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Der Steinbrück-Sound

Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin hat die Rhetorik des SPD-Kanzlerkandidaten untersucht

30.10.2012

Peer Steinbrück spricht 2008 als Finanzminister im Bundestag. Wissenschaftler der Freien Universität untersuchen, welche rhetorischen Stilmittel er einsetzte.

Peer Steinbrück spricht 2008 als Finanzminister im Bundestag. Wissenschaftler der Freien Universität untersuchen, welche rhetorischen Stilmittel er einsetzte.
Bildquelle: Istockphoto / EdStock

Peer Steinbrück gilt als guter Redner. Anders als viele andere Politiker. Der Kanzlerkandidat der SPD und Bundesfinanzminister (2005 bis 2009) verfüge über ein unverwechselbares rhetorisches Profil, sagen die Literaturwissenschaftler Nina Peter und Oliver Lubrich. Sie haben im Rahmen des Forschungsprojekts „Emotionen in Wirtschaftskrisen“ Sprachbilder untersucht, mit denen Politik und Medien die Finanzkrise 2008/2009 umschrieben haben.

„Das war eine neue und noch kaum fassbare Situation, die plötzlich sprachlich bewältigt werden musste“, sagt Projektleiter Oliver Lubrich. „Es gab keine zuverlässigen Modelle oder Vorbilder, also experimentierten die Politiker mit verschiedenen Bildern.“

Lubrich, bis 2011 Professor für Rhetorik am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin und inzwischen Professor für Germanistik und Komparatistik an der Universität Bern, leitet das universitätsübergreifende Projekt des Clusters „Languages of Emotion“, das Metaphern als „Symptome der Krise“ untersucht. Darin wurden die Reden des damaligen Finanzministers Steinbrück analysiert und mit der Berichterstattung im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ verglichen.

Als Finanzminister war Steinbrück die „zuständige politische Instanz für die Krise“, sagt Projektmitarbeiterin Nina Peter. Ein Glück für die Wissenschaftler, denn kaum ein Politiker visualisiere ähnlich gewagt. Steinbrück gebrauche meist einfache Vergleiche, um komplexe Zusammenhänge zu veranschaulichen, sagt die Doktorandin. „Dadurch versucht er, sehr nah am Publikum zu sein.“

Es gebe einen unverwechselbaren „Steinbrück-Sound“, der in der Krisensituation besonders deutlich geworden sei, erklärt Oliver Lubrich. Diesen setze Steinbrück nun auch als Kanzlerkandidat ein. Mit seiner Rhetorik der „kalkulierten Ungehobeltheit“ gewinne er rednerisch und politisch Freiräume. „So kann er Dinge sagen, die stärker kritisiert werden würden, wenn man sie für genau vorbereitet und weniger spontan hielte“, sagt Lubrich. Zu Steinbrücks rhetorischen Stilmitteln zähle vor allem die Lakonie: knappe, kurze, prägnante Sätze. Oder die Exklamation: eine provozierend in den Raum gestellte Aussage, die er für sich wirken lasse. Auch Stilbrüche setze Steinbrück ein. Dann wechsele er vom bewussten Gebrauch von Fachterminologie aus der Finanzwelt, die ihn als Fachmann ausweisen soll, ins Umgangssprachliche und überrasche gelegentlich sogar mit Sätzen wie „Darauf habe ich keinen Bock.“

Steinbrück provoziere und wage Ironie – anders als viele Politiker, die befürchteten, missverstanden zu werden. Eine solche rhetorische Provokation sei Steinbrücks schwarzhumoriger Wild-West-Vergleich im deutsch-schweizerischen Streit über die Steuerflucht gewesen. Sie habe einerseits die politische Auseinandersetzung verschärft, konnte andererseits aber auch als trockener Witz verstanden werden.

In Bezug auf die Finanzkrise seien die Reden Steinbrücks jedoch viel weniger provokativ oder alarmistisch gewesen als themenverwandte Berichte im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, sagen die Wissenschaftler. In „Spiegel“-Artikeln seien zahlreiche Krisenmetaphern verwendet worden wie „Finanz-Tsunami“ oder „Kernschmelze an der Finanzmärkten“. Es tauchten häufig Metaphern aus dem Bereich „Natur“ („Turbulenzen“, „Sturm“) auf. Sprachbilder aus Themenfeldern, die die Unberechenbarkeit der Krise und die Ohnmacht politischer Maßnahmen betonten.

Sprachbilder, die Steinbrück als Finanzminister vermieden habe, erklärt Nina Peter. „Er versuchte, die Emotionen niedrig zu halten und die eigenen Handlungsmöglichkeiten beruhigend in den Vordergrund zu stellen.“ Dabei verwendete er Metaphern, die den Handlungsspielraum des Menschen („Spielregeln“, „Verkehrsregeln“) betonten. Nach dem Motto: So wie die Krise durch bestimmtes Verhalten von Wirtschaftsakteuren herbeigeführt worden sei, lasse sie sich auch durch politisches Eingreifen und Regulieren überwinden.

Als ehemaliger Verkehrsminister habe sich Steinbrück dabei gern aus dem Wortfeld „Verkehr“ bedient: „Leitplanken anbringen“ sei ein Beispiel („Ob die Leitplanken auf der Zeitachse etwas versetzt werden müssen, ist abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung”), „bremsen“, „beschleunigen“ oder „navigieren“ andere.

Ziel der wissenschaftlichen Untersuchung ist es Lubrich und Peter zufolge, eine Art „Fieberkurve“ für den öffentlichen Diskurs zur Finanzkrise zu rekonstruieren. Es gehe darum herauszufinden, in welcher Situation und welchem Zusammenhang besonders viele, besonders unterschiedliche oder besonders erschreckende Metaphern eingesetzt würden.

Um das große Textkorpus bewältigen zu können, wurden nicht nur rhetorische Verfahren der Textinterpretation genutzt, sondern die Metaphern auch mit einem Computerprogramm codiert. Über 7000 Metaphern wurden erfasst und verschiedenen Bildfeldern und Codes zugeordnet. So konnte die Verteilung der Sprachbilder bei Steinbrück und in „Spiegel“-Artikeln statistisch ausgewertet werden. Ein Verfahren, das in der Literaturwissenschaft noch selten angewandt würde, sagt Nina Peter.

Beide Wissenschaftler vermuten, dass die SPD Peer Steinbrück nicht zuletzt wegen seines rhetorischen Krisenmanagements 2008/09 als Kanzlerkandidaten nominiert habe. Steinbrück inszeniere sich in seinen Reden als kompetent, direkt und handlungsorientiert. Dass seine ungewöhnlichen und manchmal gewagten Sprachbilder große Sprengkraft hätten, nehme die Partei in Kauf, sagt Oliver Lubrich. Und nicht nur in Kauf: „Die Nominierung des Wirkungsrhetorikers Steinbrück ist eine Kampfansage.“

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