Von Monstern und Mythen
Gastwissenschaftlerin Bettina Bildhauer forscht über Mittelalter-Darstellung in Filmen
08.01.2010
Bettina Bildhauer sieht nicht aus wie jemand, der sich den ganzen Tag mit Monstern und Blut beschäftigt. Sie trägt eine türkisfarbene Strickjacke, einen hellblauen Schal mit weißen Punkten, und ihre braunen Augen lachen freundlich. Es macht ihr nichts aus, Horrorfilme anzuschauen oder Blut zu sehen, und Monster findet sie spannend. Dabei spielte Bettina Bildhauer als Kind nicht etwa mit Horrorfiguren statt mit Barbiepuppen. Erst im Studium entwickelte sie ihr Faible, als sie Bekanntschaft mit mittelalterlichen Texten und Sagen machte.
Als viele Germanistik-Studenten anfingen, über die Literaturvorgaben auf dem Lehrplan zu fluchen, blühte Bettina Bildhauer auf: „Es hat mir richtig Spaß gemacht, mittelhochdeutsche Texte zu lesen“, sagt die heute 36-Jährige, „ich kann mich noch sehr gut an die Nibelungensage und Siegfrieds Bad im Drachenblut erinnern.“ Die Begeisterung für mittelalterliche deutsche Literatur nahm Bettina Bildhauer mit nach Cambridge, wo sie zunächst ein Auslandssemester absolvierte und schließlich über „Blut in der deutschen Literatur des 13. Jahrhunderts“ promovierte. Seit 2004 ist sie Dozentin für deutsche Literatur an der University of St. Andrews in Schottland. Noch bis zum Sommer 2010 forscht sie als Gastwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Erst kürzlich wurde sie mit einem der mit 70.000 Pfund dotierten Forschungspreise der britischen Leverhulme-Stiftung ausgezeichnet.
Monster und Blut fand Bettina Bildhauer nicht nur in der Nibelungensage. In zahlreichen Büchern aus dem Mittelalter – in etwa die Zeitspanne zwischen den Jahren 500 und 1500 n. Chr. – stieß sie auf aus heutiger Sicht kuriose Vorstellungen: „Im Mittelalter glaubte man, dass das menschliche Blut aus vier verschiedenen Säften gemacht ist: aus schwarzer Galle, gelber Galle, Phlegma und dem normalen roten Blut.“ Blut galt als enorm wichtig: Es sollte Stimmungen und Gemüt beeinflussen.
Bettina Bildhauer stellte in ihrer Promotionsarbeit die These auf, dass Blut im Mittelalter eine identitätsstiftende Wirkung hatte. „Auch deshalb fürchtete man sich damals davor, sich zu verletzen und Blut zu verlieren, weil damit die eigene Identität bedroht wäre“, sagt Bildhauer. Wer Blut verlor, galt als verletzlich, so etwa Frauen, wenn sie während ihrer Menstruation Blut verloren. Man unterstellte ihnen, dass sie ihr Blut nicht kontrollieren könnten, Männer hingegen zeichneten sich dadurch aus, dass sie eben kein Blut verloren – außer vielleicht in Ritterkämpfen.“
Von der Beschäftigung mit Blut gelangte Bettina Bildhauer zu Blutsaugern wie Vampiren, die sich Monstern zuordnen lassen. „Monster sind immer Ungeheuer, die verschiedene Kategorien miteinander vermengen, zum Beispiel Mensch und Tier“, sagt Bettina Bildhauer, „sie sind so unheimlich, weil man sie nicht klar zuordnen kann.“ Bekannte Monster sind etwa Frankenstein und der Außerirdische E.T., Gespenster und Hexen. „Oft waren Monster in der mittelalterlichen Darstellung weiblich“, fand die Germanistin heraus. Dies könne man damit erklären, dass Frauen den Männern beim Geschlechtsverkehr ihre „beste Flüssigkeit“, den Samen, rauben würden. „Wie alle Körperflüssigkeiten galt der Samen als eine Form von Blut“, erklärt Bildhauer, „und wer Blut stahl, raubte anderen Energie und galt als gefährlich.“
Derzeit vervollständigt Bettina Bildhauer eine Monographie über die Darstellung des Mittelalters in verschiedenen Filmen. „Faust“, „Der Glöckner von Notre-Dame“, „Der Name der Rose“, „Wickie und die starken Männer“, „King Arthur“ und „Königreich der Himmel“ sind nur einige Filme, die Bildhauer untersucht und miteinander vergleicht. Für sie steht fest, dass Menschen auch heutzutage Monster brauchen: „Es gibt immer noch viele reelle Dinge, vor denen man sich fürchtet – und Monster helfen, auf fiktionaler Ebene damit umzugehen.“
Weitere Informationen
Friedrich Schlegel Graduate School of Literary Studies, Freie Universität Berlin
E-Mail: bmeb@st-andrews.ac.uk