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Steuern und Ideologie

Historikerin Christiane Kuller hat die Rolle der Finanzbehörden im NS-Regime untersucht

Sie war eine der größten Behörden im nationalsozialistischen Deutschland: Mehr als 70 000 Mitarbeiter prüften die Abgaben der Bürger, zogen die Umsatzsteuer ein und überwachten die Zollgrenzen. Ihre Zentrale, das Reichsfinanzministerium, lag in der Berliner Wilhelmstraße vis à vis zur Neuen Reichskanzlei.

Doch wie nah stand die Finanzverwaltung dem Regime? Welchen Anteil hatte sie an der Verfolgung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung? Und welche Routinen entwickelten sich dabei? Diese Fragen hat Christiane Kuller im Auftrag des Bundesfinanzministeriums untersucht. Sie hatte vor Kurzem am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der Freien Universität eine Vertretungsprofessor inne und ist inzwischen Professorin an der Universität Erfurt.

Es waren oft konkrete regionale und lokale Situationen, die den Umgang der Reichsfinanzverwaltung mit jüdischen Steuerzahlungen prägten. Da sind zum Beispiel Akten aus der Mannheimer Finanzbehörde aus dem Jahr1935: Laut Gesetz hatten wohlhabende Emigranten schon seit 1931 eine sogenannte Reichsfluchtsteuer zahlen müssen, wenn sie das Land verlassen wollten. Als steuerpflichtige Vermögensgrenze waren 200 000 Reichsmark oder ein Jahreseinkommen von mehr als 20 000 Reichsmark festgesetzt worden.

Im Jahr 1934 verschärften die nationalsozialistischen Machthaber diese Vorgaben und nutzen sie zur Ausbeutung der jüdischen Emigranten: Fortan war schon ein Vermögen von mehr als 50 000Reichsmark steuerpflichtig. In Mannheim ging man noch weiter: Weil Juden ohnehin betrögen, so die zynische Logik der dortigen Beamten, müsse man bei ihnen bereits ein niedrigeres Vermögen kontrollieren. Ein typisches Beispiel für die antisemitische Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, konstatiert Christiane Kuller: „In fast jedem Finanzamt finden sich solche antisemitischen Anordnungen und Auslegungen der Gesetze. Es bedurfte zur Radikalisierung der Judenverfolgung auch in der Finanzverwaltung nur weniger neuer Gesetze, denn oft wurden bestehende Gesetze in der Verwaltungspraxis einfach antisemitisch ausgelegt.“

Grundlage für viele Verschärfungen war ein Anpassungsgesetz aus dem Jahr 1934. Das Steuerrecht war demnach fortan nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen – die beteiligten Referate und Ämter waren erfindungsreich darin, diese Vorgabe mit Leben zu füllen: So erhielten Juden als „Nichtarier“ keine Kinderfreibeträge, und die sogenannte Arisierung jüdischer Betriebe – das heißt der erzwungene Verkauf an Nichtjuden – wurde durch „steuerliche Anreize“ gefördert.

„Dabei lag der Mindestpreis bei einer ,Arisierung‘ in der Regel genau so hoch, dass der jüdische Eigentümer aus dem Verkaufserlös seine Steuerschuld bezahlen konnte.“ Von 1938 an – diesmal aufgrund eines neuen Gesetzes – wurden jüdische Bürger automatisch in die höchste Steuerklasse eingestuft, außerdem erhob das Reich eine 20-prozentige Sonderabgabe auf ihr Vermögen, die „Judenvermögensabgabe“.

Besonders von 1941 an, als die deutschen Juden nach Polen und Weißrussland deportiert wurden, erwiesen sich die Finanzbeamten als äußerst nützlich für das verbrecherische Regime: Sie hatten vor Ort Kenntnisse über die finanziellen Verhältnisse der Deportierten – und so waren es Finanzbeamte, die die Haushalte der Opfer auflösten, die Wohnungen verkauften und den Hausrat entweder selbst verwerteten oder an luftkriegsgeschädigte deutsche Familien weiterreichten.

„Die Finanzbehörden waren maßgebliche Akteure bei der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung“, sagt Kuller. „Ohne ihre Erfahrung und Mitwirkung hätten die Deportationen nicht so geräuschlos abgewickelt werden können.“ Dabei stellte die Forscherin auch erstaunliche Kontinuitäten im Beamtenapparat fest: Nicht nur, dass Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der bereits in der Weimarer Republik in dieses Amt berufen worden war, vom Beginn des nationalsozialistischen Regimes bis zum Kriegsende im Amt blieb – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges arbeiteten viele Finanzbeamte in ihren Amtsstuben weiter; nunmehr als Staatsdiener der jungen Bundesrepublik.

Dabei hatten sie nicht selten auch über die Rückerstattung und Entschädigung für Opfer des NS-Staates zu entscheiden. „In Bayern beispielsweise waren die Wiedergutmachungsstellen dem Finanzministerium untergeordnet“, sagt Kuller, die die Rolle der Ministerien differenziert bewertet: „Sicher waren die Finanzbehörden im Dritten Reich keine verbrecherischen Organisationen wie Gestapo oder SS.“

Aber für die Historikerin ist es erstaunlich, wie gut die traditionelle Arbeitsweise der Behörde im ideologischen Kontext einer rassistischen Diktatur funktionierte. Was die Beamten dabei antrieb, lässt sich heute kaum noch eindeutig feststellen. War es die eigene Karriereaussicht? Das Streben nach Effizienz? Oder Antisemitismus? Wie unterschiedlich gemischt die Motivlagen auch gewesen sein mögen, ohne eine antisemitische Grundüberzeugung sei die Mitwirkung an der Verfolgung und Beraubung der Juden nicht möglich gewesen, sagt Historikerin Kuller: „Viele Beamte waren willige Vollstrecker der nationalsozialistischen Ideologie.“