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Dunkles Kapitel der Berliner Geschichte kommt ans Tageslicht

Archäologen-Team der Freien Universität Berlin gräbt auf dem Tempelhofer Feld nach den Überresten eines der ältesten Konzentrationslager aus der Zeit des NS-Regimes.

16.04.2013

Graben in der Vergangenheit: Archäologen bergen auf dem Tempelhofer Feld Reste aus der NS-Zeit.

Graben in der Vergangenheit: Archäologen bergen auf dem Tempelhofer Feld Reste aus der NS-Zeit.
Bildquelle: J. Meyer/ Landesdenkmalamt Berlin

Ausnahmsweise ist es keine große Expedition, die den Archäologen Reinhard Bernbeck und Susan Pollock bevorsteht: Mitten in Berlin nehmen die Wissenschaftler der Freien Universität in wenigen Wochen einen weiteren Abschnitt ihrer Grabungsarbeiten auf dem Tempelhofer Feld in Angriff. Die Professoren vom Institut für Vorderasiatische Archäologie und ihr Team machen sich gegenüber dem heutigen Polizeigebäude am Columbiadamm auf die Suche nach Fundamenten des sogenannten Columbiahauses. „Das Gebäude war einst ein Militärgefängnis, das 1933 in ein Gestapo-Gefängnis und 1934 zu einem der ersten Konzentrationslager umfunktioniert wurde“, sagt Bernbeck. „Für die Nazis war es eine Schule des Terrors.“ Nun hofft der Wissenschaftler, dass das Regime seine Spuren vor Kriegsende nicht mehr verwischen konnte. An anderen Orten seien offenbar in vollem Bewusstsein der verübten Gräueltaten sogar Fundamente beseitigt worden.

 Mit der Geschichte des Tempelhofer Feldes und dortigen Fundstücken aus der NS-Zeit setzen sich Reinhard Bernbeck und Susan Pollock seit dem vergangenen Jahr auseinander: Mit Bodendenkmalpflegern des Landesdenkmalamtes Berlin und unterstützt durch den Berliner Senat, die Grün Berlin GmbH und die Tempelhof Projekt GmbH widmeten sich die Archäologen insgesamt sechs Grabungsflächen. Eine davon liegt am Nordrand des Feldes, an dem sich heute ein Basketballfeld befindet. Einst standen dort vier Baracken eines Zwangsarbeiterlagers der Lufthansa, in denen rund 400 meist osteuropäische Arbeiter auf engstem Raum interniert waren. Insgesamt lebten mehrere tausend Zwangsarbeiter der Rüstungsindustrie in Lagern auf dem Feld.

In den Lebensläufen der Forscher erscheint der europäische Grabungsort beinahe exotisch: Bisher leiteten Pollock und Bernbeck etwa Projekte in Jordanien, dem Iran, der Türkei und in Turkmenistan. Beide lehrten lange Jahre in den USA, wo ihre Fachrichtung als „Anthropology“ breiter und weniger regionsspezifisch gefasst ist. Kurzerhand stellten sich die Archäologen beim Senat vor, als das Tempelhofer Feld im Jahr 2010 als Austragungsort der Internationalen Gartenschau diskutiert wurde: Ohne archäologische Voruntersuchungen hätten keine Bodeneingriffe vorgenommen werden dürfen. „Und in Europa gibt es an den Universitäten nur wenige Archäologen, die sich mit der Moderne beschäftigen“, sagt Bernbeck. Ginge es nach ihm, wäre es an der Zeit, das zu ändern. Das haben ihm die Ergebnisse der Grabungen ebenso gezeigt wie das große Interesse von Studierenden und Öffentlichkeit.

