Springe direkt zu Inhalt

Mehr als eine Glaubensfrage

Der Druck auf Gläubige in China steigt – vor allem Muslime und Christen bekommen das zu spüren. Sinologe Christian Meyer erforscht auf einer Heisenberg-Professur den Wandel religiöser Begriffe und schließt daraus auf gesellschaftliche Veränderungen

23.04.2019

Menschen überqueren auf einem Zebrastreifen eine Straße am Platz des Volkes in Shanghai. Im Hintergrund sieht man eine christliche Kirche vor Hochäusern aus Glas.

Christliche Kirchen wie hier die Muen Tang Kirche am Platz des Volkes in Shanghai gehören in vielen chinesischen Metropolen zum Stadtbild. Das Christentum ist eine von vier zugelassenen Religionen in China.
Bildquelle: picture alliance/Silke Reents

Heute trägt die Gottheit Mazu eine Krone, goldenen Schmuck und kostbare Gewänder. Ihr Bildnis wird in Hunderten von Tempeln in China verehrt. Ursprünglich war sie ein einfaches Fischermädchen, das vor mehr als 1000 Jahren auf der Insel Meizhou tatsächlich gelebt haben soll. Mit übernatürlichen Kräften soll Mazu Menschen in Seenot gerettet haben. So wurde sie zur Göttin des Meeres, Schutzpatronin der Fischer und Seeleute.

„Mazu steht für eine Art der volksreligiösen Verehrung, die in China weit verbreitet ist“, sagt Christian Meyer, Professor für Kultur und Geschichte Chinas an der Freien Universität Berlin. Keine geistliche Instanz – wie etwa ein Papst – habe sie heiliggesprochen: „Das Volk selbst hat sie zur Gottheit erhoben. Mazu ist nur eine von zahlreichen lokalen Gottheiten, die in China verehrt werden. Jedes Dorf hat seinen eigenen Tempel.“

Religiöse Begriffe in chinesischen Texten der vergangenen 150 Jahre

Im Herbst 2018 hat Christian Meyer an der Freien Universität eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenberg-Professur angetreten. Mit seinem Forschungsschwerpunkt „Religion in China“ bringt der Wissenschaftler eine neue Facette nicht nur in die Sinologie ein, sondern auch in die Religionsforschung an der Freien Universität, deren Schwerpunkt hauptsächlich auf Europa und der Antike liegt. „Es lohnt sich gerade in diesen Zeiten, Religion nicht nur aus einer westlichen Perspektive zu betrachten, sondern auch zuschauen, was man außerhalb Europas darunter versteht“, sagt Meyer.

Der Sinologe untersucht religiöse Begriffe in chinesischen Texten der vergangenen 150 Jahre. Dabei zeige sich immer wieder, dass sich diese nicht eins zu eins in den westlichen Kontext übersetzen ließen. So werde ein Begriff wie „Glaube“ in China anders verstanden als in Europa. Frage man Chinesen, ob sie an eine Religion glauben, würde die Mehrheit mit „Nein“ antworten. Frage man dagegen: „Was oder wen verehrst Du?“ antworteten die meisten positiv, sagt der Wissenschaftler. „Sie verehren vielleicht einen Ahnen, den Buddha oder die Gottheit Mazu.“

Als wissenschaftlicher Berater informiert Christian Meyer auch über die aktuelle Situation verschiedener Religionsgemeinschaften in China – ein hoch aktuelles Thema. „Nach der Kulturrevolution haben die Religionen mehr Freiraum erhalten und sind zahlenmäßig stark gewachsen“, sagt der Forscher. „Doch seitdem Staatspräsident Xi Jinping an der Macht ist, hat der Druck auf Glaubensgemeinschaften wieder spürbar zugenommen.“

Ganze Kirchen seien abgerissen worden

In China gibt es fünf offiziell zugelassene Religionsgemeinschaften: den Buddhismus, den Daoismus, den Islam, die katholische und die evangelische Kirche. Jede Religion muss die Führung der Kommunistischen Partei anerkennen und sich ihr unterordnen: Die Partei wolle die Kontrolle behalten, damit aus den Glaubensgemeinschaften kein politischer Widerstand erwachse, sagt Christian Meyer.

