An der Wiege der Weltreligionen
Der Byzantinist Johannes Niehoff-Panagiotidis forschte ein Jahr in Jerusalem.
13.12.2012
In der Wüste unweit von Bethlehem scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Das griechisch-orthodoxe Kloster Mar Saba wirkt mit seinen dicken Mauern völlig in die karge Landschaft integriert, es hebt sich auch farblich kaum ab. Die Mönche, die hier leben, folgen den Regeln einer Religion, die sich seit der Spätantike nicht wesentlich verändert hat. „Sie sprechen Griechisch, leben nach dem Julianischen Kalender und lassen keine Frauen zu“, erzählt Johannes Niehoff-Panagiotidis. Mar Saba besteht ununterbrochen seit dem 6. Jahrhundert und ist damit byzantinischen Ursprungs. „Einer der Brüder hat sich sogar wie ein spätantiker Asket einmauern lassen“, sagt der Professor für Byzantinistik an der Freien Universität, „versorgt wird er durch Frauen von außerhalb."
Als Niehoff-Panagiotidis dem Kloster während seiner zwei Forschungssemester in Jerusalem mit deutschen Theologiestudierenden einen Besuch abstattete, hatte die einzige Frau in der Gruppe Bedenken: „Sie durfte das Kloster nicht betreten. Aber als wir wieder herauskamen, saß sie mit dem griechischen Pförtner bei einer gemeinsamen Fastenspeise in der Sonne. Die beiden unterhielten sich friedlich auf Englisch.“ So etwas lasse auch die strenge Orthodoxie im Nahen Osten zu, sagt Niehoff-Panagiotidis.
Eigentlich führten Forschungsfragen den Wissenschaftler nach Jerusalem. Er untersucht anhand alter Quellen, wie christliche Minderheiten im heutigen Israel und Palästina – dazu zählen auch die Mönche von Mar Saba – den frühen Islam beeinflussten. „Die Religionen sind seit der Spätantike stark miteinander verwoben. Es ist unmöglich, den Islam ohne seinen christlichen und jüdischen Hintergrund zu verstehen.“ Auch wenn zu seiner Studienzeit andere Theorien gegolten hätten: Heute sei erwiesen, dass das Byzantinische Reich bei der Entstehung des Islam entscheidend beteiligt war, sagt der Professor, der im September an die Freie Universität zurückkehrte. „Die christlichen Nationalkirchen, etwa die Kopten oder die Apostolische Kirche des Ostens, haben sich zu byzantinischen Zeiten abgespalten“, erklärt Niehoff-Panagiotidis. „Als die Byzantiner den Nahen Osten wegen arabischer Eroberungen aufgaben, blieben die Minderheiten dort.“ Muslimisch-arabische Quellen zur Frühzeit des Islam gibt es nicht – Informationen liefern ihm dafür etwa die griechischen, syrischen und armenischen Schriften aus dem Byzantinischen Reich. Diese Schriftstücke findet der Wissenschaftler in traditionsreichen Jerusalemer Forschungsinstitutionen wie der École Biblique, einer im 19. Jahrhundert von Dominikanermönchen gegründeten Bibliothek im arabischen Stadtteil. Die Spaltung Jerusalems in ein jüdisches, christliches, armenisches und muslimisches Viertel war für den Professor Teil des Alltags: Von seiner Unterkunft im jüdischen Quartier ging er täglich zu Fuß hinüber zur Bibliothek.
Dass er Hebräisch und Arabisch spricht, helfe ihm, sich gegenüber Israelis und Palästinensern neutral zu verhalten: „Man darf sich nicht vereinnahmen lassen.“ Zwar sei es – abgesehen von einigen Demonstrationen – während seines Aufenthaltes ruhig gewesen, dennoch beobachtete er, wie „umkämpft jeder Zentimeter“ in der Altstadt Jerusalems ist: Die israelische Verwaltung versuche, das jüdische Wohnviertel zu vergrößern. Viele alteingesessene christlich-arabische Familien sähen daher im Nahen Osten keine Perspektive. Sie wanderten aus – oftmals nach Berlin. Das zeige sich auch in der Nähe der Freien Universität in Zehlendorf, wo bereits eine arabisch-orthodoxe Kirche Gottesdienste feiere, erzählt Niehoff-Panagiotidis. Den christlichen Orient sieht der Byzantinist in Zukunft weiterhin als wichtiges Forschungsfeld, auch weil die Traditionen des Nahen Ostens durch die Auswanderer bei uns gegenwärtig werden.