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Kooperation der Freien Universität und des Institut d'Etudes Politiques (Sciences Po) feiert 30-jähriges Bestehen

Noble Adresse: Der Eingang zum Institut d'Etudes Politiques in Paris. Fast alle bedeutenden französischen Politiker haben an dem als elitär geltenden Institut studiert.

Noble Adresse: Der Eingang zum Institut d'Etudes Politiques in Paris. Fast alle bedeutenden französischen Politiker haben an dem als elitär geltenden Institut studiert.
Bildquelle: Vincent Blocquaux

Als Gerhard Kiersch, ehemaliger Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, vor mehr als 30 Jahren die Idee hatte, mit der französischen Elite-Einrichtung Institut d'Etudes Politiques in Paris, kurz Sciences Po, ein Austauschprogramm zu initiieren, galt der Schritt als gewagt. Sciences Po war ein Ort, der für viele französische und erst recht für ausländische Studierende schwer zugänglich war. Fast alle bedeutenden französischen Politiker haben hier studiert: unter anderem die vier letzten französischen Staatspräsidenten François Hollande, Nicolas Sarkozy, Jacques Chirac und François Mitterrand, außerdem dreizehn französische Premierminister und ein ehemaliger UN-Generalsekretär.

Die Unterschiede zwischen Sciences Po und dem Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität waren in den frühen achtziger Jahren immens. Dies betraf nicht nur die Studiensysteme und -inhalte, sondern auch die Kulturen des Lehrens und Lernens. An die Anfänge der Kooperation kann sich Sabine von Oppeln noch sehr gut erinnern. Damals war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Professor Gerhard Kiersch. Heute ist die promovierte Politologin Leiterin der Studiengänge auf der deutschen Seite.

Mittlerweile gibt es einen Bachelor-Studiengang und zwei Doppelmaster- Studiengänge mit unterschiedlichen Ausrichtungen. „Gerhard Kiersch war Schüler bei Professor Alfred Grosser, der als deutscher Jude während der Nazi-Zeit gezwungen gewesen war, nach Frankreich zu flüchten“, sagt Sabine von Oppeln. „Er wurde dort zum Professor an Sciences Po ernannt und intensivierte nach dem Zweiten Weltkrieg die Kontakte mit dem Otto-Suhr-Institut – als Beitrag zur Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich.

Zu Beginn der achtziger Jahre entstand daraus die Idee, einen regulären Studienaustausch zu organisieren.“ Trotz der schwierigen Verhandlungen und anfänglichen Bedenken glückte der Vorstoß. „1984 war es soweit: Beide Hochschulen richteten gemeinsam einen integrierten Studienaustausch ein“, erinnert sich die Politologin. Drei Jahre später ging das Programm in die zweite Phase. „Wir wollten die Kontakte ausbauen“, sagt Sabine von Oppeln. „Also habe ich mit deutschen und französischen Studierenden ein Memorandum entwickelt, das zeigen sollte, wie ein gemeinsamer, integrierter Studiengang aussehen könnte.“

Deutsche und französische Aussöhnung stand am Beginn der Kooperation

Der Anlass war die bevorstehende Gründung des deutsch-französischen Hochschulkollegs mit dem Ziel, binationale Studiengänge zu fördern. Die Freie Universität ergriff die Chance und setzte Sabine von Oppeln an die Planungsspitze. „Im Jahr 1990 haben wir es dann tatsächlich geschafft, für einen solchen Studiengang eine gemeinsame Studienordnung zu entwickeln. Diese wurde 1991 mit einem Vertrag feierlich unterzeichnet.“ Das war die Geburtsstunde eines gemeinsamen deutsch-französischen Studienzyklus’ in Politik- und Sozialwissenschaften.

Was nun folgte, war eine Zeit der Reformen, die von Ende der neunziger Jahre an vor allem von der Bologna- Umstellung auf beiden Seiten geprägt war; Ziel dieser europaweiten Reform war es, Studiengänge und -abschlüsse in allen EU-Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. Heute stehen die deutsch-französischen Programme auf festen Beinen: Seit 2008 gibt es den Doppelmaster-Studiengang „Politikwissenschaft“ mit der Ausrichtung „Affaires Internationales“ oder „Affaires Européennes“ (Internationale oder Europäische Angelegenheiten) in Kooperation mit Sciences Po sowie den neu eingerichteten Doppelmaster-Studiengang „Public Policy & Management“, der seit 2008 gemeinsam mit der École des Hautes Etudes Commerciales de Paris (HEC) angeboten wird.

2013 wurde mit Sciences Po noch ein gemeinsamer Bachelor-Studiengang ins Leben gerufen. Die Masterstudierenden verbringen jeweils das erste Studienjahr an der Partnerhochschule in Paris und das zweite an der Freien Universität. Das Bachelor-Programm wiederum umfasst vier Studienjahre, zwei davon auf dem Campus Nancy von Sciences Po und zwei in Berlin. Am Ende des Studiums erhalten alle Studierenden einen Doppelabschluss. Hunderte deutsche und französische Studierende haben seit der Gründung von der Zusammenarbeit profitiert.

