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Zwei Fliegen mit einer Klappe

Evolutionsbiologe Jens Rolff erforscht das Immunsystem von Insekten. Seine Forschung könnte die Humanmedizin inspirieren.

16.04.2013

Älter als Dinosaurier: Bei Insekten wirken flexible Eiweißverbindungen gegen Bakterien, Viren und Pilze. Forscher vermuten, dass sie aus diesem Grund in der Evolutionsgeschichte so erfolgreich waren.

Älter als Dinosaurier: Bei Insekten wirken flexible Eiweißverbindungen gegen Bakterien, Viren und Pilze. Forscher vermuten, dass sie aus diesem Grund in der Evolutionsgeschichte so erfolgreich waren.
Bildquelle: Patrizia Tilly/ Fotolia

Staphylococcus aureus heißt der unsichtbare Feind im Krankenhaus: Das Bakterium ist eigentlich harmlos. Es nistet sich auf der Haut ein und in den oberen Atemwegen, wo es sich zu kleinen Trauben anhäuft. Fast 30 Prozent aller Menschen in Deutschland tragen den Erreger in sich, bei Krankenschwestern und Ärzten ist er sogar zu 90 Prozent verbreitet. Meistens löst Staphylococcus aureus keine Krankheitssymptome aus, doch wenn das Immunsystem des Wirtes geschwächt ist, greift es die Haut an, die Muskeln oder die Atemwege. Auch das ist eigentlich harmlos, seitdem es Antibiotika gibt.

Aber immer häufiger treten in Kliniken Stämme auf, denen die gängigen Antibiotikaklassen wie Chinolone und Tetracycline, Aminoglykoside und Sulfonamide nichts anhaben können. Mindestens 25 000 Menschen in Europa kosten multiresistente Staphylococcus aureus-Stämme jährlich das Leben. Zum Vergleich: An Aids sterben in Zentral- und Westeuropa derzeit etwa 7000 Menschen im Jahr.

Nun könnten Stubenfliegen und Honigbienen, Schmetterlinge und Mehlkäfer helfen, neue Methoden im Kampf gegen resistente Bakterien zu finden.

Evolutionsbiologie Jens Rolff von der Freien Universität ist Grundlagenforscher und beobachtet das Immunsystem von Insekten. Verglichen mit den komplexen Vorgängen im menschlichen Körper ist der Abwehrmechanismus einer Stubenfliege auf den ersten Blick sehr überschaubar. Aber er ist auch sehr erfolgreich: 80 Prozent aller lebenden Tierarten auf unserem Planeten sind Insekten, und sie sind älter als die ersten Dinosaurier – es gab sie schon im Erdaltertum vor 450 Millionen Jahren.

Ohne ein effektives Immunsystem, das ist für den Evolutionsbiologen klar, wären die Insekten längst ausgestorben. „Anders als Wirbeltiere, deren Immunsystem sich Eindringlingen anpassen und die Strategien der Angreifer merken kann, muss der Körper der Insekten immer neu auf fremde Organismen und Substanzen reagieren“, sagt der Wissenschaftler.

Eine entscheidende Rolle spielen dabei offenbar antimikrobielle Peptide, Eiweißverbindungen also, die auf Bakterien, Viren und Pilze tödlich wirken. Hunderte solcher Verbindungen haben Forscher bei Insekten bereits nachgewiesen. Auch Säugetiere wie der Mensch tragen diesen Immunschutz auf Haut und Schleimhaut.

Vom Immunsystem der Insekten lernen

In der täglichen Laborarbeit isoliert Rolff diese Insekten-Peptide und bringt sie mit Bakterien zusammen: „Nach spätestens zwei Wochen bilden sich in der Petrischale resistente Bakterienstämme, gegen die das einzelne Peptid nicht mehr viel ausrichten kann.“ Der Forscher vermutet, dass die Bakterien untereinander Gene austauschen und so die Wirkung des Peptides aushebeln können.

Dennoch gibt es in der Natur bei Insekten kaum resistente Bakterienstämme. Warum? Rolff konnte bei seinen Versuchen beobachten, dass Kombinationen verschiedener Peptide die Bakterien in Schach halten: „Außerdem verändert das Immunsystem des Insekts ständig die Zusammensetzung und Dosis der Peptide und scheint damit sehr erfolgreich zu sein.“ In diesem Gemisch werden sogar Peptide gegen die Keime wirksam, die als Eiweiß isoliert keine Wirkung zeigen. „Es scheint also eine Interaktion zwischen den verschiedenen Substanzen zu geben“, sagt Rolff.

Weltweit sind Rolff und sein Team die ersten Wissenschaftler, die diesen Forschungsansatz verfolgen. Gegenwärtig versucht der Wissenschaftler gemeinsam mit Theoretikern der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich eine Dynamik zu entwickeln, wie die Bakterien von den Peptiden getötet werden. Dahinter steckt die Frage, ob man anhand der „Sterbestatistik“ dieser Keime vorhersagen kann, ob und wie sich Resistenzen bilden.

Eine wichtige Erkenntnis haben Rolff und sein Team bereits gefunden: Während die Gabe eines Antibiotikums die Mutationsrate bei Bakterien erhöht, steigt sie beim Einsatz von antimikrobiellen Peptiden nicht an.

Auf den Menschen übertragen könnte das bedeuten, dass ständig wechselnde Konzentrationen verschiedener Antibiotika helfen könnten, neue Resistenzen zu vermeiden. Klinische Versuche bei Menschen jedenfalls zeigen, dass dieser Weg vielversprechend ist.

„Wir werden in den kommenden Jahren die Grundlagen dieses Wirkmechanismus’ weiter untersuchen und hoffentlich Hinweise darauf finden, was wir daraus für die Entstehung komplexer Immunsysteme lernen können“, sagt der Evolutionsbiologe.

Finanziell jedenfalls ist das Projekt bis auf Weiteres gesichert: Im vergangenen Jahr gewann Jens Rolff einen Starting-Grant-Award des Europäischen Forschungsrates, der bis 2015 Mittel für seine Grundlagenforschung zur Verfügung stellt.