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Big Brother für Bakterien

Mitja Remus-Emsermann, Mikrobiologe an der Freien Universität Berlin, erforscht Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen auf Blattoberflächen

10.06.2021

Gerade angekommen: Mitja Remus-Emsermann übernimmt die Professur für Mikrobiologie am Institut für Biologie der Freien Universität

Gerade angekommen: Mitja Remus-Emsermann übernimmt die Professur für Mikrobiologie am Institut für Biologie der Freien Universität
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Studium in Bonn, Promotion in den Niederlanden, Postdoc in der Schweiz und zuletzt Senior Lecturer an der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland – der Mikrobiologie Mitja Remus-Emsermann ist viel in der Welt herumgekommen. Jetzt freut er sich darauf, als Nachfolger des emeritierten Professors Rupert Mutzel am Institut für Biologie der Freien Universität Wurzeln zu schlagen.

„Ich komme aus einer Kleinstadt, und Berlin ist mit seinen vielen Bezirken die größte Kleinstadt, die ich bisher gesehen habe“, sagt der 40-Jährige. Er freue sich auf das Leben in Jugendstilhäusern und auf die Nähe zu seiner großen Familie: „Meine Eltern werden älter und ganz viele Nichten und Neffen sind auf die Welt gekommen, die meine Tochter, meine Frau und ich unbedingt kennenlernen wollen.“

Wie interagieren Bakterien auf Blattoberflächen?

Die Berufung auf eine Professur in Berlin bringe aber vor allem beruflich viele neue Möglichkeiten. „Mich interessiert, wie Blattoberflächen von Bakterien besiedelt werden“, fasst Mitja Remus-Emsermann sein Forschungsgebiet zusammen. „Auf Blättern siedeln hunderte bis tausende Spezies, und ich untersuche, wie sie sich vergesellschaften.“

Das sei zunächst Grundlagenforschung, aber viele Anwendungen, etwa für den Pflanzenschutz, seien denkbar. „Wenn wir verstehen, wie Blattoberflächen besiedelt werden, können wir Krankheitserreger besser bekämpfen.“

In Berlin könne er sich auf kurzem Weg mit hervorragenden Kolleginnen und Kollegen aus der Botanik, der Pflanzenphysiologie, der Evolutions- und der Mikrobiologie austauschen.

Ein Blatt mit angefärbten Bakterien unter dem Mikroskop: Lebendig leuchten sie grün – rot steht für tot.

Ein Blatt mit angefärbten Bakterien unter dem Mikroskop: Lebendig leuchten sie grün – rot steht für tot.
Bildquelle: Mitja Remus-Emsermann

Sein Forschungsansatz sei noch ziemlich neu, sagt Mitja Remus-Emsermann. „In meiner Arbeitsgruppe betrachten wir nicht nur einen Bakterienstamm, sondern ganze Lebensgemeinschaften – ihre Heterogenität und Interaktion. Was passiert in der Bakterien-Community: Wer macht was, wann und mit wem? Unter welchen Umweltbedingungen und mit welchen Auswirkungen?“

Also ist er so eine Art Big Brother für Bakterien – und zwar durch ein hochauflösendes Mikroskop? „Ja, so ungefähr“, bestätigt der Wissenschaftler. Weil seine Kandidaten jedoch nur Mikrometer, also Tausendstel von Millimetern, groß und nicht gerade einfach zu unterscheiden sind, färbt er die Kulturen mithilfe gentechnischer Methoden in bis zu acht verschiedenen fluoreszierenden Farben an.

Jede Pflanzenart hat einen mikrobiellen Fingerabdruck

Außerdem interessiert sich Mitja Remus-Emsermann dafür, wie der Pflanzenwirt auf die Mini-Bewohner reagiert. „Wir wissen schon, dass Pflanzen sich gegen Krankheitserreger mit einer Immunantwort wehren können. Unsere Hypothese ist aber, dass sie aus „guten“ Bakterien auch einen Nutzen ziehen und die Besiedlung deshalb sogar selbst aktiv fördern.“

Diese Annahme möchte der Mikrobiologe mit weiteren Laborversuchen belegen. Modellorganismus ist die Pflanze Arabidopsis thaliana, die Acker-Schmalwand. Sie wird steril in einem Weckglas aufgezogen, um ihre Blätter anschließend mit einer definierten Gemeinschaft von fluoreszierenden Mikroorganismen zu besiedeln.

