Gefahren im Mensch-Tier-Verhältnis sensibilisieren“, erläutert der Tierpathologe, „und aufklären, denn vieles ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt.“

Herumgesprochen hat sich mittlerweile, dass bestimmte Züchtungen – etwa bei Hunden und Katzen – mit extremem Leid der Tiere einhergehen. Diese sogenannten Defekt- oder Qualzuchten sind Gruber ein „Herzensthema“.

Kaum ein Tier steht dem Menschen so lange nah wie der Hund: Seit mehr als 20 000 Jahren ist er treuer Gefährte des Menschen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Hunde zu bestimmten Zwecken gehalten, etwa zur Jagd, als Hüte- oder Schlittenhunde oder um verschüttete Lawinenopfer aufzuspüren.

„Erst vor 170 Jahren haben wir damit angefangen, viele Hunde allein auf extravagantes Aussehen oder Schönheit zu züchten“, sagt Gruber. „Der Hund hatte plötzlich keine Arbeitsfunktion mehr, er wurde etwa als Statussymbol gehalten oder um Menschen Gesellschaft zu leisten. Immer mehr Menschen wollten ein bestimmtes Tier auch nur aufgrund seines Aussehens besitzen. Das war der Anfang einer dramatischen Entwicklung, die bis heute anhält.“

Viele dieser Tiere hatte der Tierpathologe schon auf dem Seziertisch, etwa extrem kurznasige Möpse und französische Bulldoggen, die im Sommer vermehrt an einem Hitzschlag sterben, weil sie nicht mehr richtig hecheln können. „Nach einer Besitzerumfrage versucht ein Viertel dieser Tiere, nachts im Sitzen zu schlafen, aus Angst, im Liegen zu ersticken“, sagt Gruber.

Verstoß gegen den Geist des Tierschutzgesetzes

Schuld an diesem Leid ist der Mensch. Ob Nacktkatzen, die komplett haarlos schneller frieren, zu bestimmten Hauterkrankungen neigen oder sich ohne Tasthaare nicht mehr orientieren können. Dackel, die aufgrund ihres gezüchteten Körperbaus anfällig für Bandscheibenvorfälle und Querschnittslähmungen sind. Oder Riesendoggen und irische Wolfshunde, die wegen ihrer extremen Größe vermehrt Knochenkrebs bekommen.

Die Liste der gezüchteten Leiden ist lang – zu lang, wie Achim Gruber meint: „Es ist ein Skandal, was wir vielen Haustieren antun.“ Neigungen zu Hüftgelenksdysplasien, bestimmten Tumoren oder Allergien sowie eine große Zahl anderer Sorgen lägen bei vielen Rassen maßgeblich in ungünstigen Genen begründet, seien also Zuchtfolgen. Sie führten zu einem oft jahrelangen Leid der betroffenen Tiere und Belastungen für die Besitzer in Form von Pflege und Ausgaben für Behandlungen. Nicht selten werde das Tier schließlich ans Tierheim abgegeben oder sogar eingeschläfert.

Kritisch sieht Achim Gruber auch die aktuell besonders beliebte „Merle“- oder „Tiger“-Färbung des Fells bei Collies, Australian Shepherds und vielen anderen Rassen. Die landkartenähnlichen weißgrauen Scheckungen der Grundfarbe gehen oftmals mit einer auffallend hellen Augenfarbe einher. Beides sehe zwar besonders hübsch aus, beruhe aber auf einem Gendefekt, der für die Hunde auch Schwerhörigkeit, Taubheit und andere Leiden zur Folgen haben könne.

„Bereits vor 50 Jahren wurde in Studien vor der Zucht solcher Hunde gewarnt, von denen etwa die Hälfte infolge des ,hübschen Gendefekts’ nicht oder nicht gut schwimmen können“, sagt Professor Gruber. „Würden wir bei einer Uhr oder einem Auto einen Funktionsdefekt für eine schönere Farbe in Kauf nehmen?“ Für den Tierpathologen ist das ein weiteres Beispiel dafür, dass Schönheit im Auge des Betrachters auf Kosten der Tiergesundheit gehen kann. Und das sei ein klarer Verstoß gegen den Geist des Tierschutzgesetzes.

Gemäß Tierschutzgesetz Paragraf 11 b sind Qualzuchten – also Tierzuchten, bei denen laut Duden „Schmerzen, Fehlbildungen und gesundheitliche Schäden in Kauf genommen werden“ – nämlich verboten. Wie kann es dennoch sein, dass in Deutschlandweiter bestimmte krank machende Formen und extreme Rassen gezüchtet werden?

Schuld sei auch die „noch völlig unzureichende amtliche Umsetzung des Gesetzes“, sagt Gruber. Er setzt daher auf eine breite öffentliche Aufklärung und ein Umdenken – den Tieren zuliebe. „Wenn die Menschen wissen, welches Leid regelrecht herangezüchtet wird, hört hoffentlich auch die Nachfrage auf: nach auf Extravaganz oder vermeintlicher Schönheit gezüchteter Tiere, die zu Leiden und Krankheiten neigen. Der Käufer bestimmt auch hier den Markt, der heute offenbar durch zu wenig Aufklärung, Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein geprägt ist.“


Am Beispiel lernen: Achim Gruber mit Studierenden.

Am Beispiel lernen: Achim Gruber mit Studierenden.
Bildquelle: Nadine Borau

Institut für Tierpathologie der Freien Universität Berlin

Tierpathologie ist die „Lehre der Krankheiten der Tiere“. Wer dieses Berufsfeld anstrebt, muss zusätzlich zur tierärztlichen Ausbildung eine fünfjährige Weiterbildung zur Fachtierärztin oder zum Fachtierarzt absolvieren.

Am Institut für Tierpathologie der Freien Universität Berlin in Düppel forschen zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – darunter der Leiter des Instituts Professor Achim Gruber sowie Professor Robert Klopfleisch. Sie bilden auch Studierende der Tiermedizin und der Pferdewissenschaft aus.

Die Studierenden lernen in sechs Semestern etwas über Ursachen, Mechanismen und Diagnostik aller häufigen und wichtigen Tierkrankheiten. Neben Vorlesungen stehen praktische Übungen auf dem Lehrplan: Obduktionen und mikroskopische Untersuchungen. Mehr als 1000 Haus- und Nutztiere sowie viele Zoo- und Wildtiere werden jährlich am Institut obduziert.

Die Biopsie-Diagnostik ist ein noch größerer Arbeitsbereich der Tierpathologie: Rund 8000 Gewebeproben lebender Tiere werden dort pro Jahr unter dem Mikroskop auf krankhafte Veränderungen untersucht. Sie stammen von Tieren mit unklarer Symptomatik. Das Ergebnis der Untersuchung gibt Auskunft über die Art der Veränderung – etwa, ob ein Tumor vorliegt – und zeigt Möglichkeiten der Behandlung auf.