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„Damit die Erde bewohnbar bleibt“

Ein Gespräch mit Jörg Hacker, Mitglied des Kuratoriums der Freien Universität Berlin und des neugegründeten UN-Wissenschaftsrates

10.04.2014

Professor Jörg Hacker wurde als einziger deutscher Wissenschaftler in den neugegründeten UN–Wissenschaftsrat berufen.

Professor Jörg Hacker wurde als einziger deutscher Wissenschaftler in den neugegründeten UN–Wissenschaftsrat berufen.
Bildquelle: David Ausserhofer

Der Mikrobiologe Professor Jörg Hacker ist der einzige deutsche Wissenschaftler, der in das im Januar gegründete „Scientific Advisory Board“ der Vereinten Nationen berufen wurde. Er war Präsident des Robert- Koch-Instituts und wurde 2010 als Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, gewählt. Seit 2012 ist Hacker auch Mitglied des Kuratoriums der Freien Universität Berlin.


Herr Hacker, Sie sind Mitglied eines neu gegründeten Wissenschaftsbeirates, der den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Zukunftsfragen berät. Warum wurde dieses Beratergremium gegründet?

Die Vereinten Nationen wollen Antworten auf Zukunftsfragen von globaler Bedeutung finden und dabei spielt Wissenschaft eine immer wichtigere Rolle. Das Scientific Advisory Board hat zwei Aufgaben. Zum einen geht es darum, die Herausforderungen der Zukunft zu bewerten, und zum anderen darum, zu überprüfen, ob bestehende Strukturen – also die bereits vorhandenen wissenschaftlichen Institutionen und Beratergremien in den Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) – tragfähig genug sind, um mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten.

Welche Themen wurden beim Gründungstreffen im Januar in Berlin besprochen?

Wir haben vier Arbeitsgruppen gebildet: Eine Arbeitsgruppe wird sich damit beschäftigen, wie Wissenschaft nachhaltige Entwicklungen fördern kann. Außerdem werden wir uns das Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Forschung sowie das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ansehen. Die Milleniumsziele, wie die Bekämpfung extremer Armut, Primarschulbildung für alle oder Senkung der Kindersterblichkeit, die die UNO im Jahr 2000 definiert hat, laufen nächstes Jahr aus. Die neuen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele, die die UNO nach 2015 verfolgt, sollen ökologische und ökonomische sowie soziale Komponenten einbeziehen. Auch hierzu werden wir Empfehlungen für den UN-Generalsekretär vorbereiten.

Was bedeutet es für Sie persönlich, als deutscher Wissenschaftler in den UN-Wissenschaftsbeirat berufen worden zu sein?

Wir leben in einer spannenden Zeit, mit großen Umbrüchen in der Wissenschaft. Gleichzeitig verändern sich aber auch die Rahmenbedingungen für unsere Tätigkeit. Die Weltbevölkerung nimmt weiter zu, ebenso Umweltverschmutzung und Klimawandel. Deshalb sind wir Wissenschaftler aufgerufen, etwas zu unternehmen, damit die Erde bewohnbar bleibt. Dazu beitragen zu können, freut mich.

Das aus 26 Personen bestehende Gremium ist sowohl international als auch interdisziplinär besetzt. Könnte das ein Grund für Kontroversen sein?

Die Heterogenität der Mitglieder ist die große Chance des Scientific Advisory Boards. Als Mikrobiologe bin ich zwar Experte für Infektionskrankheiten, aber in den Entwicklungsländern hängt die Ausbreitung ansteckender Krankheiten eng mit Naturkatastrophen zusammen. Man denke nur an die jüngste Cholera-Epidemie in Haiti. Bei der Armutsbekämpfung etwa, einem Milleniumsziel, das auch nach 2015 ein Anliegen der Vereinten Nationen bleiben wird, werden künftig auch Fragen der Biodiversität und der Erhaltung von natürlichen Lebensgrundlagen eine Rolle spielen.

Bei solchen Themen ist es unerlässlich, dass Expertisen aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten eingebracht werden. Auch im Hinblick auf die geografische Herkunft der Mitglieder des Scientific Advisory Board ist die Heterogenität so gewollt. Wissenschaftler aus Entwicklungs- und Schwellenländern sind gleichberechtigt vertreten, weil in der Wissenschaft Entwicklungen weltweit stattfinden. Man muss die globale Situation in den Blick nehmen und mit den führenden Einrichtungen weltweit zusammenarbeiten – und zwar nicht nur mit den traditionellen Partnern in Westeuropa oder Nordamerika.

Als Kuratoriumsmitglied der Freien Universität Berlin begleiten Sie die Weiterentwicklung der Hochschule. Wie kann sich die Freie Universität vorbereiten, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein?

Die Freie Universität hat gerade im Bereich Internationalisierung bedeutsame Erfolge aufzuweisen. Sie ist durch ihre Verbindungsbüros, durch Kooperationen und Berufungen weltweit vernetzt. Auch durch Schwerpunktsetzung im Bereich der Forschung hat sich die Hochschule in den letzten Jahren weiterentwickelt: Das zeigt der Erfolg in der Exzellenzinitiative und beim Einwerben von Drittmitteln. Es ist beeindruckend, was die Freie Universität geleistet hat.

Die Freie Universität sollte sowohl die Grundlagenforschung als auch die themengeleitete Forschung im Blick behalten. Bei der Grundlagenforschung, die frei von Gedanken an gesellschaftliche Nutzbarkeit nur der wissenschaftlichen Neugier verpflichtet sein sollte, ist für die Freie Universität Berlin zum Beispiel auch die Vernetzung mit Max-Planck-Instituten auf dem Forschungscampus Dahlem ein Pluspunkt.

Bei der themenzentrierten Forschung hat die Freie Universität den Vorteil, dass sie in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehr stark ist. Ich komme ja selbst aus den Naturwissenschaften und finde die Interaktionen zwischen den verschiedenen Disziplinen sehr interessant. Zum Beispiel beim Thema Energiewende: Die Erzeugung von Energie hat eine starke naturwissenschaftliche Komponente, aber es geht auch darum, herauszufinden, wie in Zukunft das Konsumentenverhalten aussehen wird.

Was bedeutet das für die Lehre?

Für eine Universität sind Forschung und Lehre gleichermaßen wichtig. Für begabte Nachwuchswissenschaftler muss es klare und gute Karriereperspektiven geben. Hier müssen die deutschen Universitäten mit Entwicklungen weltweit im Spitzenbereich Schritt halten.

Das Interview führte Nina Diezemann