Update für Alte Geschichte
Wie Migrationsgeschichte unterrichten? Wissenschaftler des Exzellenzclusters Topoi geben Schülern und Lehrern Einblicke in die aktuelle Forschung
01.12.2017
Es klingt nach bekannten Pfaden: „Die Migrationsströme seit 2015 folgen mehr oder weniger den gleichen Routen, die wir aus der Ur- und Frühgeschichte kennen“, sagt Wolfram Schier. So kamen in der Jungsteinzeit über viele Jahrtausende hinweg Einwanderer aus dem Nahen Osten nach Mitteleuropa – und brachten Saatgut und Nutztiere sowie das Wissen über Ackerbau und Viehzucht mit.
Zur Rekonstruktion dieser „Balkanroute“ vor beinahe 10.000 Jahren hätten in den vergangenen Jahren vor allem auch genetische Analysen der Tiere und Menschen beigetragen, erklärt der Professor für Prähistorische Archäologie. „Auch die Schlussfolgerung, der zufolge der Mensch aus Afrika stammt, beruht weitestgehend auf solchen Untersuchungen.“ Manche Einblicke in die Forschung konnten die Oberstufenschülerinnen und -schüler des Tegeler Humboldt-Gymnasiums an diesem Novembervormittag mitnehmen.
Die Veranstaltung mit Kurzvorträgen von Wissenschaftlern des altertumswissenschaftlichen Exzellenzclusters Topoi in der Schulaula ist ein Pilotprojekt: Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Referendare sollen Erkenntnisse der Forschung aus erster Hand erfahren, gemeinsam Fragen diskutieren und dabei auch einen Einblick in wissenschaftliche Diskussionen erhalten. Und das zu einem aktuellen Thema: Migration. Der Archäologe Wolfram Schier, die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger und der Neuzeithistoriker Felix Wiedemann – alle drei Fachleute für historische Wanderungsbewegungen und in den Exzellenzcluster Topoi eingebunden – betrachteten das Thema jeweils aus verschiedenen Perspektiven.
Schier schlug mit seinen Ausführungen über die Ähnlichkeit der Migrationsrouten damals und heute die Brücke in die Gegenwart: Es lasse sich belegen, dass Ideen von sprachlich und kulturell homogenen Populationen wissenschaftlich nicht haltbar seien. „Aus der Urgeschichte können wir lernen, dass es Migration immer schon gegeben hat und dass sie mutmaßlich eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Kulturtechniken und beim Wissenstransfer gespielt hat.“
Die 16-jährige Marie Theissen und ihre Mitschülerin Melek Dindar besuchen einen Leistungskurs im Fach Geschichte. „Das Thema Migration wird im Unterricht sonst kaum angesprochen. Ich fand es gut, dass man hier einmal die Möglichkeit hatte, ausführlicher etwas dazu zu hören“, sagte Dindar.
Auch Geschichtsreferendar Jeremias Koi war überzeugt: „Die Verweise auf die Gegenwart haben das Thema Migration sehr anschaulich gemacht.“ In der Schule beschäftige man sich zwar mit Wissenschaft, aber in der Regel nicht so, dass die Schüler eine klare Vorstellung davon bekämen, sagte sein Referendarkollege Timo Loock. Seine Kollegin Sophie Schiller betonte: „Ich finde es sehr wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise schon einmal Berührung mit der Universität haben, damit sie wissen, was bei einem Studium auf sie zukommt.“
Schüler hätten großes Interesse daran, in Forschung und Wissenschaft hineinzuschnuppern, vermutet Professorin Almut-Barbara Renger. „Aber nicht alle trauen sich oder haben die Möglichkeit, zu Veranstaltungen an die Universität zu kommen. Wenn wir als Wissenschaftler an Schulen gehen, können wir einen Einblick in unsere Fächer und unser Arbeiten geben. Und wir können unser Wissen weitergeben.“ Die Idee für die Kooperation des Exzellenzclusters Topoi mit Berliner Schulen kam aus den Reihen der Wissenschaftler.
Felix Wiedemann vom Friedrich-Meinecke-Institut hat den Workshop organisiert und die wissenschaftlichen Darstellungen der Kollegen verknüpft: In seinem Vortrag skizzierte der Neuzeithistoriker, wie sich die Betrachtung von Wanderungsbewegungen in den vergangenen 200 Jahren gewandelt hat. Dass das Projekt realisiert werden konnte, liegt auch an dem engagierten Lehrer Jürgen Reinsbach, der bis zum Sommer am Humboldt-Gymnasium Latein und Französisch unterrichtet hatte. „Auf den ersten Blick erscheinen die Themen von Topoi hochspeziell, tatsächlich haben sie aber einen starken Gegenwartsbezug“, sagte der pensionierte Studienrat.
Nach dem gelungenen Auftakt im Humboldt-Gymnasium sollen die Topoi-Schul-Veranstaltungen künftig auch im Fortbildungskatalog der Berliner Senatsschulverwaltung aufgeführt werden. Das Topoi-Team, das das Projekt neben dem Lehr- und Forschungsbetrieb an der Universität betreibt, sei sehr motiviert, sagte Katrin Siebel, Projektkoordinatorin bei Topoi. „Als wissenschaftliche Einrichtung möchten wir die Gesellschaft an unserer Forschung teilhaben lassen, und Schulen sind ein zentraler Ort der Wissensvermittlung. Lehrer können so ihr Wissen auffrischen und im Workshop gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern Materialien und Methoden für den Unterricht erarbeiten.“
So lasse sich auch die Lücke schließen, die für Lehrer zwangsläufig entstehe, wenn ihre universitäre Ausbildung einige Jahre zurückliegt. Schuldirektor Jörg Kayser freut sich über die Kooperation – und sieht ihr Potenzial: „Wenn Schulen und Universitäten bisher zusammengearbeitet haben, lag der Fokus meist auf naturwissenschaftlichen Fächern. Ich halte es für wichtig, sich auch auf die Geisteswissenschaften zu konzentrieren und dafür Inhalte aus den Universitäten in die Schulen zu tragen.“