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Filmdinosaurier auf Irrpfaden

Doktorand Arne Keller untersucht, warum der Fotokamera-Hersteller Leica fast gescheitert wäre.

31.03.2014

Die Ur-Leica: Vor 100 Jahren konstruierte Oskar Barnack, Mitarbeiter der Ernst-Leitz-Werke Wetzlar und Fotografie-Pionier, die „Leitz Camera“, die erste Kleinbildkamera, von Barnack selbst „Liliput-Kamera“ genannt.

Die Ur-Leica: Vor 100 Jahren konstruierte Oskar Barnack, Mitarbeiter der Ernst-Leitz-Werke Wetzlar und Fotografie-Pionier, die „Leitz Camera“, die erste Kleinbildkamera, von Barnack selbst „Liliput-Kamera“ genannt.
Bildquelle: Leica camera

Arne Keller ist Doktorand am Graduiertenkolleg "Pfade organisatorischer Prozesse", das am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität angesiedelt ist.

Arne Keller ist Doktorand am Graduiertenkolleg "Pfade organisatorischer Prozesse", das am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität angesiedelt ist.
Bildquelle: Mirko Lux

Was haben Karstadt, Nokia, und Kodak gemeinsam? Alle drei Unternehmen müssen sich vorwerfen lassen, nicht rechtzeitig auf veränderte Marktbedingungen oder neue Technologien reagiert zu haben. Auch der traditionsreiche Fotokamera-Hersteller Leica gehört auf diese Liste – er hätte fast den Weg in die Digitaltechnologie verpasst.

Arne Keller, Doktorand am Graduiertenkolleg „Pfade organisatorischer Prozesse“ am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität, hat in seiner Dissertation den Fall Leica untersucht.

Herr Keller, wie kam es dazu, dass die Zeichen der Zeit bei Leica so falsch gelesen wurden, dass das Unternehmen kurz vor der Insolvenz stand?

Interessanterweise wurde bei Leica Camera damals sehr wohl wahrgenommen, dass sich der Markt verändert. Daraufhin richtete man einen Bereich zu Erforschung der Digitaltechnologie ein. Nach anfänglichen Erfolgen versäumte man es jedoch, das generierte Wissen in das Kerngeschäft zu integrieren. Fälschlicherweise ging Leica dann davon aus, dass ein ausreichend großer Anteil des Marktes – ähnlich wie bei mechanischen Uhren – analog bleiben würde. Die Idee war, auf die digitale Revolution so zu reagieren, dass man eine Nische besetzt und weiterhin analoge Kameras anbietet, die gleichzeitig Traditions- und Luxusprodukte sein sollten.

Noch 2004, als Digitalkameras bereits 95 Prozent des Marktes ausmachten, ließ der Leica-Vorstand auf der weltgrößten Fotomesse, der Photokina in Köln, verlauten, die digitale Revolution sei nur ein Intermezzo und auch in zwanzig Jahren werde noch mit Film fotografiert. Leica-Mitarbeiter trugen auf der Messe einen Anstecker mit dem Schriftzug „Ich bin ein Filmdinosaurier“.

Obwohl der gesamte Markt und alle Experten gesagt haben, dass diese Strategie nicht aufgehen werde, hielt Leica an bewährten Handlungsmustern und dem Plan, analog zu bleiben, fest. 2003, 2004 und 2005 hatte das Unternehmen deswegen unglaubliche Umsatzeinbußen von 20 Millionen Euro. Leica war am Abgrund – und vieles deutete damals darauf hin, dass das Traditionsunternehmen dem Pfad anderer Unternehmen in der Branche, wie Kodak, Polaroid und Minolta, folgen würde.

Wie hat sich Leica retten können?

Nur durch eine externe Intervention zweier Geldgeber: den französischen Luxusgüterkonzern Hermès und den österreichischen strategischen Investor Andreas Kaufmann. Ihnen ist gelungen, Leica in zwei Dimensionen neu auszurichten und das Unternehmen neu zu erfinden: als Marke im Luxussegment. Hermès‘ Idee war, Leica komplett aus dem Fachhandel zu nehmen und aus der Marke eine Art Gucci, Ferrari oder Apple der Kameraindustrie zu machen. Heute hat Leica etwa 120 Flagshipstores, die eher Boutiquen ähneln als herkömmlichen Kamerafachgeschäften.

Und das Engagement des österreichischen Investors?

Andreas Kaufmann hat darauf gedrungen, dass Leica vollständig in die digitale Welt wechselt. Der Grund: Bei Kameras handelt es sich um Systemprodukte, das heißt, dass sie abhängig sind von anderen Produkten und Leistungen, etwa von Filmen und Fotolabors. Das Analog-System konnte auf einem Markt mit überwiegend digitalen Produkten nicht mehr aufrechterhalten werden. Durch den experimentellen Arbeitsbereich zur Erforschung der Digitaltechnologie, den Leica ja sehr früh eingerichtet hatte, war der Umstieg in die digitale Welt gar nicht so schwer. Schon zwei Jahre nach dem Einstieg von Kaufmann brachte Leica 2006 die erste Digitalkamera auf den Markt.

Also ein Beispiel für einen gelungenen Pfadbruch?

Genau. Mich interessiert, wie es Unternehmen gelingen kann, aus dysfunktionalen Pfaden auszubrechen und sich strategisch an veränderte Markt- und Umweltbedingungen anzupassen. Pfadabhängigkeiten, also das Festhalten an Strukturen, gibt es nahezu allen Bereichen. Einer meiner Kollegen am Graduiertenkolleg untersucht beispielsweise, inwiefern das amerikanische Ausbildungssystem pfadabhängig ist. Wieder andere erforschen ärztliche Versorgungsnetzwerke oder Arbeitszeitregime in der Unternehmensberatung.

Das Pfadkolleg ist interdisziplinär ausgerichtet – welchen Nutzen ziehen Sie für Ihre Arbeit daraus?

Der Austausch ist inspirierend und effektiv und führt zu positiven Synergieeffekten. Mitunter sind die Unterschiede innerhalb eines Faches im Übrigen größer als zwischen verschiedenen Disziplinen.

Die Fragen stellte Mirko Lux

Weitere Informationen

Arne Keller, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Graduiertenkolleg: "Pfade organisatorischer Prozesse", Tel. +49 30 838-57184, E-Mail: arne.keller@fu-berlin.de