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Goethe in Jerusalem

19.02.2014

Deutsche Klassiker entdecken: Chili Atia, Tzvi Schoenberg und Tamar Gutfeld (v.l.) sind drei Studierende der Hebräischen Universität in Jerusalem, die an der Vorlesungsreihe zu deutscher Literatur teilnehmen werden.

Deutsche Klassiker entdecken: Chili Atia, Tzvi Schoenberg und Tamar Gutfeld (v.l.) sind drei Studierende der Hebräischen Universität in Jerusalem, die an der Vorlesungsreihe zu deutscher Literatur teilnehmen werden.
Bildquelle: Karin Neuburger

Die Freie Universität veranstaltet gemeinsam mit der Hebräischen Universität in Jerusalem eine Vorlesungsreihe zur deutschen Literatur

Die Hebräische Universität Jerusalem gehört zu den besten Hochschulen der Welt. Zugleich ist sie eng mit der Geschichte Deutschlands verbunden: Bei ihrer Gründung im Jahr 1925 gehörten dem Direktorium zahlreiche deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, darunter so herausragende Intellektuelle wie Albert Einstein, Martin Buber und Sigmund Freud. Die Unterrichtssprache war Deutsch. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust änderte sich dies: Hebräisch ersetzte Deutsch als Wissenschaftssprache.

Im Jahr 1973 wurde die Einrichtung eines germanistischen Lehrstuhls an der Hebräischen Universität beschlossen. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre trieb die Hochschule den institutionellen Aufbau der Germanistik weiter voran; man lud Germanisten zu Gastvorträgen ein, etwa Hans Mayer, der über Walter Benjamin sprach, und Arnold Zweig hielt einen Vortrag über Sigmund Freud. Seit 1990 ist das Franz Rosenzweig Minerva Center for German-Jewish Literature and Cultural History ein wichtiges akademisches Zentrum für die Geschichte deutsch-jüdischer Kultur und Literatur. Mit dem vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützten Center for German Studies an der Hebräischen Universität Jerusalem gibt es seit 2007 einen weiteren bedeutenden Ort für Studien zur kulturellen, politischen und sozialen Entwicklung der Bundesrepublik.

Um der Germanistik neue Impulse zu geben, haben Wissenschaftler der Hebräischen Universität Jerusalem und der Freien Universität Berlin nun eine über zwei Semester laufende Vorlesungsreihe konzipiert, bei der Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler wichtige Autoren und Werke präsentieren und in einem anschließenden Kompaktseminar mit den Studierenden diskutieren. „Die Studierenden in Israel haben ein großes Interesse an der deutschen Kultur“, sagt Susanne Zepp, die neben ihrer Tätigkeit als Professorin an der Freien Universität auch Stellvertreterin des Direktors am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig ist. „Es gibt an der Hebräischen Universität mit dem Franz Rosenzweig Center einen der lebendigsten Orte des Austauschs zwischen Israel und Deutschland. Auch durch die wichtige Arbeit des DAAD Center for German Studies wird die Bedeutung der deutschen Sprache neu wahrgenommen. Nicht nur in den Geisteswissenschaften.“

Die Vorlesungsreihe, die von der Axel Springer Stiftung gefördert wird, ist am 19. Februar 2014 feierlich an der Hebräischen Universität eröffnet worden. Professor Hans-Jürgen Schings, Experte für die Literatur der Aufklärung und der Klassik, hielt den Eröffnungsvortrag. Der Germanist von der Freien Universität Berlin sprach über Johann Wolfgang von Goethes „Faust“. Eingeladen waren neben den Präsidenten beider Universitäten, Menachem Ben-Sasson und Peter-André Alt, auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Andreas Michaelis.

Auf dem Programm der Vorlesungsreihe stehen im Sommersemester Vorträge zu Thomas Mann und Franz Kafka, aber auch zu Autorinnen und Autoren der Gegenwart wie Christa Wolf, Elfriede Jelinek und Herta Müller. Das folgende Wintersemester bezieht Texte früherer Epochen ein, beginnend mit der Literatur des Minnesangs. Konzipiert wurde die Vorlesungsreihe von der Romanistikprofessorin Susanne Zepp, gemeinsam mit der Germanistikprofessorin Anne Fleig sowie dem Komparatistikprofessor Joachim Küpper von der Freien Universität Berlin und in enger Abstimmung mit ihren Jerusalemer Kollegen Professor Yoav Rinon, dem Leiter der School of Literatures, und Professor Reuven Amitai, dem Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät. Beteiligt sind auch das interdisziplinäre DAAD Center for German Studies und das Franz Rosenzweig Minerva Center for German-Jewish Literature and Cultural History. Langfristig soll die Vorlesungsreihe dazu beitragen, die Germanistik als Universitätsfach weiter auszubauen.

Die Hebräische Universität Jerusalem und die Freie Universität Berlin kooperieren im Rahmen einer strategischen Partnerschaft, die zahlreiche Austauschprogramme und gemeinsame Forschungsprojekte in den Geistes- wie in den Naturwissenschaften umfasst. Mehr als 60Wissenschaftler beider Universitäten arbeiten derzeit zusammen. Die neue Initiative sei ein weiterer Beweis für die Dynamik dieser Partnerschaft und zeuge davon, was gemeinsam erreicht werden könne, betonen die beiden Universitätspräsidenten Menahem Ben-Sasson und Peter-André Alt.

Die Wurzeln dieser Partnerschaft liegen in der Geschichte: Die Freie Universität Berlin wurde 1948 von Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegründet, die frei von politischem Einfluss lernen, lehren und forschen wollten. Die junge Hochschule knüpfte schnell Verbindungen zu wissenschaftlichen Institutionen und Persönlichkeiten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Dies machte die Freie Universität nach dem Krieg auch für Rückkehrer nach Deutschland zu einem wichtigen Ort: Ernst Fraenkel etwa war 1953 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl „Wissenschaft von der Politik, Theorie und vergleichende Geschichte der politischen Herrschaftssysteme“ an die Freie Universität berufen worden und hatte von dort aus die Entwicklung des Fachs wesentlich mitgestaltet. Hier schließt sich ein Kreis,wenn im kommenden Jahr am Franz Rosenzweig Center eine gemeinsame Tagung der Hebräischen Universität Jerusalem und des Dahlem Humanities Center der Freien Universität zum Werk Ernst Fraenkels stattfindet.

Susanne Zepp ist sich sicher: Die Vorlesungsreihe zur deutschen Literatur in Jerusalem wird der engen Zusammenarbeit der Freien Universität und der Hebräischen Universität Jerusalem wichtige neue Impulse geben. „Und vielleicht wird es ja irgendwann mal einen Lehrstuhl für Hebräische Literatur in Berlin geben.“ Das wäre dann das nächste Projekt.