Was heißt hier Ruhestand?!
Kardiologe Heinz-Peter Schultheiß reicht den Herzkatheter weiter
Endlich Zeit! Zeit zu reisen und mehr als nur Hotelzimmer und Kongresszentren zu sehen. Auch das Golf-Handicap will verbessert sein. Doch wer meint, Professor Heinz-Peter Schultheiß nun ständig auf dem Grün anzutreffen, der irrt. Ein Vollblut-Mediziner wie er geht nicht einfach in den Ruhestand – er verlagert sein Tätigkeitsfeld. Bereits 2002 hat der langjährige Leiter der Charité-Klinik für Kardiologie und Pulmologie am Standort Benjamin Franklin direkt gegenüber das Institut für kardiale Diagnostik und Therapie gegründet. Ein Speziallabor, das inzwischen für 180 Kliniken weltweit Proben von Herzmuskelgewebe untersucht – histologisch, immunhistologisch, molekularbiologisch und virologisch. Zwölf Mitarbeiter forschen daran, entzündliche Herzmuskelerkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren und je nach Fall individuell zu behandeln. Hier will sich Schultheiß nun verstärkt einbringen. „Diese klinisch-wissenschaftliche Tätigkeit wurde zehn Jahre lang von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches unterstützt“, sagt der Kardiologe. Derzeit würden große internationale Therapiestudien vorbereitet.
Therapien damals und heute
1994, als Schultheiß nach Berlin kam, wurden Herzinfarkte noch mittels Lyse therapiert. „Man spritzte den Patienten ein Enzym und hoffte, damit den Gefäßverschluss wieder aufzulösen – häufig vergeblich.Und selbst wenn diese Therapie Erfolg hatte: Sie dauerte zu lange“, erzählt Schultheiß. „In Düsseldorf, wo ich herkam, hatten wir daher früh versucht, Gefäßverschlüsse katheter-basiert, also mit dem Ballon, wieder zu eröffnen. Das stieß in Berlin zunächst auf Widerstand“, sagt der 67-Jährige, der gern Tacheles redet. Es habe sich aber – nicht zuletzt in internationalen Studien – schnell gezeigt, dass das invasive Vorgehen Vorteile hat und den Patienten deutlich besser hilft. Inzwischen ist die Methode Standard bei akutem Herzinfarkt.
In den zuletzt vier Herzkatheter-Laboren der Klinik wurden immer mehr Eingriffe, die früher einen großen Brustschnitt erforderten, minimal-invasiv über die Leistenarterie durchgeführt. Etwa der Aortenklappen-Ersatz und das Einsetzen sogenannter MitraClips, um eine undichte Mitralklappe zu verschließen. Zum Ende seiner Dienstzeit kämpfte Schultheiß für einen Hybrid-OP, in dem simultan katheterisiert und „klassisch“ operiert werden kann. Mit Erfolg.
Sein Nachfolger kann in Kürze darin das Licht einschalten. „In zehn Jahren wird es hoffentlich keine getrennten Abteilungen Kardiologie und Herzchirurgie mehr geben, sondern nur noch eine Klinik für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das ist die Zukunft“, ist sich Schultheiß sicher. Unzählige Patienten hat er „auf dem Tisch“ gehabt und in der „Herzsprechstunde“ über Jahre nachbetreut.Viele Krankheitsgeschichten gehen ihm bis heute nach.
Patienten standen immer im Mittelpunkt
Wenn es um das Leben seiner Patienten ging, beschritt Schultheiß auch unkonventionelle Wege, wie bei einem 53-Jährigen mit schwerer chronischer Lungenerkrankung. Der Anruf seines Oberarztes erreichte Schultheiß in den USA auf einem Kongress: Herrn Müller (Name geändert) geht's so schlecht, dass wir jetzt intubieren müssen. „Ich wusste, wenn wir Pech haben, bedeutet die Einleitung der Beatmung seinen Tod und ich sagte: Auf keinen Fall! Ich bin morgen zurück. Wartet!“ Mit allen intensiv-medizinischen Tricks hielt sein Team den Mann stabil. Als Schultheiß am nächsten Morgen vom Flughafen in die Klinik eilte, war klar: Es bleibt keine Zeit mehr, der Patient braucht dringend ein Transplantat. „Die Uniklinik Hannover war die beste Adresse dafür und hatte – anders als wir damals – ECMO. Man konnte also ohne Intubation das Blut des Patienten extrakorporal mit Sauerstoff anreichern.“
Doch als Schultheiß dort anrief, war kein Bett frei. Der Kardiologe zögerte nicht und wies seine Mitarbeiter an: „Ruft den Hubschrauber, wir fliegen ihn rüber. Jetzt!“ Als der Patient in der Luft war, informierte Schultheiß die Kollegen in Hannover. Sie seien „not amused“ gewesen, erinnert er sich, aber nur eine Stunde nach der Landung trat der Ernstfall ein: Die Lunge kollabierte. Nur dank der ECMO-Behandlung konnte der Patient am Leben gehalten werden, bis ein Lungentransplantat zur Verfügung stand. Vor wenigen Wochen – 15 Jahre später – saß dieser Mann neben vielen anderen langjährigen Patienten in Schultheiß’ Abschiedsvorlesung.
Beinahe wäre Schultheiß Schauspieler geworden
Den Umgang mit Patienten wird er sehr vermissen. „Sie standen immer im Mittelpunkt meiner Arbeit.“ Dabei hatte es am Anfang seiner beruflichen Laufbahn eher nach Bühnenkarriere als nach Chefarztkittel ausgesehen. Schon als Gymnasiast hatte er den Jedermann gegeben, den Stauffacher in Wilhelm Tell und Malvolio in Shakespeares Was ihr wollt. „Sagen Sie jetzt nicht, das merkt man!“, sagt er und lacht lauthals. Die Schauspielschule hatte ihn schon angenommen – aber sein Vater, selbst Mediziner, schoss quer. „Du kannst studieren,was Du willst – aber was G'scheit’s.Und wenn Du dann immer noch zur Schauspielerei willst, zahl ich Dir die Ausbildung ebenfalls.“ Operationssaal und Herzkatheter-Labor wurden seine Bühne. Applaus gab’s trotzdem reichlich. Im Hörsaal. Und dazu das gute Gefühl, mit seiner „Kunst“ so manches Leben gerettet zu haben.
Weitere Informationen
Lesen Sie auch das Porträt von Professor Ulf Landmesser, der Professor Schultheiß als Leiter der Charité-Klinik für Kardiologie und Pulmologie nachfolgt.