„Die Welt ist auf der Suche nach einer neuen Ordnung“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier war zum 70-jährigen Bestehen der Vereinten Nationen zu Gast an der Freien Universität
03.12.2015
Künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren – das ist das Hauptanliegen der Vereinten Nationen seit ihrer Gründung 1945. Im Jahr 2015 scheint das Erreichen dieses Ziels vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens in weite Ferne gerückt: Ist die Welt aus den Fugen geraten? Antworten auf diese Frage fand Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zur internationalen Ordnung 70 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen.
Wer ist dieser Mann, der die Interessen Deutschlands im Ausland vertritt, der von einem Verhandlungstisch zum nächsten eilt, und was sagt er zu den drängenden Fragen dieser Zeit, zu Krisen, Kriegen, Terror und dem Flüchtlingselend? Rund 2000 Menschen waren am 21. Oktober – mehr als drei Wochen vor den Anschlägen vom 13. November in Paris – in den Henry-Ford-Bau der Freien Universität gekommen, um Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zu hören. Anlass von Steinmeiers Besuch war das 70-jährige Bestehen der Vereinten Nationen und eine Einladung der Freien Universität, deren Universitätsbibliothek seit 1956 United Nations Depository Library ist. Während seiner Rede und der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Politikprofessor Thomas Risse, Direktor der Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik der Freien Universität, erlebte das Publikum einen Mann, der Anekdoten aus dem Diplomatenalltag erzählte, aber auch klare Worte fand.
„Wir leben in einer Zeit, in der die Welt zwar kleiner, aber die Krisen eher größer werden“, sagte Steinmeier. Die Welt rücke zusammen: technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Letzteres werde besonders deutlich in dem Schicksal Hunderttausender Flüchtlinge, die auf der Suche nach Sicherheit und Heimat auch nach Deutschland kommen. Darauf mit Abschottung zu reagieren, sei falsch, betonte Steinmeier: „Wenn es stimmt, dass nationale Grenzen schwinden, dann ist es genau der falsche Moment, um mentale Grenzen wieder hochzuziehen.“
Es gehe nicht um die Frage nach einer „deutschen Leitkultur“, sondern um die Frage, wie wir über Grenzen hinweg zusammenleben wollen, sagte Steinmeier. Der Außenminister würdigte das Engagement der Freien Universität für Geflüchtete. Das Willkommensprogramm Welcome@ FUBerlin sowie der Einsatz vieler Mitarbeiter und Studierender sei einen Applaus wert, sagte er. Das Erforschen des Miteinanders der Nationen, aber auch des gesellschaftlichen Zusammenlebens, etwa in einem Sonderforschungsbereich, der sich mit Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit beschäftigt, hätten an der Freien Universität ihren festen Platz, sagte der Präsident der Freien Universität, Professor Peter-André Alt, in seinem Grußwort.
Der von Bundeskanzler Willy Brandt 1969 formulierte Vorsatz „Wir Deutschen wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“ sei auch heute noch aktuell, sagte Steinmeier: „Wir Deutschen wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – für die nahen und die fernen.“
In der Außenpolitik zahle sich Beharrlichkeit aus, sagte Steinmeier. „Frieden und Krieg fallen nie vom Himmel“, so fasste der Außenminister diplomatische Bemühungen zusammen. Er verwies auf das Atomabkommen mit dem Iran, das erst nach vielen Jahren zäher Verhandlungen in diesem Jahr zum Abschluss gekommen ist. Strategische Geduld und die Kunst des Machbaren prägten Diplomatie und Außenpolitik.
Das gelte auch im Syrien-Konflikt. Der Außenminister verurteilte in seiner Rede Moskaus damals gerade begonnene militärische Eingreifen in dem Land: „Wir brauchen Russlands Engagement am Verhandlungstisch. Die Zukunft des Landes liegt nicht auf dem Schlachtfeld.“ Echte Sicherheit lasse sich nur miteinander erarbeiten. Es sei kein Zufall, dass Krisen und Kriege derzeit so geballt auftreten, sagte Steinmeier. Der Grund liege in einer „Erosion bestehender Ordnungen“.
Als am 24. Oktober 1945 die Charta der Vereinten Nationen in Kraft trat, war „die Weltordnung nicht nur aus den Fugen – sie lag in Schutt und Asche“, sagte Steinmeier. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem bereits aufziehenden Kalten Krieg folgte eine neue Ordnung, in der die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion die Welt in zwei Lager spaltete.
„Diese Zweiteilung brachte, politisch gesehen, eine ganz zynische Gewissheit mit sich: Als Staat musste man sich der einen oder anderen Seite zuordnen. Gleichzeitig wusste man auch von den anderen relativ genau, wie sich diese Festlegung auf politische Entscheidungen auswirkte“, sagte Außenminister Steinmeier. Mit dem langersehnten Ende des Kalten Krieges, dem Ende des „bi-polaren Zeitalters“, sei vor 25 Jahren die Einsicht gereift, dass das Ringen um Einfluss, Geltung und Dominanz gewaltsam verliefen. „Die Welt ist auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Es ist an uns, auf dem Fundament der Vereinten Nationen unser Zusammenleben immer wieder neu zu organisieren. Der Gründungsmoment vor 70 Jahren zeigt: Das geht! Wir können Ordnung gestalten.“