Einer der ersten war Philip von Schöppenthau. Der promovierte Politologe hat 1988/89 an dem Vorläuferprogramm des späteren deutsch-französischen Zusatzdiploms teilgenommen. „Als ich als Austauschstudent nach Paris kam, war ich voll integriert in das Abschlussjahr des französischen Studienprogramms. Das war damals revolutionär, weil Sciences Po sehr elitär war und bis dahin Studierende von außerhalb Frankreichs in diesen Kursen nicht akzeptierte.“

Den Studenten aus Deutschland erwarteten zahlreiche Unterschiede. „Mein erster Eindruck war, dass es sich hier um zwei verschiedene Welten handelt. Am Otto-Suhr-Institut war das Studiensystem sehr frei und selbstbestimmt. Man konnte sich das Studium nach eigenen Interessen zusammenstellen. In Sciences Po dagegen war es stark verschult – sogar eine Schulklingel gab es. Man musste diszipliniert sein.“ Davon habe er allerdings profitiert. „Auf diese Weise wurde ich sehr gut auf eine Karriere vorbereitet in einem internationalen, multikulturellen Kontext.“

Heute ist Philip von Schöppenthau Leiter des europäischen Verkehrspilotenverbands ECA in Brüssel. Claire Isambert hat das Studienprogramm auf der anderen Seite des Rheins begonnen und bereits an dem ersten gemeinsamen Zyklus teilgenommen. 1994 kam die Französin von Sciences Po für ein Jahr an die Freie Universität Berlin. „Ich erlebte hier einen Kulturschock. Von Sciences Po kannte ich ein sehr verschultes System. Das Otto-Suhr-Institut war etwas komplett anderes. Es war lockerer und autonomer. In Frankreich musste ich viel auswendig lernen. In Deutschland hingegen habe ich gelernt, wie man selbstständig denkt. Ich hatte viel mehr Zeit für meine eigenen Interessen, auch wenn es manchmal ziemlich chaotisch war.“

Heute ist sie in Straßburg Chefredakteurin des Arte-Magazins, dem Publikationsmedium des deutsch-französischen Fernsehsenders. Hier arbeitet sie jeden Tag mit Deutschen und Franzosen erfolgreich zusammen und vermittelt den multikulturellen Gedanken des Studienprogramms weiter. Obwohl beide Nationen immer mehr zusammenwachsen und auch das Hochschulstudium immer mehr Ähnlichkeiten aufweist, gibt es noch immer signifikante Unterschiede.

Binationale Abschlüsse sind ein Sprungbrett für die Karriere der Absolventen

Das kann Florian Spatz aus eigener Erfahrung bestätigen. Der 24-Jährige ist in diesem Sommer aus Paris zurückgekommen, wo er ein Jahr lang als Student des Doppelmasters an Sciences Po verbracht hat. „In Deutschland wird man zum Politikwissenschaftler, in Frankreich zum Politiker ausgebildet“, resümiert er. Dort gebe es einen stärkeren Fokus auf die Praxis: auf juristische und wirtschaftliche Themen. Viele Lehrende kämen aus Unternehmen, aus der Politik oder engagierten sich bei Nichtregierungsorganisationen. „In Deutschland ist das ganz anders – hier wird akademisch ausgebildet. Die allermeisten Studierenden picken sich die besten Elemente aus beiden Systemen heraus. Das ist eine tolle Sache und für mich ideal“, sagt Spatz.

Für die Zukunft habe er schon ein paar Ideen. „Ich könnte mir vorstellen, mich um eine Stelle im höheren Dienst des Auswärtigen Amtes zu bewerben, also künftig diplomatisch tätig zu sein. Mich würde aber auch eine Stelle in einem internationalen Unternehmen reizen, an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft.“ Die Möglichkeiten nach dem Abschluss seien vielfältig und erfolgversprechend. Das sagt auch die Französin Pauline Bertaux. Die 23-Jährige ist gerade dabei, ihre Masterarbeit fertig zu schreiben.

Auch sie hat von den Erfahrungen profitiert – sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. „Das war mein Traum-Master. Ich war sehr froh, als ich hörte, dass ich angenommen bin und habe durch den deutsch-französischen Studiengang viele unterschiedliche Menschen kennengelernt. Außerdem hätte ich in Frankreich nicht die Gelegenheit gehabt, eine wissenschaftliche Masterarbeit zu schreiben.“ Nach dem Studium möchte die Französin einen Job in Brüssel oder Straßburg finden – etwa in der Verwaltung der Europäischen Union. Sie weiß, dass ihr die Türen offenstehen. In Einem ist sie sich mit allen anderen ehemaligen und derzeitigen Studierenden des Doppelstudiums einig: Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Erst die Mischung macht sie zu einer idealen Kombination, die bestens auf die Zukunft vorbereitet.

Im Internet www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/studium