„Ich habe in Neuseeland noch 600 Bakterienspezies von Arabidopsis-Pflanzen isoliert, die dort im Freien gewachsen sind. Diese Bakterien werden wir hier in Berlin bearbeiten und für Versuche mit sterilen Pflanzen nutzen“, berichtet Mitja Remus-Emsermann. Dabei spiele es keine Rolle, dass Bakterien von der anderen Seite des Erdballs stammen, denn eine Pflanzenart habe fast überall auf der Welt die gleichen Spezies auf ihren Blättern, besitze also einen mikrobiellen Fingerabdruck.

Achtung, Kunst: Hier hat das Team mit fluoreszierenden Bakterien auf Agar-Platten „gemalt“.

Achtung, Kunst: Hier hat das Team mit fluoreszierenden Bakterien auf Agar-Platten „gemalt“.
Bildquelle: Mitja Remus-Emsermann

Die Behörden haben allerdings einen anderen Blick auf die Sache: Wer Bakterienkulturen einfach im Handgepäck von Neuseeland nach Deutschland transportiert, macht sich strafbar. Deshalb wurde die Sammlung unter strengen Auflagen in Trockeneis verpackt und als Fracht nach Frankfurt am Main geschickt, wo Mitja Remus-Emsermann sie persönlich abholen wird.

Forschen, lehren, anwenden ...

Was dem Mikrobiologen an seinem Beruf besonders gefällt? „Ich messe und visualisiere unglaublich gern. Der Gedanke, ein schönes Bild mit Bakterien auf einer Blattoberfläche zu machen, holt mich tatsächlich morgens aus dem Bett.“

Außerdem freue er sich auf das Zusammentreffen mit Studierenden, denn über gute Lehre habe er in Neuseeland viel gelernt. „Der Lehrbetrieb ist dort eine wichtige Einkommensquelle. Deshalb wurden meine Veranstaltungen häufig evaluiert. So haben sich meine Vorlesungen weiterentwickelt und immer mehr Spaß gemacht.“

Obwohl sein Forschungsgebiet noch am Anfang steht, hat Mitja Remus-Emsermann schon Anwendungen im Blick: Zum Beispiel den Feuerbrand, eine bakteriell verursachte Pflanzenkrankheit, verursacht große Schäden beim Apfel-, Birnen- und Quittenanbau. Das Bakterium greift die Blüte an und zerstört die Frucht, manchmal auch den ganzen Baum.

Bis vor kurzem wurden befallenen Bäume unter anderem mit Antibiotika gespritzt, das wirkt aber auch gegen alle anderen Bakterien im Umfeld. Die Alternative: Ein Bakterienstamm, ein sogenannter Antagonist, der lokal aufgetragen wird, um den Feuerbrand-Erreger in Schach zu halten. Leider genügt eine kurze Heißperiode, um solche Antagonisten auszuschalten und dem Feuerbrand wieder Tür und Tor zu öffnen.

„Mir schwebt vor, statt nur einer Spezies eine komplexere Gemeinschaft von Bakterien aufzutragen, die sehr gut an das Leben auf Blattoberflächen und Blüten angepasst ist, gemeinsam besser überleben und den Feuerbranderreger nachhaltig kontrollieren kann.“

... und in der Freizeit in den Zoo

Seine spärlich bemessene Freizeit werde derzeit hauptsächlich von seiner Tochter geregelt: Puppenspielen und Ausflüge in den Botanischen oder Zoologischen Garten stehen auf dem Programm. „Irgendwann würde ich aber gern mal wieder Klettern gehen“, sagt Mitja Remus-Emsermann. „Dann können meine Studierenden mich auch in der Boulderhalle treffen.“

Weitere Informationen

Kontakt:
Mitja Remus-Emsermann, Tel: +49 30 838 58031
E-Mail: m.remus-emsermann@fu-berlin.de
Webseite: Remus-Emsermann-Lab