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Getanzte Spuren

Anna Huber ist Valeska-Gert-Gastprofessorin für Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

10.06.2013

Das Thema beschäftigt und fasziniert Anna Huber schon lange: Spuren, Fährten oder Relikte und Erinnerungen, die bleiben von einer Bewegung, von Tanz, von physischer Anwesenheit. „Diese flüchtigen Künste hinterlassen vielleicht keine sichtbare Spur. Aber sie bleiben im Gedächtnis der Zuschauer, der Tänzer und auch im Raum. Diese Flüchtigkeit hat eine starke Präsenz, auch wenn sie nicht direkt greifbar ist, ist sie doch sinnlich und physisch wahrnehmbar.“ Die Schweizer Choreografin lächelt – sie findet es nicht immer einfach, für ihre Kunst die passenden Worte zu finden, ohne sie in Schubladen zu pressen und ihr die Offenheit zu nehmen.

Hier klicken!Anna Huber ist eine zierliche Person. Fast versinkt sie in ihrem grauen Mantel, in den sie sich während des Gesprächs immer wieder einkuschelt. Der Berliner Frühling ist endlich da, aber jetzt, in den frühen Abendstunden, weht eine leichte Brise. 1989 war sie zum ersten Mal nach Berlin gekommen – und prompt von der Stadt begeistert: „Berlin hat mir gleich gut gefallen. Ich bin eigentlich nur für einen einwöchigen Workshop hergekommen“, sagt sie lachend, „und dann wurden daraus fast 20 Jahre!“

Heute lebt und arbeitet die 48-Jährige die meiste Zeit des Jahres in der Schweiz, wo sie seit 2007 „Artist in Residence“ an der Dampfzentrale Bern ist – einem Kulturzentrum für zeitgenössischen Tanz und Musik. In ihren Bühnenstücken hat sie in den vergangenen Jahren eine eigenständige künstlerische Sprache entwickelt. Konsequent hinterfragt und erweitert Anna Huber die Möglichkeiten des Tanzes als Formensprache. Will man Anna Hubers Spuren aus Stücken wie „unsichtbarst“ (1998), „Stück mit Flügel“ (2001), „Eine Frage der Zeit“ (2008) oder ihrer aktuellen Produktion „zwischen jetzt“ nachzeichnen, führen diese durch die ganze Welt. Anna Hubers Verdienste in interdisziplinären und architekturspezifischen Tanz-Projekten werden international anerkannt. 2010 wurde sie mit dem Schweizer Tanz- und Choreografiepreis ausgezeichnet. Die Jury ehrte ihre mit starker Präsenz gepaarte fragile Körperlichkeit und lobte ihren Ausdruck als subtil und kraftvoll zugleich.

Die Künstlerin arbeitet auch im Gespräch mit ihrem Körper: Sie zeichnet mit den Händen, beugt sich vor und zurück, manchmal strafft sie die Schultern, etwa wenn sie erklärt, wie sie sich einem Thema nähert: „Meine Recherche für ein Stück findet auf vielen Ebenen statt. Inspiriert werde ich in der bildenden Kunst, durch Filme, Bücher und Beobachtungen im Alltag, beim Reisen.“ Ihren Studierenden will sie aber auch hier keine Vorgaben machen. Offenheit sei die wichtigste Voraussetzung für jede Recherche und Zusammenarbeit, betont die gebürtige Schweizerin. Von ihren Studierenden möchte sie folgerichtig auch gar nicht als erstes wissen, wer schon Tanzerfahrung hat. „Wir haben gleich in der ersten Stunde angefangen, mit dem Körper als Instrument zu arbeiten.“

Eine Seminar-Stunde mit Anna Huber kann mit der einfach klingenden Aufgabe beginnen, sich durch den Raum zu bewegen. Dabei ist die vermeintlich einzige Ähnlichkeit, die das Gehen im Sinne von Anna Huber mit unserem alltäglichen Gehen hat, wohl das Ziel, eine Distanz zu überwinden. Nur, dass Anna Huber nicht einfach von Punkt A zu Punkt B kommen möchte. Es geht ihr vielmehr darum, Qualitäten des Gehens wahrzunehmen, Unterschiede festzustellen, die Distanz zwischen Körpern und von Körper und Raum bewusst zu machen, um einen Dialog zwischen Körperbewegung und architektonischem Raum zu schaffen. Jeder Mensch hat einen individuellen Gang, die Unterschiede sind faszinierend und öffnen die Wahrnehmung, wie wir uns mit unserem Körper tagtäglich durch die Welt bewegen.

Wie berühren meine Füße den Boden? Wie nehme ich den Raum wahr? Was begegnet mir, und was hinterlasse ich? „Wir haben zwar physisch reale Grenzen“, erklärt Anna Huber und reckt ihre Arme ein Stück in die Höhe. „Zwei Arme und zwei Beine. Aber es gibt unendliche viele Möglichkeiten mit diesen scheinbaren Grenzen zu spielen und sie in der Bewegung auszuloten. Und dafür muss man nicht unbedingt in den Zirkus gehen.“ Sie lächelt. Den Körper begreift sie als differenziertes Instrument und Modelliermasse, der mit dem Raum im Dialog steht.

Für die Präsentation „Spuren – Spurlos“ wird zunächst im DanceLab der Tanzwissenschaft an der Freien Universität und in der Akademie der Künste geprobt. 18 Studierende werden sich in ihrer Performance an den architektonischen Gegebenheiten abarbeiten: an Wänden, Treppenstufen, Geländern oder Säulen, in Zwischenräumen und Lücken. „Wir haben keine klassische Bühnensituation, sondern arbeiten mit den Räumen in der Akademie und öffnen durch die Bewegung neue Perspektiven“, sagt Huber. Mit ihrer Gastprofessur wird sie Spuren in Berlin hinterlassen. Wieder einmal.


Zum Abschluss der Gastprofessur findet am Mittwoch, 26. Juni 2013 um 19.00 Uhr eine Perfomance statt: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin. Der Eintritt kostet 8 €, ermäßigt 5 €.