Seit 2014 beispielsweise gibt es in der Provinz Zhejiang südlich von Schanghai eine große Kampagne gegen evangelische Kirchengemeinden, obwohl diese staatlich anerkannt sind. Auf Anordnung der staatlichen Religionsbehörde mussten Tausende Kreuze von Dächern und Türmen entfernt werden. Auch ganze Kirchen seien abgerissen worden, sagt der Wissenschaftler.

„Bei der katholischen Kirche gibt es dagegen eine Annäherung an das chinesische Regime, die von Papst Franziskus ausgeht.“ 1951 habe die Kommunistische Partei alle diplomatischen Beziehungen zum Vatikan gekappt. Kein Chinese sollte den Papst über die Regierung in Peking stellen. Seitdem gebe es in China eine offiziell erlaubte katholische Kirche mit parteinahen Bischöfen auf der einen Seite und eine illegale Untergrundkirche, die sich weiterhin am Vatikan orientiere, auf der anderen Seite, sagt Meyer. Im September 2018 habe Franziskus acht von der chinesischen Regierung ernannte Bischöfe anerkannt. „Damit hat sich der Papst sehr weit vorgewagt: Dass er die Rom-Abtrünnigen aufwertet, wird innerhalb der katholischen Kirche sehr kritisch gesehen.“

Auch das Internet hat Einfluss auf im religiöse Bereiche

Unter den Muslimen in China leiden vor allem Minderheiten wie die Uiguren unter Repressionen. Sie hätten sich weniger an die Traditionen des Landes angepasst als andere Muslime, deren Moscheen teilweise wie chinesische Tempel aussähen, sagt Meyer. So würden Uiguren sogar in Umerziehungslagern festgehalten. Einflussreichen Kräften in der Führung gehe es um die „Sinisierung der Religionen“. Buddhismus, Daoismus und chinesischer Volksglaube, die tiefer in der Tradition des Landes verwurzelt sind, „erfahren deshalb weniger Einmischung“.

Der Sinologe beschäftigt sich auch mit dem Einfluss des Internets im religiösen Bereich, das dort trotz chinesischer Zensur eine Rolle spiele. Ein gutes Beispiel dafür sei die Meditationsbewegung Falun Gong, die buddhistische und daoistische Lehren mit dem traditionellen Qigong verbindet. Nach ihrer Gründung in den 1990er Jahren zählte die Gemeinschaft innerhalb kurzer Zeit mehrere Millionen Anhänger. „Sie traten öffentlich sehr selbstbewusst auf, was der offiziellen Führung gar nicht gefiel“, sagt Meyer.

1999 wurde Falun Gong verboten, Anführer Li Hongszhi setzte sich schon vorher in die USA ab. „Im Internet sind seine Anhänger seitdem äußerst aktiv“, sagt Meyer. „Sie versuchen, aus dem Exil heraus Gegenpropaganda zu machen.“ Im Jahr 2005 sei es ihnen sogar gelungen, einen chinesischen Fernsehsatelliten zu hacken und etwa eine Viertelstunde das Programm des chinesischen Staatsfernsehens mit eigenen Botschaften zu stören.

Die politischen Verhältnisse in China verlangen von Christian Meyer ein besonderes Gespür für Kommunikation. Wenn ihn die Delegation einer chinesischen Religionsgemeinschaft besucht, muss sich diese an offizielle Sprachregelungen halten. Wie unterhält man sich, wenn jedes Wort auf der Waagschale liegt? „Dann kommuniziert man noch einmal auf einer ganz anderen Ebene der chinesischen Sprache“, sagt Meyer. Man müsse verstehen, was zwischen den Zeilen gesagt wird.

Weitere Informationen

Heisenberg-Professur

Das Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die alle Voraussetzungen für die Berufung auf eine Langzeit-Professur erfüllen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und während der Förderung eigene Forschungsthemen zu bearbeiten. Nach fünf Jahren wird die Stelle – nach einer erfolgreichen Evaluation durch die DFG und die Hochschule – in eine unbefristete Professur umgewandelt.