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Syrischer Schatz in Dahlem

Der Archäologe Hartmut Kühne hat mit Studierenden eine Ausstellung über die Grabungen in Tell Schech Hamad gestaltet

16.06.2017

Der babylonische Dämon Pazuzu als Bronze-Statuette aus dem 7. Jh. v. Chr. Die häufig in Häusern aufgestellte Figur des Dämons, der eigentlich Unheil bringt, sollte durch Beschwörung Krankheiten abwenden.

Der babylonische Dämon Pazuzu als Bronze-Statuette aus dem 7. Jh. v. Chr. Die häufig in Häusern aufgestellte Figur des Dämons, der eigentlich Unheil bringt, sollte durch Beschwörung Krankheiten abwenden.
Bildquelle: Grabungsarchiv Tell Schech Hamad/Freie Universität Berlin

Der Ort, an dem Hartmut Kühne 35 Jahre lang gearbeitet hat, liegt heute in einer von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ kontrollierten Region. Der Ort, dessen Zauber Rolf Brockschmidt auch nach Jahrzehnten noch fesselt und den er in Braun und leuchtendem Blau und Grün in seinen Gemälden festgehalten hat, ähnelt nun einer Mondlandschaft. „Dort sind überall Krater von den Raubgrabungen des sogenannten Islamischen Staates“, erzählt der Journalist. „Man braucht dort nur ein Loch zu buddeln und findet antike Relikte.“ Elizabeth Wenzel-Schubert, Mi Mai Ha und Konstantin Gnybek haben diesen Ort nie gesehen – und doch helfen die Studierenden, die Erinnerung an ihn zu bewahren.

Tell Schech Hamad heißt der Ort, der den emeritierten Archäologieprofessor, den Journalisten und die Studierenden der Freien Universität verbindet. Ein Hügel im Nordosten Syriens, unter dem die Ruinen der assyrischen Provinzhauptstadt Dur Katlimmu liegen. Sie war mit Unterbrechungen von etwa 1300 v. Chr. bis in die Römische Zeit um 300 n. Chr. besiedelt, zuletzt unter dem Namen Magdala. Von 1978 bis 2010 hat Hartmut Kühne die Ausgrabung in Tell Schech Hamad geleitet. Er hat ein Programm zum Erhalt und dauerhaften Schutz der Lehmziegelarchitektur mit dem Ziel aufgebaut, die assyrischen Gebäude für Touristen begehbar zu machen. Kühne hat mitgeholfen, das Nationalmuseum in der heutigen Provinzhauptstadt Deir ez-Zor aufzubauen. Bis der Bürgerkrieg ihn daran hinderte, im Herbst 2011 nach Syrien zurückzukehren.

Doch die Verbindung riss nicht ab. Hartmut Kühne unterstützte die Kollegen in Syrien, so gut es aus Deutschland möglich war. Fieberte mit, als die syrische Antikenverwaltung in zwei spektakulären Aktionen die kleineren Fundstücke aus dem Museum vor dem möglichen Zugriff der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Sicherheit brachte, die größeren jedoch im Museum zurücklassen musste. Kühne gründete die Organisation „Shirin – Syrian Heritage in Danger“ mit, um auf die Bedrohung für das syrische Kulturerbe aufmerksam zu machen. Und er bewahrt in Berlin einen Schatz – das Archiv der Grabung.

„Wir haben jedes Fundstück beschrieben, gezeichnet, fotografiert und von den wichtigeren sogar Gipsabgüsse angefertigt“, sagt der Archäologe. Die Dokumente und Abgüsse lagern im Universitätsarchiv der Freien Universität in Lankwitz. Es ist wie eine Sicherungskopie der Kulturschätze von Tell Schech Hamad, ein Backup, das helfen könnte, verlorene oder zerstörte Objekte nach dem Krieg zu rekonstruieren. „Mit solchen Grabungsdokumentationen bewahren Archäologen außerhalb Syriens einen Teil des Kulturerbes, der nicht zerstört werden kann“, sagt er.

Grabungsanfang in einem neu angelegten Schnitt: Syrische und deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten gemeinsam.

Grabungsanfang in einem neu angelegten Schnitt: Syrische und deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten gemeinsam.
Bildquelle: Grabungsarchiv Tell Schech Hamad/Freie Universität Berlin

Mit einer Ausstellung über Tell Schech Hamad, die von der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität, der Deutschen Orient-Gesellschaft und der Campusbibliothek unterstützt wurde, möchte Kühne die Öffentlichkeit auf diesen Schatz und seine Bedeutung für das Land Syrien aufmerksam machen. Seit dem Beginn des Wintersemesters 2016/2017 arbeiten Hartmut Kühne und weitere Dozenten im Rahmen eines Praktikums mit sechs Studierenden der Prähistorischen und der Vorderasiatischen Archäologie und einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Ausstellung.

