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Ein Berg voller Geschichte

Archäologen der Freien Universität Berlin geben der Region Assiut ihre Vergangenheit zurück

08.01.2013

Das Grabungsteam legt eine Fläche vor dem Nördlichen Soldatengrab frei. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt die Arbeit der Wissenschaftler um Jochem Kahl von der Freien Universität bis 2017.

Das Grabungsteam legt eine Fläche vor dem Nördlichen Soldatengrab frei. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt die Arbeit der Wissenschaftler um Jochem Kahl von der Freien Universität bis 2017.
Bildquelle: Fritz Barthel

Was ein deutsch-ägyptisches Grabungsteam im Berg von Assiut, 375 Kilometer südlich von Kairo, fand, stinkt bestialisch. Es ist ein Hundegrab, vollgestopft mit mumifizierten Tierleichen. Seit 2003 erforscht Professor Jochem Kahl von der Freien Universität Berlin mit seinen Kolleginnen und Kollegen den Berg von Assiut – als erstes ausländisches Grabungsteam seit mehr als 100 Jahren.

Fast 200 Holzkisten, 80 mal 60 mal 40 Zentimeter groß, haben die Wissenschaftler inzwischen mit den größtenteils verschimmelten Hundemumien gefüllt. Draußen 35 Grad im Schatten, drinnen Schimmelstaub. Ohne spezielle Atemschutzmasken wäre die Arbeit nicht möglich gewesen.

„Das geht an die Substanz“, sagt Grabungsleiter Kahl. „Wir haben uns drei Jahre lang da drin abgemüht und sind immer noch nicht bis an den Boden gelangt.“ Der Tierkult war vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. in Ägypten sehr verbreitet. Die Menschen stellten sich ihre Götter als Hunde, Schakale und Füchse vor – und legten ihnen die toten Tiere als Weihegabe ins Grab.

Der Berg von Assiut ist voll solcher archäologischer Schätze. Wie voll, das hat sogar Jochem Kahl überrascht. Die erste Kampagne – so nennt man einen Ausgrabungszyklus – hat er noch selbst finanziert. Mit vier Wissenschaftlern machte er sich vor mittlerweile mehr als neun Jahren zum ersten Mal zu dem Berg auf – und fand dort seine große Forschungsaufgabe. Er werde immer gefragt, wie lange er dort noch arbeiten wolle, sagt der Archäologe und antwortet: „Mindestens bis zur Pensionierung!“

Rund eine halbe Million Menschen leben am Fuße des Berges. Auf dem Gipfel gewesen ist aber bisher kaum jemand. Denn die Region ist seit den 1960er Jahren Militärgebiet. Zutritt verboten. „Mein damaliger Professor hat schon in den 1980er Jahren versucht, eine Genehmigung zu bekommen. Die Gefahr terroristischer Anschläge war aber zu groß“, erinnert sich Kahl. Ein Glücksfall, dass es mittlerweile geklappt hat. Schon seit der fünften Kampagne im Jahr 2007 konnte das Projekt langfristig angelegt werden: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert die Grabung bis 2017. So viel Zeit zu haben, sei ein riesiger Vorteil, sagt Kahl.

Trotzdem lebt Kahl immer mit der Angst, plötzlich nicht mehr weiterarbeiten zu können. Die politische Situation im Land ändert sich schnell, wie die Revolution im vergangenen Jahr gezeigt hat. Außerdem ist Assiut Erdbebengebiet. Tiefe Risse im Gestein erinnern daran, dass jederzeit große Brocken herunterkrachen könnten – und damit Jahrtausende alte Schätze für immer verloren wären. Bisher ist alles gut gegangen. Bei der jüngsten Kampagne im Oktober haben mehr als 100 Menschen auf dem Berg gearbeitet: 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende der beteiligten Universitäten aus Berlin, Mainz und Sohag (Ägypten) sowie Mitglieder des Ägyptischen Antikendienstes – 70 Grabungsmitarbeiter und einige Polizisten zum Schutz.

Rund 11000 Fundzettel sind inzwischen zusammengekommen. Ein Zettel, ein Fund. Alles fein säuberlich dokumentiert im Dahlemer Büro von Jochem Kahl. Im offiziellen Magazin in Ägypten sichern Eisentüren, Gitter und Kameras die gefundenen Schätze. Es ist ein Hochsicherheitstrakt. Wie Puzzle-Stücke fügen sich die Funde zu einer großen Regionalgeschichte zusammen. Während die Gebiete um Kairo im Norden und Luxor im Süden bereits untersucht sind, war die Mitte Ägyptens bisher gewissermaßen ein weißer Fleck auf der archäologischen Karte. „Wir haben es hier mit einer kriegerisch geprägten Kultur zu tun“, erklärt Kahl. „Assiut war immer ein Reibungspunkt zwischen Nord und Süd.“

Bei all den kleinen und großen Funden der vergangenen zehn Kampagnen schlägt manchmal auch ein erfahrenes Archäologenherz höher. Etwa beim Anblick der reich verzierten Decken und Wände des größten jemals gefundenen Felsengrabes. 50 Meter in die Tiefe des Berges ragt es hinein, ursprünglich waren es sogar noch 15 Meter mehr. „Der Berg ist wie ein Skelett, Haut und Fleisch wurden abgezogen,“ erklärt Kahl.

Im Laufe der Jahrtausende war der Berg Friedhof, Steinbruch, religiöse Kultstätte und Militärkaserne. Sogar zwei christliche Klöster haben sich einmal auf dem Gipfel befunden. Auch das Grabungsteam nutzt den Berg auf eigene Art: als Büros. In einigen Gräbern haben die Wissenschaftler ihre Schreibtische aufgestellt.

Weitere Informationen

Univ.-Prof. Dr. Jochem Kahl, Ägyptologisches Seminar der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-56784, E-Mail: kahlj@zedat.fu-berlin.de