Auf dem Tempelhofer Feld lebten mehrere Tausend Arbeiter in Lagern

Während bislang nur ein einziges Foto die Lagerbaracken aus der Nähe zeigt, zeugen die Grabungsfunde vom Alltag der Zwangsarbeiter. Sie liefern damit auch Informationen, die von den offiziellen Akten abweichen, auf denen die Forschung über das Dritte Reich bislang in weiten Teilen basiert. So sei der Zement im Fundament der 2012 freigelegten Baracke unter anderem mit Bruchbeton und Kieselsteinen gestreckt worden, sagt der Archäologe: „Offenbar ist damals etwas von den Baumaterialien, die laut Akten angeliefert wurden, für andere Zwecke abgezwackt worden.“ Überreste eines teilweise freigelegten Splitterschutzgrabens zeigten, dass er unmöglich allen Arbeitern Unterschlupf geboten haben könne. Das Abwasser- und Sanitärsystem hingegen sei ausgeklügelt gewesen – hier habe sich der Hygienewahn der Nationalsozialisten samt ihrer Angst vor ansteckenden Krankheiten bei den Zwangsarbeitern bestätigt, sagt Bernbeck.

Nur wenige Zentimeter unter dem Gras fanden die Archäologen Objekte des täglichen Gebrauchs oder deren Überreste, etwa Keramik- und Kachelstückchen sowie Maschinenteile. Andere Bereiche des Feldes wurden nach dem Krieg eingeebnet. Meterweise Schutt oder große Betonplatten verhindern hier vorerst Grabungen.

Um mehr über die relativ jungen Fundstücke zu erfahren, müssen die Archäologen auf Wegen recherchieren, die für ihren Beruf unüblich sind: „Normalerweise greifen wir auf archäologische Kataloge zurück, um zu prüfen, wann und wo so etwas schon einmal gefunden wurde“, erklärt Bernbeck. „Aber was ist mit Plexiglasstückchen oder Kabelummantelungen? Wir wissen bei bestimmten Materialien – etwa Bakelit – nicht ganz genau, seit wann sie eingesetzt werden“, erläutert er die Problematik. Etwas einfacher gestaltete sich die Datierung von Keramik: Mithilfe von Sammlerkatalogen konnten die Forscher beispielsweise eine Scherbe mit dem zynischen Aufdruck „Die Schönheit der Arbeit“ näher bestimmen. Und manch ein Maschinenteil führte Bernbeck auf die Spur von Berliner Betrieben, die etwa als Zulieferer Teil der Rüstungsindustrie waren und selbst Zwangsarbeiter beschäftigten. „Die Beschäftigung mit den Gegenständen aus der jüngeren Vergangenheit und den damit verbundenen Geschichten hat uns sehr berührt“, sagt Bernbeck, „gerade von den Opfern des Dritten Reiches gibt es ansonsten ja wenig materielle Hinterlassenschaften.“

Unter all die Bruchstückchen aus den Lagern mischten sich aber auch Überbleibsel aus der Nachkriegszeit: In einem Feuerlöschteich, den die US-Amerikaner als Müllgrube nutzten, bargen die Archäologen Cola-Flaschen ebenso wie etliche kleine grüne Tuben – eine Creme zur Prophylaxe gegen Geschlechtskrankheiten.

Den Wissenschaftlern ist es ein Anliegen, die Berliner Bevölkerung über die dunklen Jahre des Tempelhofer Flughafens aufzuklären: Für die Zukunft ist geplant, der Öffentlichkeit die Funde in geeigneter Form zugänglich zu machen. Reinhard Bernbeck sucht zudem den Kontakt zur islamischen Gemeinde am Columbiadamm, um auch islamische Jugendliche nichtdeutscher Herkunft für das Thema zu sensibilisieren. Und wie schon im vergangenen Jahr wird er im Sommer wieder Führungen anbieten. „Die große Herausforderung ist dabei, angemessen mit den Unterschieden zwischen den Lagern hier und etwa den Vernichtungslagern in Polen umzugehen“, sagt er.

Das öffentliche Interesse dürfte ihm sicher sein: Im Januar 2013 hat sich die Machtübernahme der Nationalsozialisten zum 80. Mal gejährt, und im Mai dieses Jahres wird der Bücherverbrennung von 1933 gedacht.