Zur Langen Nacht der Wissenschaften am 24. Juni wird sie in der Campusbibliothek der Freien Universität eröffnet. Elizabeth Wenzel-Schubert und Mi Mai Ha bearbeiteten Objekte für Vitrinen zur neuassyrischen Siegelpraxis des 9. bis 7. Jahrhunderts v. Chr. und zur anschließenden parthisch-römischen Epoche: Tontafeln, Siegel, ein Dolch, eine Rundlampe und einige Münzen. Beide studieren im achten Semester Prähistorische Archäologie.

Die aktuelle Lage in Syrien war für die angehenden Prähistorikerinnen der Anlass, sich mehr als zwei Semester in die assyrische Kultur und die Besonderheiten der Fundstücke aus Tell Schech Hamad einzuarbeiten. Für Elizabeth Wenzel- Schubert war die praktische Ausstellungsarbeit nach vorbereitender Lektüre in einem interdisziplinären Colloquium eine ganz besondere Erfahrung: „Wenn man Fundstücke in der Hand hält, wird die Vergangenheit ein wenig realer.“

Damit die Stücke in den sechs Vitrinen gut zu sehen sind, haben die Studierenden passgenaue Sockel aus Holz gebaut. „Wir haben so manchen Samstag im Baumarkt oder in der Werkstatt verbracht. Dass diese Tätigkeiten Teil der kuratorischen Arbeit sind, hätte ich vorher nicht gedacht“, sagt Mi Mai Ha. In einer Vitrine ist ein mit Sand gefüllter Plexiglas- Zylinder mit den vergrößerten Motiven mehrerer Rollsiegel zu sehen. Der Zylinder sei die Vergrößerung eines Rollsiegels, und der Sand soll an den Ausgrabungsort in der syrischen Steppe erinnern, erläutert Konstantin Gnybek, der im vierten Semester Vorderasiatische Archäologie an der Freien Universität studiert. Er erklärt Details der assyrischen Bürokratie. So seien Tontafeln mit Keilschrift in eine Art „Briefumschlag“ aus Ton gesteckt worden, um sicherzugehen, dass erst der Empfänger sie las.

Auf der oberen Ebene des Ausstellungsbereichs in der Campusbibliothek ist ein nachgebautes Lehmziegelgrab in Originalgröße zu besichtigen, während auf der unteren Ebene die Vitrinen platziert sind. Kühne erklärt: „Wir haben luftgetrocknete brandenburgische Lehmziegel gekauft – genau das Baumaterial, das auch im Altertum verwendet wurde, nur mussten sie auf assyrisches Maß gebracht werden.“

An den Wänden der unteren Ebene hängen einige von Rolf Brockschmidts Gemälden. Der Journalist war 1977 dabei, als in Tell Schech Hamad die ersten Keilschrifttafeln noch vor Beginn der Ausgrabung entdeckt wurden. „Ich verdiente mir als Student ein paar Mark dazu, indem ich während einer archäologischen Geländeaufnahme der Universität Tübingen die Funde zeichnete“, sagt Brockschmidt. Nebenbei fertigte er Skizzen der syrischen Landschaft an. Seit 2013, als die ersten Bilder der Zerstörung aus Syrien auftauchten, begann er seine Erinnerungen an Syrien unter dem Titel „Mein syrisches Tagebuch“ zu malen. Als er von Hartmut Kühnes Ausstellungsprojekt hörte, steuerte er spontan seine Gemälde bei. „Eine perfekte Ergänzung“, sagt Hartmut Kühne, „die meisten Menschen haben keine Vorstellung von der besonderen Landschaft im Nordosten Syriens: ein blauer Himmel, wie man ihn eigentlich nur auf Kitschpostkarten findet, ein blauer Fluss, ein bisschen Grün in den Flussoasen und alles andere ist braun, Steppe.“

Das Erleben der weiten Landschaft, die Erinnerungen an Syrien, an die gute Zusammenarbeit vor Ort und die Gastfreundschaft der Menschen – dies bildet den Hintergrund für die in der Ausstellung ausgebreiteten archäologischen Erkenntnisse. Hartmut Kühne hofft, irgendwann etwas zurückgeben zu können an das Land, in dem er jahrzehntelang gearbeitet hat. Der Krieg habe nicht nur Kulturschätze zerstört, sondern auch Familien auseinandergerissen, in denen Traditionen bewahrt worden seien, sagt er. „Sollte das Land je wieder stabil werden, dann muss auch das Bewusstsein für die eigene Identität völlig neu aufgebaut werden.“ Vielleicht könnten auch die im Archiv eingelagerten Stücke der Grabungsdokumentation einen kleinen Beitrag dazu leisten.


Die Ausstellung in der Campusbibliothek der Freien Universität Berlin zu sehen, Fabeckstraße 23/25, 14195 Berlin: 24. Juni bis 3. September 2017, montags bis freitags von 9 bis 22 Uhr, am Wochenende von 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist nach der Langen Nacht der Wissenschaften frei.