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Wege zur Gewalt – Parallelen zwischen Djihadisten und Schulamokläufern

Sozialwissenschaftler mit Beteiligung der Freien Universität vergleichen djihadistisch motivierte, terroristische Einzeltäter und „School Shooter“ in Deutschland

Nr. 237/2018 vom 13.09.2018

Eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern der Freien Universität Berlin und weiterer wissenschaftlicher Einrichtungen in Berlin, Bielefeld und Darmstadt haben eine Studie über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen djihadistisch motivierten, terroristischen Einzeltätern und sogenannten School Shootern veröffentlicht. Sie werteten umfangreich die Entwicklungspfade der Gewalttäterinnen und Gewalttäter aus. Dabei konnten sie in einigen Fällen deutliche Ähnlichkeiten in den Biografien erkennen. Bisher galt in der psychologischen Forschung die These als plausibel, dass School Shootings und terroristische Einzeltaten als strukturell unterschiedliche psychologische Phänomene zu beurteilen seien. Die aktuellen Studienergebnisse legen dagegen nahe, dass eine klare Grenzziehung zwischen diesen Formen der Gewalt nicht angemessen sei. Die Forschungsarbeit erschien in der September-Ausgabe der renommierten Zeitschrift „International Journal of Developmental Science“ und ist online offen zugänglich.

Die beteiligten Wissenschaftler der Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Kriminologie untersuchten für die Studie staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten über sieben School Shootings und über sieben Fälle djihadistisch motivierter Gewalt in Deutschland und verglichen die Entwicklungswege der Täterinnen und Täter mithilfe qualitativer Methoden. Die Autoren konnten sich dabei auch auf Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Tat- und Fallanalysen hochexpressiver zielgerichteter Gewalt“, kurz TARGET, stützen.

„Täter beider Fallgruppen weisen Überschneidungen und Ähnlichkeiten in sozialen Mechanismen und Entwicklungsverläufen auf“, erklärt der Gewaltforscher Nils Böckler, Erstautor der Studie. „So lassen sich beispielsweise vergleichbare Krisen in den Biografien der späteren Täter identifizieren, besonders im Hinblick auf die Familienumstände, die Schule und den sozialen Austausch mit Gleichaltrigen. Aber auch soziale Netzwerke haben auf dem Weg zur Gewalt bei School Shootern und Djihadisten eine äquivalente Bedeutung – die Glorifizierung von Attentätern und die Interaktion mit Gleichgesinnten findet in Fangruppierungen von Amokläufern ähnlich statt wie in extremistischen Foren. Kaum einer der Täter hat sich in völliger sozialer Isolation zu seiner Tat entschieden.“

Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie resümiert: „Betrachtet man die Gemeinsamkeiten in den Entwicklungswegen der untersuchten Täter, so erscheint es sinnvoller, School Shootings und djihadistisch motivierte, terroristische Einzeltaten als unterschiedliche Ausgänge ähnlicher Entwicklungen und Ursachen anzusehen – das Ausüben demonstrativer Gewalt spielte in allen Taten, egal welchem Phänomen zugeordnet – eine wichtige Rolle.“ Demonstrative Gewalt setze immer auf die Herstellung von öffentlicher Aufmerksamkeit sowie medialer Resonanz, urteilen die Forscher. Die Inszenierung der eigenen Person – etwa über YouTube-Videos oder im Internet veröffentlichte Manifeste – sei dabei dem Täter oftmals genauso wichtig wie der Anschlag selbst.

Die Autoren hatten ihre theoretischen Annahmen bereits in der Fachzeitschrift „Violence and Gender“ publiziert. Die neue Untersuchung brachte den Beleg ihrer Thesen durch die Daten tatsächlicher Fälle. Der Artikel ist in der jüngsten Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „International Journal of Developmental Science“ erschienen. Geplant ist, die Ergebnisse auf Grundlage weiterer Fällen zu überprüfen und zu erweitern.

Autoren der Studie

  • Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Freien Universität Berlin
  • Gewaltforscher Nils Böckler vom Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement in Darmstadt
  • Dr. Vincenz Leuschner, Professor für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin
  • Prof. Dr. Andreas Zick, Institutsleiter für das Fach Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld

Studie

Böckler, N., Leuschner, V., Zick, A., & Scheithauer, H. (2018). Same but different? Developmental pathways to targeted attacks – A qualitative comparison study of school attackers and Islamist attackers in Germany. International Journal of Developmental Science. DOI 10.3233/DEV-180255

Böckler, N., Leuschner, V., Roth, V., Zick, A., & Scheithauer, H. (2018). Blurred boundaries of lone actor targeted violence: Similarities in the genesis and performance of terrorist attacks and school shootings. Violence and Gender, 5, 70-80. DOI 10.1089/vio.2018.0002

Weitere Informationen

Kontakt

Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Freien Universität Berlin, Telefon: +49 30 838 565 46, E-Mail: herbert.scheithauer@fu-berlin.de, Homepage: www.developmental-science.de