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Wo Wissen wächst

Patricia Rahemipour ist die neue Leiterin des Botanischen Museums im Botanischen Garten Berlin.

13.10.2016

„Ich habe den schönsten Arbeitsplatz Berlins.“ Eine gewagte These, die Patricia Rahemipour da vorbringt, denn es gibt in Berlin viele faszinierende Arbeitsorte. Der Blick aus dem Fenster ihres Büros geht in den Botanischen Garten, den Rahemipour den „Hauptstadtgarten“ nennt. Seit Februar leitet die Archäologin die Abteilung Wissenskommunikation und gleichzeitig das Botanische Museum. Die Museumspädagogik gehört dazu, ein Verlag, die Ausstellungen selbst, die auch Teile des Botanischen Gartens bespielen, und schließlich neben dem Archiv die größte botanische Bibliothek Deutschlands. Vielseitig ist ihr Arbeitsplatz also allemal. Und arbeitsintensiv. Neben alltäglichen Entscheidungen – etwa welches Modell eines Apfels wird für eine Ausstellung an die Domäne Dahlem verliehen – muss sie das große Ganze im Blick behalten.

„Ich habe den schönsten Arbeitsplatz Berlins“, sagt Patricia Rahemipour, wenn sie von ihrem Büro aus über den Botanischen Garten Berlin blickt.

„Ich habe den schönsten Arbeitsplatz Berlins“, sagt Patricia Rahemipour, wenn sie von ihrem Büro aus über den Botanischen Garten Berlin blickt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ihr Team will das Botanische Museum im 21. Jahrhundert etablieren. Eröffnet um 1910, diente es ursprünglich vor allem als Lehrsammlung für Biologie-Studenten, die sich hier Pflanzenteile wie Blütenstände oder Nährstoffbahnen in überdimensionalen Modellen ansehen konnten. Die Zeit ist darüber hinweggegangen: „Heute forschen Botaniker auf molekularer Ebene“, sagt Rahemipour. Für andere Besucher sei die Ausstellung dagegen zu wissenschaftlich, wie eine Befragung gezeigt habe.

Eine Kritik, die die neue Leiterin nachvollziehen kann: „Ich sage zu meinen Kindern ja auch nicht: ‚Lasst uns mal die Kryptogamen angucken.‘„ In Zukunft will sie Fragen aus der Gesellschaft aufgreifen, wie die immer wichtiger werdende Frage nach der Ernährungssicherheit – etwa beim Thema gesunde Lebensmittel oder Bekämpfung des Hungers –, diese in die Ausstellung integrieren, aber auch mit den Forschern im Haus diskutieren.

Ein tiefe Liebe zu Museen

Großreinemachen also? Wer Patricia Rahemipour beim Gang durch die Ausstellung begleitet, merkt, dass diese mögliche Sorge unbegründet ist. Da geht eine Frau mit einer tiefen Liebe zu Museen. Sie betrachtet die Arbeit ihrer Vorgänger geradezu zärtlich, ruft immer mal wieder „Das ist total zauberhaft!“ Etwa bei ihren Lieblingsstücken, den interaktiven Leuchtkästen in Wabenform mit Pflanzen aus unterschiedlichen Regionen der Welt oder dem Segment eines 1.200 Jahre alten Mammutbaums: Figürchen auf den Jahresringen symbolisieren historische Ereignisse. Es sind Laubsägearbeiten, von Hand lackiert.

Stärker als bisher soll die Ausstellung in den Botanischen Garten hineinwirken, zum Beispiel mit thematisch passenden Spaziergängen oder Hörstationen. Um duftende Pflanzen und kulinarische Erlebnisse kann es dabei genauso gehen wie um den Erhalt der biologischen Vielfalt. Die Besucher sollen Biodiversität subtil erleben, anstatt den erhobenen Zeigefinger zu sehen. „Ich kenne das von meinen Kindern: Wenn etwas negativ erzählt wird, verlieren sie die Lust. Sie sind nicht uninteressiert, aber sie wollen etwas Schönes, etwas Positives mitnehmen“, sagt Rahemipour. Die Naturschönheiten der Botanik seien für solche Erlebnisse bestens geeignet.

Über die Magnolienblüte diskutieren

Das Botanische Museum stärker mit anderen Berliner Kulturinstitutionen zu vernetzen, ist ihre zweite Herzensangelegenheit. Naturkundliche Museen hätten es gegenüber Kunst- und Geschichtsmuseen schwer, wahrgenommen zu werden, sagt sie. Über die Authentizität eines Rembrandts diskutiere man eben anders als darüber, warum man gerade diese Magnolienblüte in die Vitrine lege und nicht irgendeine andere. „Obwohl naturkundliche Museen viele Besucher haben, sind sie immer noch Stiefkinder. Es ist eine andere Museumswelt.“ Patricia Rahemipour kennt beide Welten, und das ist eine ihrer Stärken. Sie studierte zunächst Medizin, wechselte dann zur Archäologie. Für ihre Promotion an der Freien Universität Berlin untersuchte sie, wie Archäologie bis in die 1930er Jahre im Film vermittelt wurde und welchen Einfluss dies auf die Wissenschaft hatte. Im Anschluss entwickelte sie Ausstellungen, unter anderem für das Deutsche Archäologische Institut, und koordinierte das „Interdisziplinäre Zentrum Alte Welt“ an der Freien Universität Berlin.

„Ich gehörte immer zu den Leuten, die alles spannend fanden“

Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Medien, Museen und Netzwerke – „Ich gehörte immer zu den Leuten, die alles spannend fanden. Eine Zeitlang hat mich das sehr gequält.“ Erst ihr Doktorvater habe ihr gesagt, er brauche niemanden mit einem geraden Lebenslauf, sondern jemanden, der sich schnell in Themen einfindet und Querverbindungen herstellt. Eigentlich“, sagt sie rückblickend, „habe ich mich die ganze Zeit auf die eine oder andere Art damit beschäftigt, wie man Wissen kommuniziert.“ Deshalb fühle sie sich auch in der neuen Position schon vollkommen zuhause – selbst wenn sie in der Botanik naturgemäß noch einige Wissenslücken habe. Aber Lernen gehört für Patricia Rahemipour ebenso zum Beruf wie Wissen vermitteln.